Die Bildzeitung veröffentlichte anlässlich der jüngsten Tumulte im Zusammenhang mit der Roten Flora eine Art Interview mit dem Polizeigewerkschafter Joachim Lenders. In der Einführung war von einer „Gewaltorgie“ die Rede – und selbstredend war damit nicht die strukturierte, legitimierte, sondern die „nichtlegitimierte“ Gewalt gemeint. Auf die Frage, ob der Einsatz erfolgreich gewesen sei, sagte Lenders: „Ja, denn die Polizei konnte die Störer aus der Innenstadt fernhalten, wo Familien den Weihnachtsmarkt besuchten.“ Das Interview war ja, wie bei der Bildzeitung gewohnt sehr kurz, als nichtssagend möchte ich es allerdings nicht bezeichnen. Mir scheint nämlich, dass obiger im Gegenteil das Problem sehr genau benennt, ohne es aber zu verstehen.
Eine Parallele wäre der Sport; dort gibt es ja auch die „Chaoten“, „Idioten“ oder „Kriminellen“, die den Sport, vor allem den Fußball als harmloses Familienvergnügen entweihen. Nun wurde dazu passend vor kurzem gemeldet, dass Frau von der Leyen ihr Ministerium – das Verteidigungsministerium – dem Familienministerium unterstellen will. Familie – und sonst nichts?
Sigmund Freud hatte in seiner kulturkritischen Schrift „Das Unbehagen in der Kultur“ noch von einem Antagonismus zwischen Familie und Gesellschaft geredet. Das ist lange her. Inzwischen wird – vielleicht als Konsequenz des Lutherismus – die Gesellschaft durchfamiliarisiert. Man kann ihr quasi nirgends mehr entkommen. Alles muss schön, nett und familienfreundlich sein. Dass eine solche quasi inzestuöse „Struktur“ äußerst problematisch ist und geradezu gewaltaffin ist, möchte man heutzutage offenbar um keinen Preis wahrhaben. Aber Freud wusste: dort, wo starke Bindung ist, ist auch starke Aggression. Wenn diese aber nicht strukturbildend wirksam werden kann – und das verlangt, dass es außerhalb der Familie einen Fluchtpunkt, etwas Nichtfamiliäres gibt, von dem aus, die familiäre Verstrickung überwunden werden kann – dann fragt sich, wohin denn diese Aggression dann gelenkt werden soll. In einer Studie über Jugendgewalt wurde die nach innen gerichtete Gewalt gleich aus dem Untersuchungsbereich ausgeschlossen und wenn man an das Staatsbegräbnis denkt, das der Torwart Robert Enke erhalten hat, dann fragt man sich, ob es in der Gesellschaft nicht eindeutige Präferenzen für die Richtung der Aggression gibt. Andererseits eigenen sich die „Chaoten“ natürlich sehr gut als Projektionsfläche für diejenigen, die als Anwälte des Familialismus ja auch irgendwo mit ihrer Aggression hin müssen.
Ob die angestrebte Kommunalisierung der Roten Flora dieser nicht den Stachel nimmt und dem biederen Eiapopeia weiter in die Hände spielt, bleibt abzuwarten.
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