Es ist Samstag Nacht, der 26. April 2014, im US-Staat Montana. In der Stadt Billings fällt ein Schuss. Der 50 Jahre alte Hauseigentümer schießt auf einen vermeintlichen Einbrecher in seiner Garage. Er hatte leise Geräusche vernommen. Später stellt er fest: es war sein eigener Gast, der bei ihm während eines Kurses wohnte und zu den Freunden der Familie gehörte. Der 19 Jahre alte Gast war in die Garage gegangen, um ohne zu stören auf seinem Handy zu telefonieren. Wahrscheinlich, so der Behördensprecher, werde die Sache keine strafrechtlichen Konsequenzen haben. Es sei denn, das Opfer sterbe – dann sei ein Verfahren wegen fahrlässiger Tötung denkbar.
Dieselbe Nacht, derselbe Staat. In der Stadt Missoula fallen Schüsse. Es ist kurz nach Mitternacht. Unser Altonaer Nachbar Diren Dede, als Austauschschüler kurz vor seiner Rückkehr nach Hamburg, wird vom 29 Jahre alten Hausbesitzer Markus K. erschossen. Das Hamburger Gymnasium ALLEE an der Max-Brauer-Allee wird ihn ebenso wenig wiedersehen wie sein Fußballverein, der SC Teutonia 1910 in Altona. Diren Dede war überglücklich gewesen, in den USA leben zu dürfen. In der Schule war er überaus beliebt. Was er nicht wusste: in Montana wird schneller geschossen als gedacht. Selbstjustiz ist üblich und wird nur in beschränktem Maße strafrechtlich verfolgt: die sog. Castle-Doktrin und die Stand-Your-Ground-Gesetzgebung verhindern in den meisten Fällen schon jede Anklage, wenn ein Hauseigentümer auf seinem Grund und Boden eine Person an- oder erschießt, von der er sich – irgendwie – bedroht fühlt. Ob Diren das von seiner Austauschorganisation wohl gesagt worden war?
P.S.: Seit der Fall international von den Medien aufgegriffen wird, haben sich die Äußerungen aus Missoula stark verändert. Inzwischen ist die Staatsanwaltschaft aktiv geworden und der Todesschütze ist „now facing a felony charge of deliberate homicide.“
P.S.: Ich finde die Bilder von Diren Dede als Fußballspieler sehr schön. Man findet sie auf der Seite von SC Teutonia 1910, allerdings etwas versteckt, hier: http://teutonia10.de.to/
P.P.S.: Die Strafjustiz von Montana und insbesondere von Missoula ist nicht gerade berühmt. Die Regierung in Washington (selbst nicht mehr so berühmt) sah sich schon im Februar 2014 zu einem kritischen Brief nach Montana veranlasst: http://www.justice.gov/opa/pr/2014/February/14-crt-166.html
P schreibt
Man könnte sich natürlich noch fragen, was denn der liebe Diren um 00:30 in der Garage von fremden Leuten machte.
Altona schreibt
„Gymnasium Alle“ — die Schule kenne ich noch gar nicht, obwohl ich auch in Altona wohne.
Vielleicht hätte man dem Jungen sagen sollen, dass er sich in Amerika nicht wie im anatolischen Altona benehmen sollte.
Sebastian schreibt
@Altona: vielen Dank gleich zwei Mal. Erstens für den höflich-indirekten Hinweis auf den Tippfehler beim Gymnasiums-Namen: gemeint war das sicherlich auch @Altona bekannte Gymnasium ALLEE an der Max-Brauer-ALLEE (benannt nach seiner Lage an dieser Verkehrsader, die bis 1975 nur „Allee“ hieß). Zweitens aber auch für die sanfte Formulierung des allerersten Reflexes, den wohl jeder nachvollziehen kann: was hatte der 17 Jahre alte Diren denn nachts in einer fremden Garage verloren? Mein Beitrag hatte jede Überlegung zur Ursache abweichenden Verhaltens vermissen lassen. Das hatte allerdings auch einen Grund: was auch immer ihn dazu bewogen haben mag, die Garage alleine und unbewaffnet zu betreten, ist in meinen Augen völlig irrelevant angesichts der vier Schüsse auf den Jugendlichen, von denen nach gegenwärtigem Wissensstand zwei direkt auf das Gesicht gingen. Nicht, dass ein Jugendlicher sich mal daneben benimmt, ist der Skandal, und auch nicht, dass seine Familie vielleicht aus Anatolien nach Deutschland kam. Sondern die jedes Maß und jede Menschlichkeit verhöhnende Überreaktion des Hauseigentümers, die offenbar nicht nur von der Gesetzeslage in Montana begünstigt, sondern auch von @Altona durch die von ihm vorgenommene Akzentverschiebung in Richtung Türken-Bashing und autoritärer Rechtschaffenheit mit Beifall bedacht wird.
Ingo schreibt
Wer sich unbefugt Zutritt zu einem Grundstück, einem Haus, einem Dach, Keller oder einer Garage verschafft um etwas zu stehlen, ist ein Verbrecher.
Hierbei spielt es keine Rolle, ob eine Tür, Fenster, Dach oder Keller offen, angelehnt, verschlossen oder nicht vorhanden ist, er Rot, Braun, Schwarz, Gelb, oder Weiß ist, ob er 17, 30, oder 70 Jahre alt ist, um welche Uhrzeit, Datum, welche Örtlichkeit es sich handelt und ob er ein Auto, Fernseher, Getränke, Nägel, oder sonst etwas stehlen wollte!
Ebenso unwichtig ist es ob er ein Austauschschüler, Hilfsschüler, Hauptschüler, Mittelschüler,
Gymnasiast, Student, Arbeiter, Arzt, oder sonst was ist, es sich um einen Einmal-, Mehrfach-, oder Gewohnheitsverbrecher handelt.
Das Diren D. nun ausgerechnet an Markus K. geraten ist, der zuvor bereits zweimal von ebensolchen Verbrechern heimgesucht wurde, war halt sein Pech und Schicksal. Wer ein Verbrechen begeht, muss auch das Risiko in Kauf nehmen, dass es anders kommen kann.
Da helfen auch keine niedlichen Fußballbildchen des Vereines, keine Lobhudeleien, oder sonstige
Schönredereien. Ein Verbrechen ist und bleibt ein Verbrechen.
Inwieweit sich Markus K. eines vorsätzlichen Verbrechens schuldig gemacht hat, steht auf einem anderen Blatt und wird nach dem örtlichen Recht auch entsprechend geahndet.
Sich über das amerikanische Recht zu muckieren steht uns absolut nicht zu und ist auch nicht unsere Sache. Wir haben genügend Dreck in unserem eigenen Land zu liegen den wir beseitigen sollten bevor wir auf Andere mit dem Finger zeigen!
Connie schreibt
@Ingo: In vielen amerikanischen und deutschen Medienberichten, die seit Sonntag veröffentlich werden, ist weder vom Stehlen noch vom Verbrechen bei Diren D. die Rede. Vielleicht wissen Sie (schon) mehr als andere? Wenn nicht, dann wünsche ich mir weniger Vorverurteilung bei Diren oder wenigstens eine ähnliche liberale Haltung, die Sie dem Schützen zukommen lassen. Die Unschuldsvermutung ist ein sehr, sehr kostbares (Rechts-) Gut. Ihre größtenteils auf der Annahme eines Verbrechens beruhenden breiten Ausführungen über Diren wirken hilflos, aggressiv und erscheinen mir wenig gewinnbringend und informativ. Ihr Kommentar wirkt sogar anmaßend auf mich. Was ist Ihr Ziel?
Des Weiteren können kritische Blicke und Reflexionen auf Gesetze und Rechtsprechungen äußerst konstruktiv sein. Beides ist sogar unbedingt zu empfehlen, durch Bürger und Rechtsorgane im eigenen Land aber natürlich auch durch andere. Ein gutes Beispiel ist für mich der Europäische Gerichtshof. Er hat schon öfters rügend auf die eine oder andere problematische deutsche Rechtslage hingewiesen und dadurch korrigierend eingegriffen. Und das erscheint mir bislang ein gutes System.