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Rezension: Eine kriminologische Fallstudie zum Hamburger Rotlichtmilieu

Am 1. Mai 2016 gepostet von Christian Wickert

In Kooperation mit dem Surveillance Studies Blog veröffentlicht Criminologia Rezensionen von Bücher aus den Bereichen Überwachung & Kontrolle und Kriminologie.

Weitere Rezensionen finden sich hier.

Fallstudie-zum-Hamburger-Rotlichtmilieu Titel: „Es ist viel Wahres dran, es ist viel Bullshit dran …“ –
Eine kriminologische Fallstudie zum
Hamburger Rotlichtmilieu
Autorin: K.M.J.K.
Jahr: 2016
Verlag: Verlag Dr. Kovac
ISBN: 9783830088011
Diese Rezension wurde verfasst von Christian Wickert, Hamburg.

Das Zitat „Es ist viel Wahres dran, es ist viel Bullshit dran …“ fungiert nicht nur als titelgebende Interviewpassage, sondern bildet ebenfalls das der Arbeit nachgestellte Schlusswort dieser Fallstudie zum Hamburger Rotlichtmilieu. Durch diese gedankliche Klammer werden die auf 140 Seiten zusammengetragenen Erkenntnisse kontrastiert mit den vornehmlich medial geprägten Vorstellungen vom Hamburger Rotlichtmilieu.

Zu kaum einem anderen devianzsoziologisch relevanten Thema liegt eine so umfassende Forschungsliteratur vor, wie zu dem Phänomenbereich ‚Prostitution‘. Eine Arbeit, die in diesem Themenbereich angesiedelt ist, muss sich daher zwangsläufig auch an der Weiterentwicklung bestehender Konzepte, Ideen und Theorien messen lassen. Die vorliegende Studie bleibt diesbezüglich einerseits Vieles schuldig, meistert zugleich diese Herausforderung hervorragend durch eine strikte Eingrenzung des Themenfeldes. Als geborener Hamburger und neugieriger Leser, der das Hamburger Rotlichtviertel als auf der Reeperbahn flanierender Partygänger hat ‚links‘ liegen lassen (bzw. ‚rechts‘ – je nachdem, in welche Richtung man auf der Reeperbahn  flaniert), habe ich einen geschichtlichen Abriss zur Prostitution in Hamburg und speziell der Entwicklung des Rotlichtgewerbes rund um die Reeperbahn vermisst. Fairerweise muss jedoch eingestanden werden, dass die Lektüre liefert, was der Titel verspricht: eine kriminologische Fallstudie zu Formen der legalisierten und selbstbestimmten Prostitution in Hamburg.

Das zentrale Erkenntnisinteresse der Autorin betrifft die Karriereverläufe der im Rotlichtmilieu Beschäftigten. Dabei wird ein besonderer Schwerpunkt auf Motive für den beruflichen Ein- und Ausstieg in das Rotlichtgewerbe und im Besonderen ein Vergleich zu bürgerlichen Berufsbiographien gelegt. Des Weiteren werden die formellen und informelle Strukturen und Sanktionsinstanzen im Hamburger Rotlichtmilieu herausgearbeitet und schließlich diskutiert, inwieweit die Strukturen des Hamburger Rotlichtmileus deviantes und delinquentes Verhalten befördern.

Als theoretischer Rahmen der Arbeit dienen neben einigen ‚klassischen Texten‘ der Devianzsoziologie (wie Mertons Anomietheorie, Sutherlands Theorie der differentiellen Kontakte u.a.)  vor allem das Karriere-Modell von Henner Hess (1978) sowie die Sozialkonstruktivistische Kriminalitätstheorie von Henner Hess und Sebastian Scheerer (2004).

Eigentliches Kernstück und Grundlage der Studie bilden Experteninterviews, die mit vier Akteuren durchgeführt wurden, deren Erwerbstätigkeit unmittelbar im Zusammenhang mit dem Hamburger Rotlichtmilieu steht: erstens, einer ehemaligen Apartment-Prostituierte und jetzigen Escort-Dame; zweitens, einer ehemaligen Straßenprostituierten, die später in Clubs und im Escort-Bereich gearbeitet hat und heute ihre eigene Escort-Agentur leitet; drittens, einem Mitglied einer Motorrad-Gang, das seit Jahren als Zuhälter im Hamburger Milieu arbeitet und schließlich einem nicht näher charakterisierten „Mitarbeiter einer formellen Institution […], welcher sich mit dem Hamburger Rotlicht beschäftigt“ (S. 18).

Die Autorin versteht es, aussagekräftige Interviewpassagen mit dem theoretischen Grundgerüst der Arbeit kunstvoll zu verbinden, so dass diese Textpassagen ein ausgesprochen lehrreiches, spannendes und unterhaltsames Lesevergnügen bereiten. Die Motive, Ängste und Sorgen der Interviewten werden detailreich herausgearbeitet. Der Autorin gelingt es, plausibel zu belegen, dass es sich bei ihren Interviewpartnerinen um selbstbestimmte Sexarbeiterinnen handelt, deren Berufswahl rationalen Motiven entspringt und deren Berufsalltag durchaus Parallelen zum Berufsleben ‚bürgerlicher‘ Arbeitnehmerinnen aufweist. Stellenweise entsteht jedoch beim Lesen der Eindruck, dass die notwendige Distanz zum Interviewmaterial bzw. den Interviewten fehlt und kritische Nachfragen entweder nicht erfolgt sind oder aber zumindest keinen Eingang in die Arbeit gefunden haben. Hier erweist sich der rein deskriptive Zugang zum Interviewmaterial sowie der sehr eng gesteckte thematische Fokus der Arbeit als Hindernis um auch anderen naheliegenden Fragen (wie etwa zum Wandel des Rotlichtgewerbes in der Hansestadt, Eigenarten und Unterschiede zu anderen Städten/ Ländern, Abgrenzungen zwischen selbstbestimmter Sexarbeit und Zwangsprostitution usf.) nachzugehen. Somit funktioniert der vorliegende Text auch auf einer Metaebene zur Bestimmung der Verlaufslinie zwischen einer vorurteilsfreien, objektiven Näherung an deviante Subkulturen und der notwendigen wissenschaftlich kritischen Distanz zum Forschungsobjekt – ganz im Sinne von Howard Beckers (1967) Frage „Whose side are we on?“.

Die vorliegende kriminologische Fallstudie ist eine empfehlenswerte Lektüre für all diejenigen, die sich speziell mit der Situation von Beschäftigten im Hamburger Rotlichtmilieu auseinandersetzen wollen oder aber eine kompakte und gut zu lesende Einführung in das Themenfeld der legalisierten und selbstbestimmten Prostitution suchen. Ärgerlich und für mich nicht nachvollziehbar ist die Unternehmenspolitik des Buchverlags, der für ein Werk von knapp 150 Seiten, das ganz offensichtlich keiner Lektoratskontrolle unterzogen wurde, den stolzen Preis von über siebzig Euro verlangt.

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Kategorie: Devianz und Kriminalität, Kriminologie allg., Rezension, Sexualdelinquenz Stichworte: Forschung, Hamburg, Prostitution, Reeperbahn, Rotlichtmilieu, Sex, Zwangsprostitution

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