In Kooperation mit dem Surveillance Studies Blog veröffentlicht Criminologia Rezensionen von Bücher aus den Bereichen Überwachung & Kontrolle und Kriminologie.
Weitere Rezensionen finden sich hier.
Titel: | Das Knast-Dilemma. Wegsperren oder resozialisieren? Eine Streitschrift. | |
Autor: | Bernd Maelicke | |
Jahr: | 2015 | |
Verlag: | C. Bertelsmann | |
ISBN: | 978-3-570-10219-0 |
Das ist schon mal klar: Gefängnisse sind teuer und weitgehend erfolglos. Zudem sind sie voller Gefangener, die zum überwiegenden Teil – mangels Gefährlichkeit – gar nicht dort hingehören und die man im Zeitalter der Kontrollgesellschaft ebenso gut oder sogar besser ambulant sanktionieren, kontrollieren, therapieren und vor allem auch (wieder) integrieren könnte. Doch in Deutschland herrscht eine große Ideenlosigkeit – auch und gerade in dem Bereich mit dem sprechenden Namen „Strafrechtspflege“. Es herrscht hier unter anderem, was Bernd Maelicke als „Sanktionsarmut“ bezeichnet. Immer nur Geldstrafe oder Freiheitsstrafe. Entweder auf Bewährung oder eben nicht auf Bewährung. Sonst nichts. Und wer die Geldstrafe nicht zahlt, muss dann halt ins Gefängnis. Die Gefängnisse sind nicht zuletzt voller Leute, die nicht mal laut Strafurteil ins Gefängnis sollten, dann aber – per „Ersatzfreiheitsstrafe“ – doch dort landen, wo sie allerlei Traumatisierungen und Frustrationen sowie vielleicht ungünstigen Kontakten ausgesetzt sind, die dafür sorgen, dass ihr Leben nach der Ersatzfreiheitsstrafe sehr viel schwieriger wird und sie vielleicht deshalb dann auch bald wieder zu Insassen werden. So kann sich ein im Grunde sinnloses System auch selbst beschäftigen und per Drehtür- und Kreisverkehr-Effekten selbst erhalten bis zum Sankt-Nimmerleinstag.
Diese Kritik am Gefängnis ist zwar so alt wie das Gefängnis selbst. Sie ist ein Dauerbrenner, der zum Diskurs über die Strafe gehört wie das Amen in der Kirche. Aber wo sie recht hat, hat sie recht. Meistens ist ihre Zielrichtung gradualistisch und reduktionistisch – auffallend selten abolitionistisch.
Meist ist ihr Leitmotiv die Beschränkung der Freiheitsstrafe auf die wenigen wirklich gefährlichen Täter, die nur einen kleinen Teil aller heute Einsitzenden ausmachen sollen. Erfahrene Praktiker sprechen oft von 20 bis 30 Prozent der Gefangenen, andere würden die Quote der dangerous few bei vielleicht 5 bis 10 Prozent ansetzen. Das wären dann (bei 5 Prozent) weniger als 3000 Strafgefangene für Deutschland, während über 50 000 heutige Gefängnisinsassen frei kämen und auf andere Art zur Verantwortung gezogen und reintegriert werden könnten und müssten. Das erfordert dann Differenzierungen, die mit dem Schema F der ärmlichen strafrechtlichen Sanktionspalette nichts mehr zu tun haben. Andererseits herrscht sowieso ein reger Austausch zwischen Drinnen und Draußen: in jedem Jahr treten ungefähr 50 000 Menschen ihre Strafe an – und in jedem Jahr werden auch ungefähr 50 000 Menschen wieder aus der Haft entlassen. Ob und wie die Entlassenen dann wieder in der Freiheit zurechtkommen, ist von erheblicher gesellschaftlicher Relevanz und ist auch wert, einmal genauer analysiert zu werden. Wie sagt doch Bernd Maelicke so schön: „Menschen zu bestrafen ist einfach und führt meistens zu nichts. Ihnen einen besseren Weg aufzuzeigen und sie zu unterstützen, diesen Weg zu gehen, ist schwer. Aber es lohnt sich.“
Mit Recht findet das Buch eine positive Aufnahme. Es bricht eine Lanze für den Resozialisierungsgedanken in schwierigen Zeiten. Es gewährt Einblicke in das Leben des Autors und in das Leben von Strafgefangenen. Es gewährt Einblicke in die Mühen praktischer Reformarbeit im Justizministerium – und es will eine neue Generation inspirieren, solche Mühen nicht zu scheuen, geht es doch immerhin darum, die Reaktion der Gesellschaft auf Straftaten so vernünftig, so menschlich und so effektiv wie möglich zu machen.
Eine lohnende Rezension des Buches stammt von Johannes Feest (zu finden im Strafvollzugsarchiv).
Übrigens: wenn man schon mal online ist, dann kann man auch die Gelegenheit beim Schopf ergreifen, das Knast-Dilemma hier gratis zu lesen.