In Kooperation mit dem Surveillance Studies Blog veröffentlicht Criminologia Rezensionen von Bücher aus den Bereichen Überwachung & Kontrolle und Kriminologie. Die nachstehende Rezension von Alexander Kamprad zum Sammelband „Transnational Organized Crime. Analyses of a Global Challenge to Democracy“ (Heinrich-Böll-Stiftung/Regine Schönenberg, 2013) stellt den derzeit jüngsten Beitrag in dieser Artikelreihe dar.
Weitere Rezensionen finden sich hier.
Titel: | Transnational Organized Crime. Analyses of a Global Challenge to Democracy | |
Herausgeber: | Heinrich-Böll-Stiftung/ Regine Schönenberg | |
Jahr: | 2013 | |
Verlag: | transcript Verlag, Bielefeld | |
ISBN: | 978-3-8376-2495-3 |
Organisierte Kriminalität als Feindin der Demokratie: Der Kampf gegen das transnationale organisierte Verbrechen gewinnt (wieder) an Konjunktur:
Als die UN-Generalversammlung im Jahr 2000 die Konvention gegen grenzüberschreitende organisierte Kriminalität (UNTOC), auch bekannt als Palermo-Konvention, verabschiedete, war schwerlich abzusehen, wie sehr der 11. September 2001 den sicherheitspolitischen Diskurs des beginnenden 21. Jahrhunderts kurze Zeit später prägen würde. Für einige Jahre wurde Terrorismus zum alles dominierenden Thema.
Das ändert sich wieder, soviel ist vernehmbar. TOC (Transnational Organized Crime) hat sich ihren Platz als Feindin, oder aber zumindest ernste Herausforderung der Demokratie, zurückerobert – zunächst als „Helferin“ des Terrorismus, aber zunehmend aus eigener Kraft. Darauf reagieren nun auch die Heinrich-Böll-Stiftung und Regine Schönenberg mit ihrem Sammelband zum Thema.
Den Herausgebern ist dabei eine durchaus umfassende Zusammenstellung gelungen. In gut zwei Dutzend Beiträgen und Interviews beschäftigen sich teils illustre Autoren und Befragte, etwa Edgardo Buscaglia, Veteran der TOC-Forschung, oder Steffen Salvenmoser, Chef der forensischen Abteilung von PricewaterhouseCoopers Österreich, mit thematischen und regionalen Beispielen, u.A. Cybercrime, Geldwäsche, Wirtschaftskriminalität, Korruption, Drogen-, Organ- und Menschenhandel, in Afghanistan, Mexiko, Brasilien, Nigeria, Italien und Deutschland.
Einerseits vermittelt sich anhand des Sammelbandes ein differenziertes Bild über mögliche geografische und qualitative Dimensionen von grenzüberschreitender organisierter Kriminalität. Andererseits ist zu monieren, dass der unwissenschaftliche Begriff TOC durch das ganze Buch hinweg relativ unbekümmert verwendet wird.
In diesem Zusammenhang lohnt es sich, mit einem möglichen Missverständnis aufzuräumen: nämlich dass TOC ein im engeren Sinne wissenschaftlicher, sei es kriminologischer, kriminalistischer oder juristischer (jenseits seiner völkerrechtlichen Verwendung) Begriff sei. Vielmehr handelt es sich um einen politisch-programmatischen Begriff, der vornehmlich auf die UNTOC-Konvention zurückgeht. In entwicklungspolitischen Kontexten gewinnt TOC zunehmend an Bedeutung und wirkt dabei versicherheitlichend.
Vor diesem Hintergrund beschweren sich denn auch gefühlt alle Autoren des Sammelbandes über die relative Unschärfe des TOC-Begriffs und werfen darüber hinaus wichtige Aspekte und Fragen auf: etwa Etannibi Alemika, der in seinem Beitrag über Nigeria die Uneigennützigkeit des Agenda-Settings westlicher Akteure bezweifelt; Ignacio Cano, der Zuschreibungen von „Transnationalität“ am Beispiel Brasiliens relativiert; oder Berit Bliesemann de Guevara, die allzu offensichtlichen Klischees über Bosnien-Herzegowina entgegentritt.
Besonders beeindruckend lesen sich die Beiträge über Afghanistan von Florian Kühn, Politikwissenschaftler an der Helmut-Schmidt-Universität, und Christoph Reuter, Journalist beim SPIEGEL. Sehr überzeugend werden hier die Nähe zwischen organisierter Kriminalität und Staat, und im Weiteren auch die Ähnlichkeiten von organisierter Kriminalität und (vor-)staatlicher (Selbst-)Organisation herausgearbeitet. In einem eigenen Beitrag über die brasilianische Amazonas-Region widmet sich auch die Mitherausgeberin Regine Schönenberg diesem schwierigen Wechselverhältnis.
Allerdings gelingt es insgesamt keinem der Autoren, oder keiner hält es für nötig, die Analyse auf die politischen und administrativen Akteure, die Proponenten des TOC-Begriffs, ihre politischen Programme, Aktivitäten und mögliche Interessen auszudehnen – obwohl das eigentlich als Paradedisziplin der Internationalen Beziehungen zu bezeichnen wäre, denen der Sammelband zuzuordnen ist.
Die Bekämpfung von TOC wird damit zur normativen Selbstverständlichkeit, eine wissenschaftliche Analyse hingegen erschwert. Dabei ist die gesteigerte Interessenlage internationaler Organisationen regelrecht zu greifen, als Lorenzo Bodrero in seinem Beitrag über alternative Methoden zur Bekämpfung der Mafia in Italien eher unfreiwillig beschreibt, wie die EU ihre Regelungskompetenz anhand des Themenspektrums organisierter Kriminalität auf Strafrecht ausdehnt.
Aber über den „War on Drugs“ als Ausgangspunkt des TOC-Konzepts (obgleich der Begriff „Krieg“ im internationalen TOC-Diskurs peinlich vermieden wird) ist nichts zu lesen. Auch nichts über die teils zweifelhaften Kooperationen westlicher Staaten und internationaler Organisationen mit Nicht-Demokratien zur Bekämpfung von TOC (etwa mit Iran); nichts über das Verhältnis von Menschenhandel und Beschränkungen transnationaler Mobilität und auch nichts über die nicht selten übertriebene diskursive Vermengung von TOC, Terrorismus und Massenvernichtungswaffen.
In der Gesamtschau offenbart das Buch daher gewisse analytische Schwächen. Jene Grundannahmen, die das TOC-Konzept implizit mitliefert, übernehmen die Autoren oft ohne sie zu hinterfragen. Manchmal befinden sie sich damit nahe an jenen Populismen, die über Kriminalität im Allgemeinen in Umlauf sind: Alles wird schlimmer, immer mehr Menschen leiden unter TOC; TOC ist nur schlecht, produziert nur volkswirtschaftliche Kosten und keine Gewinne; die Bekämpfung von TOC ist unzureichend und muss intensiviert werden; und schließlich: TOC kommt von außen – gar einem globalen Außen, jenseits aller Länder, entspringt transnational.
Jenen letzten Punkt, TOC als etwas Äußeres/Fernes/Fremdes, will die Herausgeberin explizit ausgeschlossen wissen. Wohl deswegen widmet sich der letzte Beitrag im Buch der Lage in Deutschland. Das wirkt etwas pflichtschuldig. Insgesamt ist die Lektüre aber zu empfehlen. Das Buch bietet einen guten Einstieg in die Thematik und liest sich sehr abwechslungsreich. Ein im Zweifel eher normativer Anspruch ist vor dem Hintergrund, dass eine politische Stiftung als Mitherausgeberin fungiert, verständlich.
Alexander Kamprad, Hamburg