Wer die gegenwärtige Diskussion über die JVA Lübeck nur anhand von Politikeraussagen (inklusive Piraten!!) und Medienberichten verfolgt, kommt auch ohne Detailkenntnisse aus, weiß er/sie doch inzwischen ganz genau: schuld an allem Chaos, an den unhaltbaren Zuständen und so weiter ist entweder der „liberale Strafvollzug“ oder der „liberale Strafvollzug in seiner jetzigen Form“ oder aber der „extrem liberale Strafvollzug“. Jedenfalls gibt es keine offizielle oder offiziöse Stimme, die den Topos der Liberalität als Ursache allen Übels einmal in Frage stellte.
Man muss schon lange suchen, bis man konkrete Darstellungen der Verhältnisse findet. Details über den Vollzugsalltag bietet allerdings, versteckt in den Leserbriefspalten der Lübecker Nachrichten (online) vom 29.12.2014, die Aussage einer Insiderin oder eines Insiders namens Jacky. Sie oder er zeichnet ein überraschend anderes Bild, und zwar ordentlich sortiert nach den einzelnen Hafthäusern der JVA Lübeck:
Das D-Haus, der Ort des Geiselnahme-Geschehens vom Heiligabend. Dort sucht man Liberalität vergebens. Dort befindet sich – mit Ausnahme des 24.12. – jeder U-Häftling genau 23 von 24 Stunden alleine auf seiner Zelle. In diesem D-Haus gibt es keinen Umschluss, schon gar keinen Aufschluss. Liberaler Strafvollzug??
Das G-Haus, wo eigentlich (!) im Tageswechsel jeweils eine Seite geöffnet sein sollte, wo es also den sog. Aufschluss geben sollte, ist oft komplett geschlossen – es gab schon bis zu 10 Tage ohne jeden Aufschluss; dann erhielten die Gefangenen ihr Abendbrot gleich nach der Ausgabe des Mittagessens auf die Zelle. O-Ton Jacky:
Die Kollegen arbeiten schwer an diesen Tagen. Leere Flure bewachen, sitzend im Büro.
Das E-Haus wird als „das offene Haus“ bezeichnet, weil die Zellen dort täglich von 10-11 Uhr sowie nach dem Arbeitseinrücken von 15:30 bis 18:50 Uhr geöffnet sein sollen. Doch auch dort läuft es nicht, wie es laufen sollte. Jacky weiß:
Auch dieses Haus hat regelmäßig Einschluss. Dieses Haus hat drei Flure, jeder hat einen Beamtenraum. Bei Öffnung der Zellen müssen drei Bedienstete anwesend sein. Diese sollen dann auch auf der Station verteilt sein. DIESES wird prinzipiell aus eigener Ignoranz nicht getan. Stattdessen hält man sich gemeinsam im Aufsichtsbereich 1 auf. Dort gibt es einen zusätzlichen von den Gefangenen nicht einsehbaren Kaffeeraum. Der Vorraum muss aus Sicherheitsgründen immer besetzt sein, weil man von diesem durch eine Glasscheibe den gesamten Gang übersehen kann. Ab ca. 17:15 h ist keiner der Herren noch zu sehen. Man sitzt gemeinsam bei Kaffee und Kuchen oder einer in der Gefangenen-Küche zubereiteten Mahlzeit zusammen. Niemand sitzt im Vorraum!
Der alle zwei Tage stattfindende Tausch von Einwegrasierern, der aus Sicherheitsgründen vorschreibt, dass dem Bediensteten deie alten ausgehändigt werden und dann maxiaml drei neue durch den Beamten ausgegeben werden, wird aus Faulheit sträflich übergangen. Damit die Kollegen nicht gestört werden, stellen sie den Karton mit dem Inhalt von 100-200 Rasierern hinter das Sicherheitsgitter, so dass die Gefangenen selbständig sich nach Lust und Laune bedienen.
Wer sich im Dienst die eigentliche Arbeit spart, hat viel Zeit für Klatsch und Tratsch, fürs Stänkern und Intrigieren. Jacky erinnert sich an den September 2013, als die neue Anstaltsleiterin ihren Dienst antrat:
Als es hieß, Frau Mauruschat möchte das ein oder andere zugunsten der Gefangenen ändern, hieß es von den Herren Kollegen: Was glaubt die, wer sie ist. Die muss nicht glauben, dass sie hier neue Sitten einführen kann. Das wissen wir schon zu verhindern. Und wenn dann Ausführungen anstehen, auf die man keine Lust hat, dann macht man schön krank. So geht es und so wird es praktiziert.
Bei rund 420 männlichen und weiblichen Gefangenen befanden sich in der JVA Lübeck über lange Zeit lediglich 12 bis 15 im offenen Vollzug. Liberaler Strafvollzug?
Um die Mär vom liberalen, vom extrem liberalen Strafvollzug in der JVA Lübeck aufrechtzuerhalten, muss man die Öffentlichkeit dumm halten. Für nicht nachlassende Bemühungen danken wir den Redakteurinnen und Redakteuren des Hamburger Abendblatts, der Lübecker Nachrichten sowie den Landtagsfraktionen der CDU, der FDP und merkwürdigerweise auch der Piraten.
Johannes Feest schreibt
Dieser Unterschied zwischen dem liberalen Imagen und der banal-brutalen Realität ist wirklich frappierend. Ich fürchte, dass dies auch der Unterschied zwischen dem relativ liberalen Gesetz (dessen Entwurf ich soeben besprochen habe) und der künftigen Praxis sein wird.
Jacky schreibt
JVALübeck Liberaler Strafvollzug im Lauerhof
Der Artikel auf den sie sich aus der Lübecker Nachrichten beziehen
„Insider Jacky“ stammt von mir.
Da gebe es einiges auf sachlicher Basis
hinzuzufügen.
MfG
Sebastian schreibt
Ja, das würde mich doch sehr interessieren.
Cool wie Eis schreibt
Hier und auf weiteren Websites wird immer nur über den Strafvollzug im geschlossenen Bereich diskutiert,… wie auch immer. Im offenen Vollzug gehören Beleidigungen, Nötigung und anmaßendes Verhalten den Bewohnern gegenüber zur Tagesordnung. Hier sprechen wir aber nicht vom Verhalten der Bediensteten (die machen hier einen prima Job), sondern dem der Abteilungsleitung, Vollzugsleitung und der Anstaltsleitung gegenüber den Bewohnern.
Beschwerdeschreiben an die Anstaltsleitung vom 26.02.2015:
[…]wir, die Bewohner des offenen Vollzugs (l-Haus), bitten Sie kurzfristig um ein persönliches Gespräch. Wir wenden uns vertrauensvoll an Sie in der Hoffnung, dass dieses direkte Gespräch keine Repressalien und negative Auswirkungen auf den weiteren Vollzug im l-Haus nach sich ziehen werden. Das Vertrauen zur Abteilungsleitung des l-Hauses ist leider nicht mehr gegeben.
Unsere Anliegen umfassen u.a. die Planungssicherheit zur Entlassungsvorbereitung, der offene Vollzug im Allgemeinen sowie die Gebäude- und Ausstattungsmängel im l-Haus. […]
Noch am gleichen Tag führte die Abteilungsleitung in guter alter Stasimanier und unter den bekannten cholerischen Anfällen, einige Bewohner in Einzelgesprächen zu beschimpfen und zu bedrohen. Viele der Bewohner zogen ihre Beschwerden zurück oder sagten aus Angst vor unschönen Folgen nicht die Wahrheit.
In der darauf folgenden Woche wurden schließlich 6-Augen-Gespräche mit jeweils einem Bewohner, der Abteilungsleitung und der Vollzugsleitung geführt. Jedem Bewohner wurde u.a. die Frage gestellt, ob er sich von der Abteilungsleitung sexuell belästigt fühle.
Diese Frage beruht auf einer Aussage der Abteilungsleitung gegenüber einer Bewohnerin („… mein Jagdwochenende wäre erfreulicher verlaufen, wenn ich sie vor der Flinte gehabt hätte.“).
Diese Bewohnerin hat in diesem 6-Augen-Gespräch die Chance genutzt offen über ihre Probleme mit der Abteilungsleitung zu sprechen und berichtete der Vollzugsleitung von permanenten Drohungen der Abteilungsleitung („Ich kriege jeden wieder zurück in den geschlossenen Vollzug“) und cholerischen Anfällen in Einzelgesprächen. Diese Bewohnerin fühlte sich bedroht und in Furcht versetzt, hoffte auf Hilfe durch die Vollzugsleitung. Die Vollzugsleitung ließ die Aussagen unkommentiert und verhängte „als Strafe“ die Rückverlegung in den geschlossenen Vollzug.
Diese Verlegung fand allerdings erst am 24.03.15 statt, nachdem die Abteilungsleitung und/oder Handlanger die Zeit nutzen konnten andere Bewohner auf der Station zu schriftlichen Aussagen zu bewegen, welche die Gründe für eine Rückverlegung möglich machten. Da diese Person sich bisher beanstandungslos im Vollzugsverhalten zeigte, arbeiten ging, keinerlei Missbrauch betrieb oder straffällig geworden ist, blieb ja nur noch die Möglichkeit der Nichteignung für den offenen Vollzug. Diese „Nichteignung“ (stört den Hausfrieden etc.) wurde also von drei Bewohnern auf der Station schriftlich niedergelegt und als Grund für die Rückverlegung genutzt. Die Nachweise anhand von SMS zwischen Bewohnern und dieser „Störenfriedin“, welche eindeutig zeigen, dass es keine Probleme mit anderen Bewohnern gab, interessierten die Vollzugsleitung nicht. Tja, die Wahrheit ist oft schmerzhaft. Und dann muss man sich auch mal unlauteren Mitteln bedienen und aus lauter Verzweiflung unbedingt ein Bauernopfer finden um eigene Straftaten zu vertuschen.
Es liegt ganz klar auf der Hand, dass hier in eigener Sache ermittelt, ja manipuliert wurde um seinen wackelnden Stuhl wieder ins Gleichgewicht zu bringen, um hinterher mit weißer Weste weiter sein Unwesen treiben zu können.
Schließlich muss man ja „so eine Sache im Keim ersticken“ und „ein Exempel statuieren“! (Originalzitate der Abteilungsleitung)
Was und wofür? – Die Wahrheit ersticken und den Bewohnern zeigen, dass man wieder weggesperrt wird, wenn man sich wehrt und die Wahrheit sagt?
Leider wurde den anderen Bewohnern unter Androhung der Rückverlegung und sonstigen Restriktionen ein Maulkorb verpasst. Die Bediensteten haben leider auch keine Möglichkeit in dieser Sache zu helfen, auch wenn sie es teilweise könnten. Aber auch diese Menschen müssen Restriktionen fürchten.
Ach ja: Die Anstaltsleitung hat bis heute nicht auf das Schreiben reagiert.
Der Anstaltsbeirat konnte oder wollte in dieser Sache auch keinen Einsatz zeigen.
Die Anstaltsleitung und der Vollzugsleiter waren bis heute für den Rechtsanwalt dieser Bewohnerin weder telefonisch noch persönlich zu sprechen, auf Anschreiben des Anwalts wurde bis heute nicht reagiert.
Die betreuende Psychologin wurde sogar gefragt, ob Suizid bei dieser Bewohnerin bei Rückverlegung bestehen würde. Ja, ja, ja, da wollte jemand einen Menschen gaaaaanz weit wegsperren…
4 Wochen sind nun vergangen und die Bewohnerin sitzt weggesperrt im geschlossenen Vollzug. Selbst die nun zuständige Abteilungsleitung konnte bis heute keine Aussagen über den weiteren Verlauf machen. Es soll auch nicht unerwähnt bleiben, dass der Arbeitgeber (große, renommierte Personaldienstleistung) dieser Bewohnerin weiterhin einen Arbeitsplatz zusichert und trotzdem von Seiten der Justiz nichts unternommen wird.
Ziemlich wirre Geschichte… in der zum gegebenen Zeitpunkt evtl. noch einige Punkte näher erläutert werden müssen.
Handelt es sich hier eigentlich um Vorteilsnahme, Nötigung und/oder Bedrohung?
Als befremdlich wird das Nichtstun der SSW empfunden, welche zwischenzeitlich über diese Angelegenheit informiert wurde.
Strafgefangene sind nicht vogelfrei! Die Regierung hat Ihre leitenden Mitarbeiter nicht im Griff und gewährt Verdunkelungsmöglichkeiten!