In Kooperation mit dem Surveillance Studies Blog veröffentlicht Criminologia Rezensionen von Bücher aus den Bereichen Überwachung & Kontrolle und Kriminologie.
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Titel: | Monster. Rendezvous mit fünf Mördern | |
Autor: | Micael Dahlén | |
Jahr: | 2014 | |
Verlag: | Campus Verlag | |
ISBN: | 3593500019 |
Einleitung
Als ich das Buch zum ersten Mal in der Hand habe, fällt mir zunächst ein Kontrast ins Auge. Einerseits ist da dieser edle, beige Stoffeinband, andererseits prangt darauf in fetten schwarzen Lettern die Überschrift „Monster“ und, für mich noch verstörender, dahinter ein (blut-)roter Handabdruck. Mit meinen Vorstellungen des Buches eines Professors der Stockholm School of Economics passt das nicht zusammen: Ich hatte – selbst angesichts des Themas – etwas Nüchterneres, weniger Skandalträchtiges erwartet.
Micael Dahlén ist Professor im Fachbereich für Marketing und Strategie an der Stockholm School of Economics. Seine Forschungsgebiete umfassen Konsumentenverhalten, Kreativität und Marketing. Er hat bisher sechs Bücher zu sehr unterschiedlichen Themen geschrieben: von Marketing über Sex und Social Media bis hin zu Mördern. Auf der Homepage der Universität finden sich leider kaum Informationen zu seiner Person; mehr Informationen bietet jedoch seine offizielle Homepage.
Inhalt: Über Mörder, ihre Tatmotive und die Faszination ihrer Taten
Das Buch ist in zehn Kapitel gegliedert, wobei das erste eine Hinführung zum Thema bietet, die Kapitel zwei bis sechs sich jeweils der Geschichte einer Person widmen, die Dahlén für dieses Buch besucht und interviewt hat und die letzten vier Kapitel sich der Suche nach Antworten auf die Ausgangsfrage danach widmen, wie es sein kann, dass Menschen die gemordet haben so populär sein können wir Stars.
Das erste Kapitel (S. 7-26) bietet einen Einstieg in die Vorgeschichte des Buches und Dahlén schildert sein persönliches Interesse an den Geschichten von „Mördern“. Er beschreibt, wie aus Interesse eine Art „Bessesenheit“ (S.11) wird, die in einem Bedürfnis mündet, Menschen, die jemanden ermordet haben, treffen zu wollen. Und so besuchte er fünf Menschen, die die Welt als Mörder ansieht und die dafür berühmt sind: Issei Sagawa, Peter Lundin, Dorothea Puente, Wayne Lo und Charles Manson.
Dahléns Ausgangspunkt ist das oben bereits angesprochene Paradox: Einerseits benennt er (nicht näher explizierte) Studien, die gezeigt haben, dass Mord zeit- und kulturunabhängig von Menschen als schlimmstes Verbrechen bewertet wird, das abscheulich ist – Mörder also „Monster“ sind (vgl. S.10/11). Andererseits ist er konfrontiert mit Berichten über Mörder, die berühmt sind und Anerkennung genießen. Er ist bei seiner Reise geleitet von den Fragen, was Mörder für Menschen sind, wie sie so etwas Grauenhaftes tun und trotzdem geliebt und wie sie zu Helden der Medien werden können.
Einer Antwort auf diese Frage kommt der Leser in den nächsten fünf Kapiteln (S. 27-143) nicht näher. Hier werden Teile der Geschichten der Menschen erzählt, die Dahlén getroffen hat. Die Kapitel sind immer nach demselben Muster aufgebaut: Es gibt ein bisschen Gegenwart im Sinne der Schilderung der Begegnung mit dem „Monster“ (S. 14), mit einem Fokus auf die Wirkung von Ausstrahlung, Geschichte und Verhalten des „Monsters“ sowie der Umgebung auf Dahlén. In der Gegenwart spielen auch immer einige Freunde, virtuelle Freunde und Verehrer der „Monster“ eine Rolle. Sie werden zitiert oder Dahlén beschreibt, wie sie mit den „Monstern“ in Berührung gekommen sind und ihre aktuelle Beziehung zu diesen aussehen – meist mit einem Fokus auf Faszination/Verehrung. Und es gibt in diesen fünf Kapiteln ein bisschen Vergangenheit im Sinne ausgewählter Aspekte der frühen Lebensgeschichte der „Monster“ und (pikanten) Details ihrer Morde („Das frische Fleisch, das einen Augenblick vorher noch eine Frau war, die deutsche Poesie vorlas, fällt zu Boden“ (S.37).
Jedes dieser fünf Kapitel enthält auch eine mitschwingende Hypothese zur Erklärung der Morde und eine Beschreibung, worin die Berühmtheit der Person zum Ausdruck kommt.
Issei Sagawa (S. 27-48) umreißt er als ein ehemals kleines, hässliches Wesen, das durch die Medien zum Riesen gemacht wurde. Peter Lundin (S.49-72) wird als Alphatier gekennzeichnet, zu dem scharenweise Frauen pilgern, um mit ihm Sex zu haben. Dorothea Puente (S. 73-94) beschreibt Dahlén als eine Person, die immer nach einem glamourösen und aufregenden Leben gestrebt hat, welches sie mit ihrer Anklage und Verurteilung erreichte. Wayne Lo (S. 95-116) wird als einsamer Perfektionist geschildert, der sich von anderen nicht genug geschätzt gefühlt hat. Die Darstellung Charles Mansons (S.117-144) nimmt am Rande Bezug zu dessen Religion ATWA und fokussiert die Haltung, dass er als Nichts geboren wurde und nun von anderen mit allem gefüllt werden könne, um Profit mit ihm zu machen. Dahlén führt an dieser Stelle den Begriff Mansonomics ein, der vermittelt, dass solange sich alle einig sind, dass Manson das absolute Unrecht begangen hat, jeder damit Geld verdienen kann.
Das siebte Kapitel (S. 145-166) widmet sich zunächst der Analyse von Dahléns eigenen Reaktionen auf die Mörder und die Begegnungen mit ihnen. Er geht von dem Begriff „Fan“ aus und skizziert Fans als übertrieben begeistert, unkritisch und verrückt in Bezug auf ihr Idol und fragt, ob Mord dieselbe Wirkung haben kann wie z.B. Musik oder Schauspiel.
Dahlén schildert im Folgenden einige Experimente, die er durchgeführt hat, um der Beantwortung seiner Leitfrage näher zu kommen. Die Darstellung der Experimente ist sehr kurz gehalten, so dass ein vollständiges Nachvollziehen seines Vorgehens nicht möglich ist.
Das erste Experiment wird mit einigen hundert Personen durchführt, denen Beschreibungen von fiktiven Personen vorlegt werden, die sie dann bewerten sollen. Die Beschreibungen der Personen unterscheiden sich nur im Geschlecht (John und Jane) und in der Tatsache, dass bei der Hälfte der Zusatz zugefügt ist, dass John bzw. Jane schon einmal gemordet hatte. Als Ergebnis seines Experiments hält Dahlén fest, dass der Mord-Zusatz den Status der Personen leicht hebt; sie als etwas berühmter und populärer eingeschätzt werden. Hierin sieht er die Merkmale des Fans erfüllt: die Teilnehmenden fühlen sich von denjenigen angezogen, die jemanden umgebracht haben: unkritisch und verrückt.
Er schildert im Folgenden Mord als die schlimmste menschliche Tat, die zugleich auch nicht menschlich ist, weil menschliche Grenzen dadurch überschritten würden. Dahlén modifiziert daraufhin seine Forschungsfrage dahingehend, ob das Begehen eines Mordes dazu führt, einen Übermenschen zu schaffen.
Um dem nachzugehen, führt er ein zweites Experiment durch, für welches er weitere Beschreibungen von Personen entwickelt und Teilnehmende neben den Beschreibungen auch Fotos der Personen sehen. „Mörder“ werden von den Teilnehmenden als intelligenter, stärker und erfolgreicher bewertet – aus Dahléns Sicht (Führungs-)Eigenschaften von Übermenschen.
Nach einem Austausch mit der wissenschaftlichen Fachwelt besteht Dahléns nächste Etappe auf seiner Forschungsreise in der Entwicklung eines weiteren Experiments. Hierfür differenziert er vier Typen von Mördern anhand des spezifischen Modus Operandi. Diesen Typen lassen sich auch seinen Interviewpartnern zuordnen. Das Experiment zeigt, dass John, der jemanden mit bloßen Händen tötet, stark und kraftvoll wirkt und eine erhöhte Anziehungskraft auf Frauen hat. John, der jemanden erschießt, genießt ein höheres Ansehen, vor allem bei anderen Männern. John, der jemanden ersticht, wird als unerschrocken und entschlossen wahrgenommen. Er ruft Neugierde hervor. Von Jane, die jemanden vergiftet, wird angenommen, dass sie intelligent und reich sei sowie ein hohes Ansehen genieße.
Dahlén stellt sich daraufhin die Frage, ob die Anzahl der Morde, die jemand verübt hat, eine Rolle bei der Wirkung auf andere spielt. Er führt ein viertes Experiment durch, bei dem die beschriebenen Personen sich nur durch die Anzahl der begangenen Morde unterscheiden. Jane wird durch mehrere Morde nicht attraktiver, ihr Ansehen sinkt eher leicht mit mehr als einem Mord. Bezogen auf das Ansehen bei anderen, ist zwei die optimale Mordanzahl für John. Dahlén spekuliert, dass dies dem Betrachter zeigen könnte, dass nicht Zufall oder Glück zum ersten Mord führten.
Neben diesen „künstlichen“ Experimenten legen Dahlén und vier seiner Freunde je zwei Profile auf einer Partnersuche-Website an. Die Profilpaare unterscheiden sich wiederum nur darin, dass einem der Profile der Zusatz hinzugefügt ist, dass die Person gemordet hatte. Im Schnitt erhielten die Profile mit dem Mord-Zusatz etwa 20% mehr Post: für Dahlén Beweis, dass Mörder nicht nur im Experiment, sondern auch in der Wirklichkeit von anderen als attraktiver wahrgenommen werden.
Im achten Kapitel (S. 167-188) schildert Dahlén die nächste Etappe seiner Forschungsreise, die ihn nach Hollywood führt. Hier unterhält er sich mit einem Produzenten und einem Filmkritiker, denn er fragt sich, warum Film und Fernsehen so sehr mit Mord gespickt sind. Er verweist lediglich auf die Omnipräsenz von Mord und stellt die Frage, ob diese zu einer Abstumpfung führe.
Dahlén beschreibt im neunten Kapitel (S. 189-204), dass er eine Morddrohung erhalten und von einem amerikanischen Psychologieprofessor erfahren habe, dass 91% der Männer und 84% der Frauen in ihrem Leben schon einmal daran gedacht haben, jemanden umzubringen. Daraufhin dreht er seine Kernfrage um: Warum bezeichnen wir ausgerechnet das als schlimmstes Verbrechen, an das wir so oft denken und von dem wir so fasziniert sind? Er fragt sich, ob Mord mit survival of the fittest zusammenhängt, denn ihm fällt eine Logik auf: Die Motive seiner Interviewpartner_in, die Morde zu begehen, liegen in den Wünschen nach Liebe, Ansehen und Geld. Dies sind nun genau jene Merkmale, die Versuchspersonen bei seinen Experimenten in die Mörder hineinprojezieren. Dahlén betrachtet Mord als kollektives Erbe der Menschheit, das in der modernen Gesellschaft zunehmend unwichtig wird, aber weiter in uns steckt. Aus Dahléns Sicht hat die Zivilisation vor allem Regeln und Gesetze des Zusammenlebens mit sich gebracht, um das Risiko für Mord einzudämmen.
Er fragt sich, wie Normen davon beeinflusst werden, dass Mord vor allem durch die Medien Teil des menschlichen Alltags geworden ist. Und es interessiert ihn, wie sich durch diese permanente Konfrontation Ansichten darüber verändern, was mit Mord zu verdienen ist.
Dahlén schließt sein letztes Kapitel (S. 205-216) damit, dass es in dem Buch um seinen Weg zu sich selbst, seine persönliche Reflexion geht. Er hat sein uraltes Mörder-Unterbewusstsein und die Normen kennengelernt, die es zurückhalten. Letztlich bewertet Dahlén die Industrie um Mord, die aus aus Büchern, Nachrichten, Filmen, Videospielen u.a. besteht, als Ventil, um alten Instinkten einen gemäßigten Freilauf zu geben. Das Buch schließt mit der Aussage, dass wir in Mördern lediglich unser Spiegelbild sehen. Diese wird – wie es der Einband des Buches verspricht – dramatisch in Szene gesetzt: „Was sollen die Leute in ihm sehen? Charlie [Charles Manson; Anm. d. Verf.] legte mir die Hand auf den Arm, beugte sich ganz nah zu mir herüber und sah mir tief in die Augen. Ich erinnere mich, wie mein Gesicht in seinen tiefschwarzen Pupillen reflektiert wurde. ¢Ihr Spiegelbild.¢“ (S. 216)
Fazit
In der Gesamtbetrachtung liest sich Dahléns Buch angenehm flüssig. Sein größter Unterhaltungswert liegt in den fünf Kapiteln über Issei Sagawa, Peter Lundin, Dorothea Puente, Wayne Lo und Charles Manson; der Mischung aus der Beschreibung der aktuellen Begegnungen mit und der aktuellen Begeisterung für die Personen sowie der Rückschau auf die faszinierendsten Elemente ihrer (mutmaßlichen) Taten.
Aus sozialwissenschaftlicher Sicht bietet das Buch keine großen Neuigkeiten. Die aufgestellten Hypothesen wirken oberflächlich, die Experimente selbst ebenso wie deren Ergebnisse wirken auf wissenschaftlich geschulte Leser nicht zuverlässig, weil sie aufgrund der verkürzten Darstellung nicht nachvollziehbar sind.
Sehr bedauerlich ist, dass der Aspekt der Konstruktion der „Monster“ nicht stärker aufgegriffen wird. Dahlén verweist lediglich an einer Stelle darauf, dass die label „Monster“ und „Mörder“ zugeschrieben sind: „Aber eine Sache haben sie alle gemeinsam: Sie haben getötet. Oder besser gesagt: Sie wurden alle für Mord verurteilt. Dorothea und Charlie haben nie gestanden, dass sie jemanden von eigener Hand getötet haben. Aber ihnen allen ist gemein, dass die Welt sie als Mörder ansieht. Und dafür sind sie bekannt und berühmt.“ (S. 23/24) Darüber hinaus schwingt dieser Gedanke nur latent mit und wird nicht weiter expliziert oder für die Analyse nicht fruchtbar gemacht.
Ebenso bleibt die Rolle seines eigenen Buches auf dem Markt um die „Monster“ wenig reflektiert. „Mir fällt auf, dass das Buch, das ich schreibe, auch ein Teil des Ganzen ist. […] Das sich auf unsere seltsamen, unangenehmen, unkritischen und verrückten Reaktionen auf Mörder stützt. Dieses Buch ist ein Teil der Industrie.“ (S.213)
Dieses Buch ist etwas für jemanden, der ein unterhaltsames, leicht lesbares Buch zum Thema Mord und der Faszination darum sucht: es gibt Denkanstöße und Hypothesen. Dahléns Gedankengang ist leicht nachvollziehbar, sein Schreibstil angenehm. Wer aber große Erwartungen an die Erklärungskraft des Buches stellt, wird jedoch schnell enttäuscht.