Im fünften Teil des Kriminalpolitischen Parteien-Checks zur Bundestagswahl 2013 steht das Bundestagswahlprogramm von Bündnis 90 / Die Grünen „Zeit für den Grünen Wandel – Teilhaben, Einmischen, Zukunft schaffen.“ im Mittelpunkt.
Allgemeines und Gestaltung

Das Grüne Bundestagswahlprogramm 2013 hat 336 Seiten und liegt in einer gebundenen sowie einer Online-Fassung (PDF) vor. Darüber hinaus gibt es das Wahlprogramm als Kurzwahlprogramm, in Leichter Sprache,- als Audio/ MP3, auch im DAISY-Format, als barrierefreie PDF, als Video in Gebärdensprache (in der Planungsphase) und als E-book (siehe: http://www.gruene.de/partei/gruenes-wahlprogramm-2013.html).
Die PDF-Version ist wie die Papier-Version einspaltig gesetzt. Das Titelblatt hat eine grüne Hintergrundfarbe, der Titel ist weiß und schräg ins Bild gesetzt. An den Titel wurde eine weiße Sonnenblume gesetzt, sodass neben der grünen Farbe auch die Sonnenblume das Markenbild der Partei wiedergibt. Die Schrift des Parteienprogramms entspricht ebenfalls dem grünen Markenbild, es handelt sich um die sogenannte „Grüne Syntax“. Diese ist zwar nicht auffällig, hat aber einen Wiedererkennungswert. Bilder werden nicht verwendet. Das Grüne Wahlprogramm ist schlicht aufgebaut und macht mit dem grün-weißen Layout einen frischen und mit der schräg gesetzten Schrift einen modernen Eindruck.
Der Inhalt unterteilt sich in 19 Kapitel und ein Schlusswort:
- Teilhaben. Einmischen. Zukunft schaffen. S. 7
- 100 % sichere Energie. S. 27
- Anders wirtschaften. S. 46
- Besser haushalten. S. 74
- Teilhaben an guter Arbeit. S. 88
- Teilhaben an guter Bildung. S. 104
- Teilhaben an sozialer Sicherung. S. 118
- Teilhabe für Jung und Alt. S. 140
- Intakte Umwelt und gesunde Ernährung für alle. S. 153
- Nachhaltige Mobilität für alle. S. 169
- Verbraucherschutz für alle. S. 179
- Freies Netz und unabhängige Medien für alle. S. 188
- Demokratie erneuern. S. 204
- BürgerInnenrechte stärken. S. 218
- Gleichberechtigung schaffen. S. 240
- Kunst und Kultur beflügeln. S. 252
- Unsere Politik vor Ort. S. 266
- Unser gemeinsames Europa. S. 281
- Unsere Eine Welt. S. 296
- Schlusswort. S. 319
Allen Kapiteln sind die jeweiligen Kernaussagen hinten angestellt (Wer GRÜN wählt, …) sowie die Schlüsselprojekte, die bei Regierungsantritt angegangen werden sollen. Am Anfang weist ein Inhaltsverzeichnis den Ober- und Unterkapiteln eine Seitenzahl zu, am Ende gibt es ein Stichwortregister und ein paar leere Seiten für Notizen.
Wortzählungen
Wie bereits bei den vorangegangenen Analysen von Parteiprogrammen wurde auch das Programm von Bündnis 90/ Die Grünen auf das Vorkommen von Schlagworten untersucht, die eine thematische Beschäftigung mit kriminal- und sicherheitspolitischen Themen nahe legen. Zum Vergleich mit dem vergangenen Wahlprogramm 2009-2013 von Bündnis 90/ Die Grünen befindet sich die damalige Häufigkeit der Wortnennungen in Klammern dahinter.
Begriff | Häufigkeit des Vorkommens |
Freiheit | 64 (103) |
Sicherheit | 109 (46) |
Gefahr, gefährdet | 39 (10) |
Terror | 15 (8) |
Bekämpfung | 14 (10) |
Krieg | 15 (14) |
Kriminalität | 10 (3) |
Kriminalisierung | 7 (-) |
Verbrechen | 3 (5) |
Straftäter | 0 (0) |
Straftat | 9 (-) |
kriminell | 3 (4) |
Droge | 23 (13) |
Datenschutz | 33 (19) |
Gesetz, gesetzlich | 189 (-) |
Überwachung | 19 (-) |
Verbot, verbieten | 47 (-) |
Kriminal- und sicherheitspolitische Positionen
Das Vorwort im Grünen Wahlprogramm erscheint in Form des ersten Oberkapitels und beginnt mit einer Ansprache an die Wählerin und den Wähler. Der Titel entspricht in etwa dem Untertitel des gesamten Wahlprogramms „Teilhaben. Einmischen. Zukunft schaffen. Warum es Zeit ist, etwas zu ändern.“
Als erstes präsentieren sich die Grünen als Vorreiter, sei es beim Atomausstieg, bei der ökologischen Nahrungsmittelindustrie, dem Feminismus und der Eine Welt Theorie. Ein großes Ziel der Grünen ist es
morgen endlich in einer vielfältigen Gesellschaft leben, in der Kinder, Frauen und Männer, Menschen verschiedener sexueller Identität, verschiedener Religionen, aus unterschiedlichen Kulturen oder unterschiedlicher Herkunft endlich gleichberechtigt leben können und gleiche Möglichkeiten haben.
(S. 9)
Auf den ersten Blick fällt es schwer, überhaupt kriminalpolitische Themen zu finden. Nur wenige Forderungen lassen sich eindeutig der Kriminalpolitik zuordnen. Die Grünen setzen eher auf Sozialpolitik als auf Kriminalpolitik und wählen deshalb eine Sprache, die sich von (repressiv orientierten) kriminalpolitischen Begriffen distanziert. Sicherheit wollen sie in den Dienst der Freiheit stellen, statt umgekehrt.
Das erste kriminalpolitische Thema befindet sich im Oberkapitel d) „besser haushalten“:
d) besser haushalten, S. 74
Im ersten Unterkapitel „Ökologisch, gerecht und wirtschaftlich vernünftig: die grüne Steuerpolitik“ wird die Bekämpfung der Steuerhinterziehung angesprochen:
Grüne Steuerpolitik ist gerecht, weil stärkere Schultern mehr tragen als schwache. Damit trägt sie zum sozialen Ausgleich bei. Gerecht ist oft auch einfach: Wenn wir das Steuerrecht entrümpeln und seine Qualität verbessern, reduziert das Gestaltungsmöglichkeiten findiger Steuertrickser. Gleichzeitig ermöglichen wir so den Finanzämtern geltendes Steuerrecht durchzusetzen – ein Beitrag zur Steuergerechtigkeit. Ein besserer Steuervollzug und die Bekämpfung von Steuerhinterziehung ist ein zentraler Baustein grüner Steuerpolitik.
(S. 77)
Wenn Banken wiederholt und schwerwiegend gegen Steuergesetze verstoßen, soll ihnen EU-weit der Lizenzentzug drohen. Die Steuerpflicht wollen wir wie die USA an die Nationalität koppeln und so Steuervermeidung per Wegzug verhindern.
(S. 81)
Ein weiteres eindeutig kriminalpolitisches Thema findet sich in Oberkapitel g:
g) Teilhaben an sozialer Sicherung, S.118
In Kapitel g) beschäftigt sich das 4. Unterkapitel zu nationaler aber auch internationaler Drogenpolitik, die auf „Prävention, Hilfe und Entkriminalisierung“ statt auf Strafverfolgung setzt:
Der globale Krieg gegen Drogen ist gescheitert. Weltweit leiden viele Menschen unter den negativen Folgen dieser Politik, unter Kriegen und bewaffneten innerstaatlichen Konflikten, unter Repression und erheblichen gesundheitlichen Problemen. Einen Beleg für den Nutzen der Kriminalisierung von Drogen gibt es hingegen nicht. Wir wollen eine Reform der Drogenpolitik und setzen dabei auf Prävention, Hilfe, Schadensminderung und Entkriminalisierung. Ziel ist es, das Selbstbestimmungsrecht der Menschen zu achten und gesundheitliche Risiken zu minimieren. Wir fordern unter Einbeziehung von Wissenschaft, Drogenhilfe und Gesundheitspolitik eine Evaluierung der aktuellen Drogenpolitik. Anstelle der gescheiterten Verbotspolitik fordern wir langfristig eine an den tatsächlichen gesundheitlichen Risiken orientierte Regulierung aller – auch bislang illegaler – Drogen. Neue Verbote, wie zum Beispiel eine Stoffgruppenregelung bei Legal Highs lehnen wir ab. Die Kriminalisierung von DrogenkonsumentInnen muss beendet werden. Wer abhängig ist, braucht Hilfe und keine Strafverfolgung.
(S. 130)
h) Teilhabe für Jung und Alt, S. 140
Beim Thema Sexueller Missbrauch legen die Grünen den Fokus auf den Opferschutz. Es befindet sich in Kapitel h) „Teilhabe für jung und Alt“ in dem Unterkapitel „Chancen für alle Kinder“:
Wir werden den Kinderschutz intensivieren. Dazu wollen wir das Bundeskinderschutzgesetz und die notwendige Unterstützung für Kinder und Jugendliche energisch weiterentwickeln. Ebenso wollen wir die Empfehlungen des Runden Tisches sexueller Kindesmissbrauch umsetzen. Der Missbrauchsskandal muss angemessen aufgearbeitet werden und die/der unabhängige Beauftragte muss den Aufgaben entsprechend längerfristig berufen werden. Wir machen uns für die Schaffung eines ergänzenden Hilfesystems für die Opfer stark und wollen die telefonische Anlaufstelle und das OnlineHilfeportal fortführen. Gemeinsam mit den Bundesländern werden wir die Programme für frühe Hilfen und Familienhebammen ausbauen und solide finanzieren.
(S. 140)
i) Intakte Umwelt und gesunde Ernährung für alle, S. 153
Im Oberkapitel „Intakte Umwelt und gesunde Ernährung für alle“ fordern die Grünen im 6. Unterkapitel „Schluss mit der Tierquälerei“ die Grundlagen für eine Strafverfolgung zum Zwecke des Tierschutzes:
Damit die Rechte der Tiere besser vertreten werden können, fordern wir ein Verbandsklagerecht für anerkannte Tierschutzorganisationen und eine/n Bundesbeauftragte/n für Tierschutz. Außerdem fordern wir Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften für den Tierschutz, damit Verstöße gegen das Tierschutzgesetz effektiv verfolgt werden können.
(S. 165)
l) Freies Netz und unabhängige Medien für alle, S.188
Im Bereich Medienpolitik wird im Oberkapitel „Freies Netz und unabhängige Medien für alle“ gerade in Bezug auf das Internet ein großes rechtliches Fass aufgemacht:
Es gilt, die Freiheit des Internets zu sichern, die verfassungsrechtlich garantierten Rechte jeder/s Einzelnen, von NutzerInnen wie UrheberInnen zu wahren, die Meinungsfreiheit zu stärken, die Privatsphäre zu schützen und den Zugang zu und die gleichberechtigte Teilhabe an der digitalen Welt zu ermöglichen.
(S. 188)
Im 2. Unterkapitel „Unsere Verantwortung für ein freies Netz“ wollen die Grünen die Netzneutralität gesetzlich festschreiben:
Es ist notwendig, die Internetfreiheit politisch zu sichern. Sie ist durch Monopole und Oligopole bei zentralen Diensten wie Suchmaschinen oder sozialen Netzwerken bedroht, aber auch durch staatliche Überwachungsphantasien wie etwa die Vorratsdatenspeicherung. Die Netzinfrastruktur soll allen gleichermaßen zur Verfügung stehen. Wir wollen kein 2-Klassen-Internet und daher den Grundsatz der Netzneutralität gesetzlich verankern. So stellen wir sicher, dass Daten im Internet ohne Benachteiligung oder Bevorzugung gleichberechtigt übertragen werden – ungeachtet ihrer Herkunft, ihres Zieles, der Finanzkraft ihrer EmpfängerInnen oder AbsenderInnen, ihres Inhalts, verwendeter Anwendungen oder eingesetzter Geräte. Verletzt wird die Neutralität des Internets auch, wenn Anbieter oder staatliche Stellen Inhalte des Internets sperren, filtern oder die Nutzung drosseln, so dass weniger rentable Inhalte plötzlich schlechter zugänglich sind oder politisch unliebsame Inhalte verschwinden. Die zunehmende Verschmelzung von Infrastrukturanbietern und Inhalteanbietern sehen wir kritisch, da sie die Netzneutralität gefährdet, den Wettbewerb einschränkt und Nutzungsfreiheiten senkt. Wir setzen uns dafür ein, dass Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt im Rahmen ihrer Kompetenzen möglichen Missbräuchen nachgehen. Darüber hinaus wollen wir die Netzneutralität gesetzlich festschreiben.
(S.193)
Im selben Unterkapitel angesprochen ist wirtschaftlich motivierte Internetkriminalität:
Werbeschaltungen auf Internetseiten mit verbotenem Inhalt wollen wir bekämpfen, Gewinnerzielung durch Rechtsverletzungen wollen wir stoppen.
(S. 194)
Das 3. Unterkapitel ist den Bürgerrechten im Internet gewidmet:
Darunter – und nicht unter einer kriminalpolitisch gesetzten Überschrift- fällt auch das Thema Cybermobbing, obgleich die Rechtsdurchsetzung durchaus angesprochen wird:
Auch online wird gemobbt, abgezockt und betrogen, werden Straftaten mit Hilfe der neuen Möglichkeiten des Internets begangen. Freiheit in einer digitalisierten Welt bedeutet sowohl Schutz des Individuums als auch Durchsetzung seiner Rechte. Dies muss effektiv, aber auch strikt bürgerrechtskonform geschehen. Dem Aufbau von Sperr- oder Zensurinfrastrukturen treten wir seit jeher klar entgegen. Stattdessen müssen verbotene Inhalte gelöscht und Straftaten wie die Darstellung sexuellen Missbrauchs von Kindern oder rassistische Gewaltaufrufe konsequent verfolgt werden. Zur besseren Rechtsdurchsetzung bedarf es Ermittlungsbehörden, die fit für das digitale Zeitalter gemacht werden. Um dabei effektiv handeln zu können, müssen dafür auch grenzüberschreitende Kooperationen gestärkt werden. Dies ist Teil unseres Ziels, eine globale Internet-Governance-Struktur einzuführen, die möglichst alle Interessen und Akteure berücksichtigt.
(S. 193)
Die Grünen positionieren sich hier klar gegen die Vorratsdatenspeicherung oder heimliche Online-Durchsuchung von Computern und berufen sich in diesem Zusammenhang verstärkt auf Bürgerrechte:
Seit über einem Jahrzehnt erleben wir den Abbau, die Aufweichung und Relativierung von Grundrechtsstandards. Uns reicht es deshalb nicht aus, nur den Erhalt der Bürgerrechte zu fordern. Wir GRÜNE wollen unsere Bürgerrechte wieder stärken und dem neu geschaffenen Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme gesetzlich Geltung verschaffen. Das Fernmeldegeheimnis des Artikels 10 GG wollen wir zu einem umfassenden Kommunikations- und Mediennutzungsgeheimnis weiterentwickeln, das die digitale Welt umfasst. So darf unter dem Deckmantel der sogenannten Cybersicherheit nicht der Abbau eines freien und offenen Internets vorangetrieben werden. Bürgerrechtsfeindliche Gruselstücke wie die Vorratsdatenspeicherung oder die heimliche Online-Durchsuchung von Computern haben in einer freien, rechtsstaatlichen Gesellschaft keinen Platz. Die massive Ausweitung der Bestandsdatenauskunft, die von CDU/CSU, FDP und SPD vorangetrieben wurde, lehnen wir ab.
Die Grünen wollen im selben Unterkapitel computerbezogenes Tracking durch Cookies verbieten:
Die Werbewirtschaft ist bereit, für präzise Zielgruppen hohe Beiträge zu zahlen, und träumt von „gläsernen Kunden“, deren Spuren komplett auswertbar sind. Gegen die exzessive Sammlung von Daten zur Erstellung von Kundenprofilen setzen wir uns für transparente und faire Regeln ein. Wir wollen die Macht von selbstbestimmten und informierten Bürgern sichern. Indem wir die ausdrückliche Einwilligung zur Speicherung und Verarbeitung von Daten zum Grundprinzip machen. Wir fordern ein Verbot von computerbezogenem Tracking durch Cookies, das von Bürgerinnen und Bürgern nicht bemerkt wird.
(S. 195)
Im 4. Unterkapitel „Öffentlichkeit herstellen: eine neue Medienpolitik“ wollen sich die Grünen dafür einsetzen, dass
die Kontrolle und Durchsetzung der Vergütungsregeln für JournalistInnen in Zukunft gewährleistet wird. Das Leistungsschutzrecht für Presseverlage lehnen wir ab, es wird an der derzeitigen Situation nichts verändern. Es birgt die Gefahr, dass die online verfügbaren Informationen und die Medienvielfalt weiter eingeschränkt werden.
(S. 197)
Den Urheberrechten ist das komplette 5. Unterkapitel gewidmet:
Wir GRÜNE wollen auch weiterhin einen transparenten gesellschaftlichen Prozess zur Modernisierung und Reform des Urheberrechts gestalten. Ziel ist es, einen neuen Konsens über einen fairen Ausgleich zwischen den Interessen der UrheberInnen, der VerwerterInnen sowie den Interessen der NutzerInnen und der Allgemeinheit zu verhandeln. Für uns geht es um ein Urheberrecht für das 21. Jahrhundert, das hohe Akzeptanz genießt, UrheberInnen schützt, eine angemessene Vergütung sichert und gleichzeitig aber auch Nutzerrechte stärkt und Innovationen fördert.
k) Verbraucherschutz für alle, S.179
Auch in das Kapitel über Verbraucherschutz wird der rechtliche Schutz von Internetnutzern aufgenommen:
Bei Internetgeschäften wollen wir Wildwest-Methoden abstellen und die Verbraucherdaten besser schützen. Unter anderem sollen Verbraucherorganisationen die Möglichkeit erhalten, die Einhaltung von Sicherheit und Schutz persönlicher Daten im Internethandel gerichtlich durchzusetzen.
(S. 182)
Jährlich flattern hunderttausende Abmahnungen wegen der Zugänglichmachung geschützter Musiktitel oder Filme ins Haus, die teilweise nicht die Interessen der UrheberInnen, sondern die Profitinteressen von AnwältInnen bedienen. Dieses Abmahnungswesen wollen wir beenden und setzen uns für klare rechtliche Grenzen ein, ohne berechtigte Interessen der UrheberInnen unangemessen zu beschneiden. Wir wollen den Streitwert deutlich senken, den fliegenden Gerichtsstand beenden, Abmahnungen nur für Handlungen im geschäftlichen Verkehr zulassen, eine Kostenerstattung für die zahlreich zu Unrecht Abgemahnten einführen. Den Drittauskunftsanspruch gegenüber Privaten wollen wir auf den geschäftlichen Verkehr beschränken.
m) Demokratie erneuern, S.204
Unter dem Oberkapitel m) „Demokratie erneuern“ im Unterkapitel „Demokratie im Alltag beleben“ wird das Demonstrationsrecht thematisiert:
Maßnahmen, die bestimmte gesellschaftliche Gruppen von öffentlichen Plätzen fernhalten sollen und sie so stigmatisieren und oder gar kriminalisieren, lehnen wir ab. Ziel grüner Ordnungspolitik ist ein friedliches Miteinander aller Menschen jeden Alters, ohne dass einzelne Gruppen in ihrer Lebensführung beeinträchtigt werden. Zur Demokratie gehören Demonstrationen und Protest, mitunter auch ziviler Ungehorsam. Wir wenden uns klar dagegen, DemonstrantInnen durch unverhältnismäßige polizeiliche Überwachungsmaßnahmen wie pauschales und anlassloses Filmen, überrobustes Auftreten oder Kriminalisierung einzuschüchtern. Die Polizei braucht genug Personal, gute Ausbildung und eine moderne Ausrüstung, um das Recht auf Demonstration durchzusetzen.
(S. 209)
Unter selbem Unterkapitel steht auch der gesetzliche Schutz sogenannter Whistleblower:
Bund, Länder und Gemeinden vergeben jährlich Aufträge im Wert von mehreren hundert Milliarden Euro. Damit kein Cent davon an zweifelhafte Firmen geht, brauchen wir ein bundesweites Korruptionsregister für wirtschaftskriminell auffällig gewordene Unternehmen. So wird der faire Wettbewerb zugunsten redlicher Unternehmen erhalten. Korruption im Konzern, Skandale in der Massentierhaltung oder Missstände im Pflegeheim kommen oft erst durch dort Beschäftigte ans Tageslicht. Diesen sogenannten Whistleblowern drohen häufig Repressalien bis zur Kündigung. Wir wollen sie deshalb gesetzlich wirksam schützen.
(S. 211)
…Sowie die Unterstützung der UN-Konvention gegen Korruption:
Wir wollen die Transparenzregeln über Nebeneinkünfte von Abgeordneten verbessern und Abgeordnetenbestechung konsequent unter Strafe stellen. Dann kann Deutschland endlich die UN-Konvention gegen Korruption ratifizieren, wie das 160 Staaten bereits getan haben. Dass Schwarz-Gelb sich bislang weigert, ist peinlich für unser Land.
(S.212)
Ein eigenes Unterkapitel gibt es für das entschlossene Vorgehen gegen Rechtsextremismus, Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. (S. 212)
Der Staat muss Rechtsextremismus, alltäglichen und institutionell verankerten Rassismus mit allen rechtsstaatlichen Mitteln bekämpfen. Sicherheitsbehörden müssen gerade nach ihrem unfassbaren Versagen bei der Aufdeckung der NSU-Morde den Blick nach rechts schärfen und dazu das breite Wissen zivilgesellschaftlicher Initiativen besser würdigen und in ihre Analysen einbeziehen.
n) BürgerInnenrechte stärken, S. 218
Die meisten kriminalpolitischen Themen finden sich im Oberkapitel „BürgerInnenrechte stärken“. Hier wird das Thema Sicherheit versus Freiheit stark aufgegriffen:
Sicherheit bedeutet in einer freien Gesellschaft aber Sicherung der Freiheit. Freiheit ist Voraussetzung für volle gesellschaftliche Teilhabe. Das zu ermöglichen, ist die Aufgabe eines Rechtsstaates. Wir wollen Terrorismus und Kriminalität bekämpfen, ohne die Freiheitsrechte aufzugeben. Doch stattdessen werden bei einer AntiNazi-Demo in Dresden eine Million Handydaten völlig unbeteiligter BürgerInnen abgefragt und auch sonst informieren sich staatliche Stellen über uns – bei Banken, Internetunternehmen oder Telekommunikationsanbietern. Wir sind diese permanente Grenzüberschreitung leid.
(S.218)
Ein ganzes Unterkapitel widmet sich hier dem Thema „Sicherheit in den Dienst der Freiheit stellen“:
Eine freiheitliche Gesellschaft braucht BürgerInnen, die frei sind von Furcht vor Kriminalität, aber ebenso frei von Angst vor Überwachung durch den Staat. Niemand kann absolute Sicherheit gewährleisten – auch nicht auf Kosten oder unter Aufgabe der Freiheit. Aufgabe der Politik ist es, mit den Mitteln des Rechtsstaates für das größtmögliche gesellschaftlich verantwortbare Maß an Sicherheit zu sorgen, Grundrechte zu schützen und Bedrohungen effektiv abzuwehren, ohne dabei die Freiheit so weit einzuschränken, dass sie zu einer leeren Worthülse verkommt. Gläubige sind in gleicher Weise vor Beleidigung und Hetze geschützt wie andere Menschen auch. Deshalb soll § 166 StGB ersatzlos entfallen.
(S.219)Bei Verstößen gegen die Regelungen im Bundesdatenschutzgesetz zur Videoüberwachung im öffentlichen Raum wollen wir eine Bußgeldvorschrift einführen. Den Einsatz von Drohnen durch staatliche Stellen wollen wir strikt regulieren, sowohl in Fragen der Sicherheit als auch des Datenschutzes, und lehnen den Einsatz von Drohnen durch die Polizei zur Observation oder Videoüberwachung vom öffentlichen Raum oder von Demonstrationen ab.
(S.220)
Im selben Unterkapitel wollen die Grünen die Polizeiarbeit und die Sicherheitsarchitektur neu strukturieren und kritisieren die Anhäufung von Sicherheitsgesetzen:
Gegen Bedrohungen der Sicherheit, sei es durch Neonazis, durch Terrorismus oder durch Kriminalität müssen Behörden ausreichend ausgestattet und gewappnet sein. Die Verhinderung solcher Straftaten funktioniert aber am besten durch klassische solide Polizeiarbeit. Eine föderale im rechtsstaatlichen Bewusstsein handelnde und effizient organisierte Polizei ist Garant für die Sicherheit und den Schutz der Grund- und Freiheitsrechte der BürgerInnen. Dafür braucht sie eine angemessene Ausstattung, Ausbildung und Besoldung. Es braucht nicht ständig neue Sicherheitsgesetze auf Vorrat. (S. 220)
Im gleichen Unterkapitel geht es um die präventive Bekämpfung von Terrorismus:
Es geht uns darum, die Bürgerrechte nicht nur zu verteidigen. Wir wollen sie stärken. Darum wollen wir Verschärfungen und Ausweitungen der Anti-Terror-Gesetzgebung seit 2005 zurücknehmen. Präventive Ansätze zur Bekämpfung des Terrorismus wollen wir stärken. Die Verbreitung von menschenfeindlichen Überzeugungen wie zum Beispiel Islamfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus sind der Nährboden für die Entwicklung islamistischer und rechtsextremer TerroristInnen. Der Radikalisierung Einzelner und der Bildung terroristischer Gruppierungen müssen wir entgegenwirken. Deswegen wollen wir eine bessere und zukunftsfeste Demokratieförderung und mehr und besser koordinierte Aussteiger- und Deradikalisierungsprogramme schaffen.
(S. 221)
Kriminalitätsbekämpfung durch das Militär wird im gleichen Unterkapitel abgelehnt:
Kriminalitätsbekämpfung ist Sache der Polizei, nicht des Militärs. Den Einsatz der Bundeswehr im Inneren lehnen wir ab. Tatsächliche Sicherheitslücken wollen wir konsequent schließen, zum Beispiel durch ein schärferes Waffenrecht. Wir wollen in einer Gesellschaft leben, in der der Grundsatz gilt: Öffentliche Räume und private Wohnungen sind waffenfrei.
(S.221)
Grundlegende Änderungen bei der Polizei und in der Justiz werden angestrebt:
in der Polizei und Justiz muss sich einiges ändern. Es braucht mehr Vielfalt und Interkulturalität in der gesamten Bundesverwaltung sowie die Integration von Diversitykompetenz in Aus- und Fortbildung, um PolizistInnen, StaatsanwältInnen und RichterInnen mehr Sensibilität zu vermitteln. Wir werden verbindliche Zielvorgaben zur Erhöhung des Anteils der Beschäftigten mit Migrationshintergrund und Maßnahmen zur interkulturellen Öffnung festlegen. Dabei werden wir insbesondere Beschäftigte mit Vorgesetzten- und Leitungsfunktionen in die Pflicht nehmen.
(S.222)
Das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten soll bestehen bleiben:
Weiterhin muss ein striktes Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten bestehen. Aufgaben und Befugnisse dürfen nicht vermischt werden. Die Polizei ist zuständig für die Gefahrenabwehr und Strafverfolgung, die Inlandsaufklärung beobachtet und dokumentiert gewaltbereite Bestrebungen im Vorfeld konkreter Gefahren oder Straftaten. Der notwendige Informationsaustausch zwischen Gemeindiensten und Polizei muss gesetzlich streng geregelt sein und effektiv kontrolliert werden. Anforderungen und Grenzen der organisierten gemeinsamen Arbeit müssen gesetzlich so formuliert sein, dass eine dauerhafte personelle, strukturelle und informationelle Vermischung von Polizei- und Nachrichtendiensten ausgeschlossen wird.
(S. 223)
Das Gemeinsame Extremismus- und Terrorabwehrzentrum (GETZ) soll kritisch überprüft werden:
Die Einrichtung des Gemeinsamen Extremismus- und Terrorabwehrzentrums (GETZ) im November 2012 erfolgte blindlings, ohne gründliche Fehleranalyse und ohne ausreichende Beteiligung der Länder. Die Ausrichtung u.a. gegen „Linksextremismus“, „Ausländerextremismus“, Spionage und Proliferation erscheint mangels terroristischer Strukturen in diesen Bereichen geradezu skurril. Wir sehen dafür keinen Bedarf und wollen das GETZ einer kritischen Prüfung unterziehen. Weitere Abwehrzentren und gemeinsame Dateien lehnen wir ab.
(S. 223)
Die Grünen fordern eine dialogorientierte Polizei, und gehen in diesem Zusammenhang nochmals auf das Recht auf Versammlungsfreiheit ein:
Die Polizei hat eine wichtige gesellschaftliche Funktion. Sie kann ihre anspruchsvollen Aufgaben nur mit gut ausgebildeten und motivierten PolizistInnen erfüllen. Wir wollen eine dialogorientierte Polizeikultur fördern. Beispiel Versammlungsfreiheit: Zur Demokratie gehören Demonstrationen und Protest, mitunter auch ziviler Ungehorsam. Wir wenden uns klar dagegen, DemonstrantInnen durch unverhältnismäßige polizeiliche Überwachungsmaßnahmen wie pauschales und anlassloses Filmen, überrobustes Auftreten oder Kriminalisierung einzuschüchtern. Statt durch martialisches Auftreten sollte die Polizei mit angemessener Ausrüstung und genügend Personal, das Gefahrenlagen richtig einschätzt, deeskalieren und das Recht auf Versammlungsfreiheit gewährleisten.
(S. 224)
Die Grünen fordern außerdem eine Identifikation von Polizisten bei Großeinsätzen:
Wir wollen die Rechte der BürgerInnen aber auch dadurch stärken, dass PolizistInnen jederzeit, auch in Großeinsätzen, klar identifiziert werden können. Dies kann mit dem Namen oder auch ohne jedes Sicherheitsrisiko über eine anonymisierte, aber klar zuzuordnende Nummer geschehen. Zur Aufklärung von Vorwürfen zu Polizeiübergriffen wollen wir für die Bundespolizei und in den Ländern das Beschwerdemanagement verbessern und eine neutrale Aufklärung gewährleisten.
(S. 224)
Ethnic Profiling lehnen die Grünen ab:
Diskriminierung bringt keinen Sicherheitsgewinn. Ausweiskontrollen und Maßnahmen von Sicherheitsbehörden, die sich häufig allein deswegen gegen Menschen richten, weil sie eine dunklere Hautfarbe haben oder ihre nicht deutsche Herkunft vermutet wird, sind diskriminierend und nach Verfassungs- und Völkerrecht verboten. Wir wollen dieses Verbot von diskriminierendem Ethnic Profiling klar gesetzlich regeln. Umfassende Aufklärung der Betroffenen über ihre Rechte und angemessener Rechtsschutz müssen eine Selbstverständlichkeit sein. Polizeibeamte müssen zudem verstärkt Antidiskriminierungsschulungen erhalten und die Polizei muss sich stärker interkulturell öffnen.
(S. 224)
Der Datenschutz wurde zwar schon an mehreren Stellen angesprochen, erhält aber unter dem Oberkapitel „BürgerInnenrechte schützen“ ein eigenes Unterkapitel und gehört für die Grünen ins Grundgesetz:
Der Datenschutz gehört ausdrücklich ins Grundgesetz, das Datenschutzrecht muss komplett neu gestaltet werden. Auch Privatunternehmen müssen die Daten ihrer Kundschaft so schützen wie heute schon ihre Geschäftsgeheimnisse. Persönliche Daten dürfen im Geschäftsverkehr nur mit ausdrücklicher Zustimmung gespeichert und weitergegeben werden („Opt-in-Regelung“). Guter Datenschutz kann durchaus ein Geschäftsmodell sein. Wir wollen Datenschutz durch Technik („Privacy by Design“) und Datenschutz durch Voreinstellung („Privacy by Default“) voranbringen und dafür auch ein geschütztes Gütesiegel einführen.
(S. 225)
Ein eigenes Unterkapitel im selben Oberkapitel erhält außerdem die Stärkung des Rechtsstaats:
Der Rechtsstaat verwirklicht sich zuallererst in einem starken Grund- und Menschenrechtsschutz. Wir wollen die Grundrechte ergänzen, ausweiten und anpassen, um diesen Schutz zu festigen. Die Politik darf nicht immer wieder die Grenzen der Verfassung austesten. Wir wollen einen starken Rechtsstaat und setzen auf eine strikte Gewaltenteilung. Dies garantiert die Gleichheit vor dem Gesetz und den Schutz der Schwachen vor wirtschaftlicher Übermacht und Kriminalität. Dazu brauchen wir eine leistungsstarke und unabhängige Justiz. Wir wollen daher das ministerielle Einzelweisungsrecht von Justiz- und Innenministerien einschränken, damit konkret eingeleitete Ermittlungen und Verfahren nicht durch politische Interventionen beeinflusst, behindert oder abgebrochen werden können. Der Privatisierung der Justiz treten wir entschieden entgegen.“ (S. 226) „Richterliche Unabhängigkeit ist Garant des Rechtsstaates.“
(S. 226)
Das Strafrecht soll nur letztes Mittel staatlichen Handelns sein:
Das Strafrecht ist nicht das Mittel der Wahl zur Lösung gesellschaftlicher Probleme, sondern letztes Mittel staatlichen Handelns, welches immer besonderer Begründung bedarf. Ein liberaler Rechtsstaat darf BürgerInnen nicht mit dem Mittel des Strafrechts vor einer möglichen Selbstschädigung „schützen“. Die Strafverfolgung in der Drogenpolitik ist gescheitert, daher setzen wir auf die Regulierung aller Drogen. Wir wollen das Sanktionensystem reformieren. So darf etwa die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ohne Fahrschein nicht mehr länger als Straftat verfolgt werden. In der Strafvollstreckung setzen wir auf intelligentere Alternativen zur Haft wie z.B. gemeinnützige Arbeit und den Ausbau alternativer Konfliktlösungen. Ein modernes Unternehmensstrafrecht, das die Grenzen von Schuld und Zurechnung achtet, halten wir für notwendig. Die Opferhilfe ist finanziell sicherzustellen. Wir wollen Opfern von Justizirrtümern besser helfen und die Entschädigung für zu Unrecht verhängte Haft deutlich anheben. Für Jugendliche und Heranwachsende brauchen wir ein reformiertes Jugendgerichtsgesetz, das den Vorrang der Erziehung vor Bestrafung strikt wahrt. Jenseits der jugendtypischen Straffälligkeit sind Chancen- und Perspektivlosigkeit, prekäre Familienverhältnisse, Bildungsarmut sowie Gewalterfahrung in der Regel Ursache wiederholter und schwerer Jugendkriminalität. Diesen sozialen und personellen Risiken präventiv entgegenzuwirken, ist gerade auch im Rahmen von Jugendgerichtsverfahren Aufgabe der Jugendhilfe. Es braucht eine Strategie, die solche Risikofaktoren in den Blick nimmt. Die ambulanten sozialpädagogischen Maßnahmen der Jugendhilfe bedürfen einer deutlichen Stärkung, damit die traditionell strafenden, insbesondere Freiheit entziehenden Sanktionen endlich auch tatsächlich zur Ultima Ratio werden.
(S.227)Bei Drogen wie Cannabis wollen wir unter der Berücksichtigung des Jugendschutzes eine legale Abgabeform über lizenzierte Fachgeschäfte ermöglichen und diese besteuern.
(S.228)
Teilhabe, Gleichberechtigung aller Menschen und Menschenrechte ziehen sich durch das gesamte Parteiprogramm. Unter der Überschrift „BürgerInnenrechte stärken“ wird dieses Thema Gleichberechtigung im Zusammenhang mit der angestrebten EU-Antidiskriminierungsrichtlinie erneut in einem eigenen Unterkapitel betont: „Diskriminierungsfreie Teilhabe ermöglichen“:
In einer offenen Gesellschaft wird niemand wegen des Geschlechts, aus ethnischen oder rassistischen Gründen, aufgrund der Religion oder Weltanschauung, der sexuellen Identität, des Alters oder wegen einer Behinderung benachteiligt. Sie ermöglicht und sichert gleichzeitig allen Mitgliedern die individuelle Wahrnehmung der Freiheits- und Bürgerrechte. Wir wollen in Deutschland und Europa Diskriminierungen bekämpfen und die von der schwarz-gelben Bundesregierung blockierte fünfte Antidiskriminierungsrichtlinie der EU voranbringen. Eine strukturelle und finanzielle Stärkung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und stärkere Rechte für Einrichtungen wie Behindertenbeauftragte sollen im nationalen Bereich helfen, Diskriminierungen anzugehen. Das „Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz“ wollen wir effektiver gestalten, den Rechtsschutz für Betroffene stärken und insbesondere gegen strukturelle Diskriminierungen ein Verbandsklagerecht vorsehen.
(S.228)
Zusätzlich ist der Menscheneinbürgerung ein eigenes Unterkapitel gewidmet: „ Menschen einbürgern – mit Integration und Inklusion“:
Wir wollen unsere Integrationspolitik durch eine Politik der Inklusion vervollständigen. […] und ausländische Berufsabschlüsse leichter anerkennen. Wir wollen Teilhabe aller hier lebenden Menschen, egal welcher Herkunft. Wir setzen auf eine Einbürgerungsoffensive, damit MigrantInnen schneller und leichter die deutsche Staatsbürgerschaft erlangen können. Dabei dürfen Frauen nicht benachteiligt werden. […] Wir werden den Erwerb der Staatsbürgerschaft durch Geburt stärken: wer mit uns regieren will, muss akzeptieren, dass wir die doppelte Staatsbürgerschaft einführen und den diskriminierenden Optionszwang abschaffen werden. Mehrstaatigkeit muss generell erlaubt sein. Kulturelle Vielfalt ist ein Gewinn. Auch bereits eingebürgerte Menschen werden so das Recht bekommen, erneut ihre alte Staatsbürgerschaft zusätzlich anzunehmen. […] Durch ein breitgefächertes und transparentes Punktesystem kann Zuwanderung so gesteuert werden, dass sie Folgen des Alterungsprozesses unserer Gesellschaft abmildert und eine Inklusion auf dem Arbeitsmarkt ermöglicht wird. Den Familiennachzug im Aufenthaltsgesetz wollen wir dem geltenden EU-Recht anpassen. (S. 232 ff.)
„das Selbstbestimmungsrecht von Menschen mit Behinderungen“ erhält hier ein eigenes Unterkapitel:
Durch Verbesserung der gesetzlichen Grundlagen, der Finanzierungen und Fördermöglichkeiten sowie durch Bewusstseinsbildung wollen wir mehr Barrierefreiheit erreichen. Der Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile ist eine Grundvoraussetzung für selbstbestimmte Teilhabe.
(S. 230)
Flüchtlingspolitik bekommt ein eigenes Unterkapitel: „Flüchtlinge aufnehmen und menschenwürdig behandeln“:
Kriege, Verfolgung, Vertreibung und Klimaveränderungen zwingen viele Menschen zur Flucht. Tausende sterben Jahr für Jahr bei dem Versuch, die Küsten Europas zu erreichen. Wir wollen eine menschenrechtsorientierte Flüchtlingspolitik und lehnen die derzeitige Abschottungspolitik an den Außengrenzen ab. Wir wollen keine „Festung Europa“. Die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) stellen die Grundlage unserer Flüchtlingspolitik dar. Wir sehen in der Praxis der Grenzschutzagentur FRONTEX und der EU-Mitgliedsstaaten einen Verstoß gegen das Verbot der Zurückweisung und eine schwere Menschenrechtsverletzung. Wir wollen die Regelung abschaffen, nach der Flüchtlinge nur in denjenigen EU-Staaten aufgenommen werden können, in denen sie als Erstes angekommen sind (Dublin-II-Abkommen), und setzen uns für einheitliche, hohe Asylstandards in allen Mitgliedsländern ein.
(S.233)
Die Ablehnung gegen das Asylbewerberleistungsgesetz wird gesondert im selben Unterkapitel thematisiert:
Das Bundesverfassungsgericht hat die gekürzten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für grundgesetzwidrig erklärt. Jetzt müssen dessen vollständige Aufhebung und die sozialrechtliche Gleichstellung von Flüchtlingen folgen. Wir wollen zudem die Ausbildungs- und Arbeitsverbote für Asylsuchende beseitigen und schaffen den rechtlichen Rahmen, damit sich Flüchtlinge im gesamten Bundesgebiet frei bewegen können. Dazu schaffen wir die Residenzpflicht ab und setzen uns für einen weniger reglementierten Alltag ein. Wir setzen uns dafür ein, dass Flüchtlinge menschenwürdig in eigenen Wohnungen leben dürfen. Auch wollen wir Flüchtlingen von Anfang an den Zugang zu Bildung, Gesundheitswesen, Integrationskursen, Spracherwerb und Kommunikationsmedien eröffnen. Viele Abschiebungen verlaufen unter großem Protest
(S. 234)
Auch die Rechte für Menschen jeder sexuellen Identität wollen die Grünen gesetzlich verankern und bekommen ein eigenes Unterkapitel: „Gleiche Rechte schaffen – Homo- und Transphobie entgegentreten:
In Artikel 3 des Grundgesetzes muss ergänzt werden, dass niemand wegen der sexuellen Identität diskriminiert werden darf. Wir wollen die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare öffnen und das gemeinschaftliche Adoptionsrecht ermöglichen. Viele Kinder leben bereits mit zwei Müttern oder Vätern. Diese Regenbogenfamilien haben ein Recht auf Anerkennung. Alle Familien müssen dem Staat gleich viel wert sein.
(S. 236)In vielen Ländern wird LSBTTI das Leben zur Hölle gemacht: strafrechtliche Verfolgung, Unterdrückung, Gewalt und Zensur. Deutsche Politik muss hier klar Position beziehen und MenschenrechtsverteidigerInnen aktiv stärken, auch durch finanzielle Unterstützung der hier bereits erfolgreich tätigen zivilgesellschaftlichen Hirschfeld-Eddy-Stiftung. Auch seine Mitgliedschaft im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen muss Deutschland für die Stärkung der Rechte sexueller Minderheiten weltweit nutzen. Einsatz für die Menschenrechte wird zudem umso glaubwürdiger, wenn Deutschland die Opfer seiner eigenen früheren antihomosexuellen Strafgesetze (insbesondere § 175 StGB) endlich rehabilitiert und entschädigt.
(S. 237)
o) Gleichberechtigung schaffen, S. 240
„Gleichberechtigung schaffen“ ist ein eigenes Oberkapitel im Wahlprogramm der Grünen:
Sie fordern in einem eigenen Unterkapitel „Gleiche Anerkennung, gleiche Sicherheit, gleiche Chance“, z.B.:
Freiwilligkeit bringt uns nicht weiter. Ohne gesetzliche Maßnahmen wird das nicht gehen. Wir wollen ein Entgeltgleichheitsgesetz, Regelungen für die Privatwirtschaft und eine Quote für Aufsichtsräte und Vorstände. Perspektivisch wollen wir die Quote auch auf andere Ebenen ausweiten und so Frauen nicht nur in Führungsetagen, sondern im gesamten Unternehmen gleichstellen. Wir müssen die Arbeitszeiten so regeln, dass es neben dem Recht auf Teilzeit auch ein Recht auf Rückkehr zu Vollzeit gibt. Wir brauchen qualifizierte Angebote für Erwerbslose und WiedereinsteigerInnen nach einer Familienzeit. Die Lage der Alleinerziehenden hat sich in den vergangenen Jahren sogar noch verschlechtert. Um das Armutsrisiko zu vermindern, brauchen sie besondere Unterstützung in Form von Betreuungsinfrastruktur und flexiblen Arbeitszeitmodellen sowie die Weiterentwicklung des Unterhaltsvorschusses. Von Altersarmut sind insbesondere Frauen betroffen.
(S. 242)
Auch „Männer in neuen Rollen unterstützen“ bekommt ein eigenes Unterkapitel:
Gleiche Rechte und Pflichten werden wir nur dann erreichen, wenn auch Männer als Akteure für Gleichberechtigung stärker in den Blick genommen werden. Immer mehr Männer erkennen, dass traditionelle Männerrollen auch negative Seiten für sie haben, und wollen zum Beispiel nicht mehr nur Alleinverdiener oder Haupternährer der Familie sein, sondern wünschen sich auch eine aktive Vaterschaft. Dabei finden sie aber – genau wie Frauen – Rahmenbedingungen vor, die traditionelles Rollenverhalten fördern. Grüne Politik ist feministisch und emanzipatorisch, sie löst Geschlechter-rollen auf und erlaubt allen Menschen mehr individuelle Gestaltungsfreiheit.
(S. 244)
Die Grünen fordern außerdem
gesetzliche[n] Regelungen [die] den Frauenanteil und die politische Teilhabe erhöhen, ähnlich wie das mit dem französischen Paritätsgesetz ermöglicht wurde. Erfahrungsgemäß erhöhen vor allem feste Quoten den Anteil von Frauen in Parteien und Parlamenten. Durch eine Dokumentationspflicht von Frauen- und Männeranteil bei Nominierungs-veranstaltungen wollen wir gendersensible Daten über politische Beteiligungsprozesse erheben. Wir halten an der Strategie des Gender-Mainstreamings fest.
(S. 245)
Die Grünen fordern, dass „Frauen […] über ihre Schwangerschaften frei und ohne Kriminalisierung entscheiden können.“ (S. 246)
Dem Thema Gewalt widmen sie ein eigenes Unterkapitel „Gewalt ächten“, indem sie sich wieder eher auf den Opferschutz konzentrieren statt auf Bestrafung von Tätern. Dabei fordern sie wieder eine Überprüfung der Strafgesetzgebung:
Gewalt ist für viele Frauen bittere Realität. Das Gewaltschutzgesetz hat mit der erleichterten Überlassung der Wohnung die Situation für Gewaltbetroffene in Familien wesentlich verbessert. Dennoch müssen jährlich etwa 34.000 Frauen und Kinder in Frauenhäuser fliehen. Weder die Anzahl der Plätze noch die Hilfs- und Beratungsangebote sind ausreichend. Wir brauchen spezifische Angebote und Plätze in Frauenhäusern, insbesondere für Frauen mit Behinderung, Migrantinnen, Frauen mit Kindern und pflegebedürftige Frauen. Mit der zentralen Notrufnummer sollen mehr Betroffene erreicht werden – dann müssen aber auch die Unterstützungseinrichtungen mehr Mittel erhalten. […] Vergewaltigungsmythen, die dazu führen, dass Betroffenen von sexualisierter Gewalt generell eine Teilschuld zugeschrieben wird, sind in Deutschland immer noch weit verbreitet. Sie tragen dazu bei, dass die Dunkelziffer für diese Straftaten weiterhin sehr hoch ist. Wir wollen deshalb sicherstellen, dass Betroffene deutschlandweit von regelmäßig geschulten und sensibilisierten Polizei- und JustizbeamtInnen betreut werden. Außerdem muss die Finanzierung von umfangreichen Unterstützungs- und Beratungsangeboten gewährleistet sein. Dadurch wollen wir die Betroffenen von sexualisierter Gewalt vor einer erneuten Traumatisierung schützen. Dazu gehört auch eine Überprüfung der Strafgesetzgebung.
(S. 247)
Fazit
Die Forderungen und Vorhaben der Grünen sind zahlreich und konkret, weshalb das Grüne Wahlprogramm im Durchschnitt auch mehr als doppelt so lang ist.
Wie bei dem Parteienprogramm der CDU/CSU taucht das Wort Sicherheit doppelt so häufig auf, wie das Wort Freiheit. Jedoch wird auf eine andere Sicherheit Bezug genommen, wie z.B. die Atomsicherheit, die Versorgungssicherheit in der Pflege, die Einkommenssicherheit und die Sicherheit im Internet. Die Anhäufung von Sicherheitsgesetzen und die Sicherheitsarchitektur wird eher kritisiert. Sicherheit soll im Dienst der Freiheit stehen.
Die jeweils eigenen Kapitel zu Europapolitik und globaler Politik zeigen, dass die Grünen nicht nur Politik für Deutschland machen wollen, sondern global denken und sich nach Europa orientieren. „Wir wollen ein Europäisches Deutschland, kein deutsches Europa. […] Wir stehen für eine Politik, die global denkt und handelt.“
Insgesamt stehen soziale Teilhabe, demokratische Bürgerbeteiligung, Gerechtigkeit, Gleichberechtigung, Bürgerrechte und eine präventiv orientierte Politik im Fokus des Grünen Wahlprogramms.
Aus organisatorischen Gründen wurde die Veröffentlichung der Analysen zum Wahlprogramm von Bündnis 90/ Die Grünen vorgezogen. Die entsprechenden Ausführungen zum Wahlprogramm der FDP (Teil 4 der Artikelserie) wird in Kürze nachgereicht.
„Betrachten wir uns die gegenwärtige Moral etwas genauer, so erkennen wir, dass es sich um eine doppelte oder sogar eine dreifache Moral handelt. Die in den Staatsgesetzen und in der öffentlichen Meinung verankerte Moral soll verhindern, dass der Einzelmensch in eigennütziger Weise gegen den Nutzen seiner Mitmenschen und damit gegen den Gemeinnutzen verstößt, z. B. durch Diebstahl und Betrug. Aber sie erreicht diesen Zweck nur in einem verhältnismäßig kleinen Teilbereich der menschlichen Gesellschaft, nämlich nur für die Menschengruppe der wirtschaftlich Schwachen, also der Arbeitenden. Der wirtschaftlich Starke, also der Kapitalist, hat ja die moralisch verwerflichen, d. h. durch die Gesetze verbotenen und durch die öffentliche Meinung verfemten Mittel nicht nötig zur Verwirklichung des Eigennutzes mit Schädigung der Mitmenschen und des Gemeinwohles und zwar im allergrößten und praktisch uneingeschränkten Ausmaß.
Neben dieser offenkundig doppelten Moral gibt es aber noch eine dritte, von den wenigsten Menschen durchschaute Seite, bedingt durch das heimlich schlechte Gewissen der Vertreter und Nutznießer dieser verlogenen Moral. Hier handelt es sich freilich nicht um die Großkapitalisten, die ja ihr Gewissen, wenn sie je eines besaßen, längst abgetötet haben, sondern um die breite Schicht der bürgerlichen Bevölkerung… Sie vertreten die kapitalistisch verzerrte Moral, die ihre wirtschaftlichen Vorteile gegenüber den völlig mittellosen, ausgebeuteten, arbeitenden oder arbeitslosen Bevölkerungsschichten sichert. …Den Gegensatz zwischen Gemeinnutz und Eigennutz halten sie für eine zwar betrübliche, aber selbstverständliche und unabänderliche Tatsache. …“
Dr. Ernst Winkler (aus „Theorie der Natürlichen Wirtschaftsordnung“, 1952)
Die Politik ist der Wirtschaft nicht etwa vor-, sondern nachgeordnet, und sie kann immer nur im Nachhinein auf die zahlreichen wirtschaftlichen und sozialen Störungen reagieren, die letztlich aus dem Bodenmonopol und dem Geldstreikmonopol, das ein Kapitalmonopol nach sich zieht, resultieren. Diese elementaren, unvollständigen Monopole (ein vollständiges Monopol ist ein Ausschluss der Konkurrenz, ein unvollständiges Monopol ist eine Beschränkung der Konkurrenz) bestehen seit Jahrtausenden (schon solange der Mensch Geld benutzt und es ein privates Bodeneigentumsrecht gibt), werden bis heute von der universitären VWL gar nicht zur Kenntnis genommen – und haben bisher alle Hochkulturen und Weltreiche in der Geschichte der halbwegs zivilisierten Menschheit zerstört!
In der (noch) bestehenden Monopolwirtschaft stehen der „hohen Politik“ genau zwei Mittel zur Verfügung, um den Zusammenbruch der Wirtschaft hinauszuzögern:
1. Erhöhung der Staatsverschuldung mit Ausgabe des Geldes für Projekte, die nicht mit der Privatwirtschaft in Konkurrenz stehen (Kriegsrüstung, etc).
2. Überproportionale Ausweitung der Zentralbank-Geldmenge, um trotz eines Rückgangs der effektiven Umlauffrequenz des Geldes so lange wie irgend möglich eine schleichende Inflation aufrecht zu erhalten.
Beide Mittel (alle anderen politischen Maßnahmen sind vergleichsweise bedeutungslos) sind mittlerweile bis an ihre absoluten Grenzen ausgereizt, sodass der bevorstehende, endgültige Zusammenbruch der Weltwirtschaft (globale Liquiditätsfalle) im Unterschied zum Wirtschaftseinbruch 2009 (die deutsche Volkswirtschaft schrumpfte in diesem Jahr um 4,5%) mit „politischen Mitteln“ nicht mehr zu stoppen sein wird!
Was passiert wenn nichts passiert
PS: Niemand braucht sich zu wundern, wenn die globale Liquiditätsfalle noch vor der Bundestagswahl evident wird; das Wunder ist, dass sie überhaupt bis heute hinausgezögert werden konnte.