Initiatoren: Dr. Jens Hälterlein, Centre for Security and Society, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Dr. Lars Ostermeier, Wiener Zentrum für sozialwissenschaftliche Sicherheitsforschung
Zeitpunkt: 16.-17. März 2017, Ort: Universität Freiburg.
Technologien zur Identifikation potentieller Straftäter, zur Vorhersage von Straftaten, der Rückfallwahrscheinlichkeit von Strafgefangenen oder auch der Wahrscheinlichkeit der Schuld von Angeklagten sind in den USA und anderen anglo-amerikanischen Ländern bereits weit verbreitet. In Deutschland beschränkt sich der Einsatz von Prognosetechnologien im Rahmen der polizeilichen Gefahrenabwehr und der Strafzumessung bislang auf eine bestimmte Variante des Predicitve Policing, bei der lokale „hot spots“ für spezifische Delikte identifiziert werden. Ihre Anwendung in anderen Bereichen der polizeilichen Gefahrenabwehr (vor allem der Internetüberwachung), in Strafprozessen und im Strafvollzug erscheint jedoch aufgrund der sich gegenseitig bedingenden Ausdehnung von digitaler Überwachung und Kontrolle und der zunehmenden Datenproduktion in allen Lebensbereichen wahrscheinlich. Es ist demnach zu erwarten, dass der Einsatz von Prognosetechnologien zukünftig einen thematischen Schnittpunkt für die Forschung im Bereich der Kriminologie, Soziologie, Rechtswissenschaft, der Informatik und anderer Disziplinen darstellen wird.
Durch den Workshop sollen die Konturen dieses sich abzeichnenden interdisziplinären Forschungsfeldes herausgearbeitet werden, um es frühzeitig mitzugestalten. Drängend ist hier die Frage, welche gesellschaftlichen Folgen eine stärkere Fokussierung des Handelns der Exekutive auf die automatisierte Vorhersage zukünftiger Ereignisse hat. Welche Bedeutung kommt der ausgedehnten Sammlung und Speicherung von Daten durch staatliche und private Akteure zu, wenn diese Daten polizeilich und strafrechtlich relevant werden können? Welche Konsequenzen hat die präventive Kontrolle von Individuen auf deren Verhalten und das Verhalten der Bevölkerung generell? Und wie verändert sich das Verständnis von Sicherheitsproblemen – vor allem in Hinblick auf mögliche Maßnahmen der Gefahrenabwehr und sozialpolitische Lösungsansätze? Diese Fragen verdeutlichen vor allem eine großen empirischen Forschungsbedarf: Wie kann die Effizienz und Effektivität des Einsatzes von Prognosetechnologien beurteilt werden? Welche Folgen hat der Einsatz dieser Technologien für die Praxis der Polizei, der Gerichte und des Strafvollzugs? Bei der Verwendung automatisierter Prognosen als Grundlage exekutiver Maßnahmen besteht besonders mit Blick auf die hinreichende Begründung eines Verdachts oder sogar eines Urteils durch einen Algorithmus Forschungsbedarf. In technischer Hinsicht stellen sich Fragen hinsichtlich der Potentiale und Grenzen der unterschiedlichen Prognosemodelle unter realen Bedingungen. Zudem wäre zu erforschen, inwiefern Ansätze aus dem Bereich des Machine Learning und Data Mining bestehende theoretische/kriminologische Modelle verändern bzw. ersetzen.
Forschungspraktisch und -ethisch stellt sich schließlich die Frage nach den Zielen und den gewünschten Effekten der Forschung. Welche Rolle sollten die zuvor angedeuteten grundsätzlichen rechtlichen und ethischen Bedenken spielen? Muss aus ihnen die Forderung nach dem Verzicht oder zumindest einem äußerst begrenzten Einsatz der Technologien folgen? Oder sollte im Rahmen einer reflexiven Technikentwicklung geeignete Lösungen im Hinblick auf Probleme des Datenschutzes und des Racial Profiling gefunden werden? Genügt es, hierfür geeignete Anwendungsszenarien und Best-Practice-Beispiele zu definieren? Was sind die diesbezüglichen Potentiale und Grenzen des Privacy-by-design-Ansatzes? Wo müsste der Gesetzgeber aktiv werden? Durch den interdisziplinären Austausch über diese und andere Fragen und Positionen sollen die Aufgaben und Ziele der Forschung zum Einsatz von Prognosetechnologien im Rahmen der polizeilichen Gefahrenabwehr und der Strafzumessung reflektiert und kritisch diskutiert werden.
Neben dem Austausch über theoretische und methodische Zugänge, empirische Befunde, Ziele und gewünschte Effekte der Forschung soll der Workshop der Vernetzung, d.h. der Planung von Publikationen, weiteren Veranstaltungen sowie der Anbahnung von gemeinsamen Forschungsvorhaben dienen. Um den offenen und kooperativen Charakter des Workshop?Formats zu unterstützen, werden von allen Teilnehmenden vorab schriftliche Diskussionsbeiträge eingereicht und allen Teilnehmenden zur vorbereitenden Lektüre zur Verfügung gestellt. Die Beiträge sollten möglichst so verfasst sein, dass ein interdisziplinärer Austausch gewährleistet ist. Die Diskussion der Beiträge wird jeweils von einem Kommentar eingeleitet, der sich aus dem Beitrag ergebende Fragen, strittige Aspekte und weiterführende Ideen konzentriert.
Beiträge von NachwuchswissenschaftlerInnen sind ausdrücklich gewünscht. Beiträge in englischer Sprache sind willkommen. Erbeten wird zunächst ein aussagekräftiger Abstract des beabsichtigten Beitrages im Umfang von maximal 2.000 Zeichen. Senden Sie diesen bitte mit kurzen Angaben zur Person bis zum 19.12.2015 per E-Mail an Dr. Jens Hälterlein (jens.haelterlein@css.uni-freiburg.de) und Dr. Lars Ostermeier (lars.ostermeier@vicesse.eu).
Die Übernahme der Reisekosten wird unter Vorbehalt der Finanzierung angestrebt. Eine Veröffentlichung der Beiträge wird ebenfalls angestrebt.