Illegale Fans?
Musik kann sich nicht nur inhaltlich mit Kriminalität auseinander setzen, diese wie auch immer verherrlichen, darstellen, inszenieren oder verarbeiten, sie kann nicht nur aufgrund ihrer Inhalte als „kriminell“ etikettiert (und bspw. einer Zensur unterliegen oder, in Deutschland, auf den Index der „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien“ gesetzt) werden. Sie wird auch nicht nur bezichtigt, durch explizite Lyrik zu kriminellen Akten aufzurufen, „die“ Moral zu zerstören oder gar quasi-deterministisch kriminelles Verhalten in ihren Hörern heraufzubeschwören.
Nein, sie kann auch selbst Opfer eben derjenigen kriminellen Handlungen sein, die sie selbst provoziert hat, und zwar nicht durch inhaltliche Aufrufe, sondern durch ihre bloße Existenz, ihre Begehrtheit und nicht zuletzt durch ihre Form – als digitale Datensätze.
Was wiederum von einigen Musikern in ihren Werken aufgegriffen wird und so den Weg zurück in die Kultur findet: Eine „hall of mirrors“ (Ferrell 1999: 402) entsteht, in der Subjekt und Objekt nicht immer klar voneinander zu trennen sind und der Kreislauf, besser gesagt die Spirale von Kultur und Kriminalität sich weiter dreht (vgl. ebd.).
Musik ist eben nicht nur Kultur- sondern (meistens) auch Konsumgut und hat längst einen höchst eigenen Markt etabliert, der seit Jahren mit den Entwicklungen im Internet und dem Web 2.0 zu kämpfen hat. So bezeichnen sich die Akteure der Gruppe der Anbieter auf diesem Markt (also Produzenten, Künstler, Labels und auch deren Vertreter-Organisationen wie der Bundesverband Musikindustrie, kurz BVMI ) immer wieder als Opfer der so genannten „Internet-Piraterie“.
Laut Berechnungen des BVMI entstehen den Künstlern, der Musikindustrie und auch dem Steuerzahler (durch die nicht eingenommene Mehrwertsteuer) jährlich Schadensummen im dreistelligen Millionenbereich durch diese Art des Musik-Konsums.
Musiker Sven Regener kommentierte diesbezüglich die Praxis vieler Internetnutzer und Musik-Konsumenten, die illegal Musiktitel verbreiten und downloaden als „scheiße“ und konstatierte: „Eine Gesellschaft, die so mit ihren Künstlern umgeht, ist nichts wert.“ (siehe auch: nebenstehendes Video)
In die Debatte fließen also nicht nur rechtliche, sondern auch moralische Normen ein und führen zu einer paradoxen Situation, in der die Künstler von eben jenen Leuten umjubelt und bewundert werden, die ihnen – zumindest aus Sicht vieler Rechts-Experten, Produzenten und Herstellern von Tonträgern u. a. m.– finanziell schaden. Letztlich führt so die Musikindustrie einen „Krieg gegen die eigene Kundschaft“ (Röttgers 2003: 5).
Gerade für die Kriminologie könnte sich dieser Diskurs, der sich um die Aushandlung von Illegalität und Legalität im Hinblick auf ein kulturelles Konsumgut entfaltet, als fruchtbarer Forschungsgegenstand erweisen.
Im Rahmen dieses Beitrags soll jedoch lediglich ein kurzer Einblick in die gegenwärtige rechtliche Lage und deren Umsetzung in Deutschland gegeben werden, sowie auf den Umgang mit dem Thema innerhalb der Musik-Szene (am Beispiel des Deichkind-Songs „Illegale Fans“) eingegangen werden.
„Wutrede“ von Sven Regener
Definitionen von „Internet-Piraterie“
Der Begriff der „Internet-Piraterie“ ist auffallend undefiniert. Selbst Organisationen, die gemeinsam gegen Urheberrechtsverletzungen im Internet vorgehen, wie etwa der BVMI und die in Hamburg ansässige „Gesellschaft zum Schutz geistigen Eigentums mbH proMedia“ (deren Internetadresse bezeichnenderweise „antipiracy.de“ lautet), definieren den Tatbestand nicht einheitlich.
Während ersterer davon ausgeht, dass sowohl das unautorisierte (also vom Rechte-Inhaber nicht lizenzierte) Anbieten als auch das Herunterladen derart illegal bereit gestellter Kopien von Musiktiteln einen Verstoß gegen geltendes Recht darstellen (was über den von § 106 UrhG gesteckten Rahmen hinausgeht), beschränkt sich die Definition der proMedia GmbH auf das illegale Angebot.
Es gibt unterschiedlichste Formen von „Internet-Piraterie“. Neben den beiden oben erwähnten Varianten (Filesharing über Plattformen wie „eMule“, „eDonkey“, „BearShare“ oder „BitTorrent“ und Streaming) werden u.a. auch Audiodateien in bestimmten Foren als „Post“ inseriert oder über sogenannte Sharehoster (z.B. rapidshare.de) auf virtuellen Laufwerken abgelegt, wo sie über einen Link abgerufen werden können.
Da sich die rechtlichen Bemühungen der Urheber und ihrer Vertreter nach eigenen Angaben zum größten Teil auf so genannte Tauschbörsen (auch als Peer to Peer bzw. P2P oder Filesharing bezeichnet) richten, werde auch ich mich in meiner Darstellung auf diese Bereiche beschränken und mich nur am Rande dem vermutlich von seiner Anwendung her quantitativ inzwischen überwiegendem Streaming widmen.
Rechtliche Situation
Die Musikindustrie und ihre Vertreter gehen seit nunmehr sieben Jahren sowohl gegen die Uploader als auch die Server bzw. Hosts (also die Betreiber) der oben beschriebenen Internetseiten vor. Dabei bildet das Urheberrechtsgesetz die Grundlage für Rechte, die den Konsum von Musik betreffen. Dieses ist an sich ein Teil des Zivilrechts (vgl. Hilgendorf/ Valerius 2012: 203) und nicht genuin strafrechtlich konzipiert.
Die einschlägigen und strafrechtlich relevanten Rechtsnormen bezüglich der „Internet-Piraterie“ sind vor allem die §§ 106, 108 Abs. 1 Nr. 4 und 5, sowie §109 und 110 UrhG, die dort dem Abschnitt 2 „Rechtsverletzungen“ zugeordnet sind und zu den Straf- und Bußgeldvorschriften gehören. Aus diesen Normen geht hervor, dass das Anbieten von (kopierter) Musik, ohne die entsprechenden Rechte der Zugänglichmachung nach § 19a UrhG zu besitzen, strafbar ist.
Vor zwei Wochen, am 27. Juni 2013, hat der Bundestag außerdem das „Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken“ verabschiedet, das u.a. eine Deckelung der Abmahngebühren (zur Abmahn-Praxis bzgl. Internet-Piraterie s.u.) vorsieht.
Da beim Streaming die einzelnen Datenpakete nicht dauerhaft auf der Festplatte gespeichert werden, und kein kompletter Download der Datei stattfindet, wird dieses allgemein nicht als illegal betrachtet. Allerdings gibt es Tendenzen, es zumindest als vorwerfbar zu erachten, bspw. da das temporäre Speichern durchaus als Vervielfältigung nach § 16 UrhG betrachtet werden könnte. Allerdings kann hiergegen angeführt werden, dass dem Empfänger durch die temporäre Speicherung kein verwertbarer Nutzen entsteht.
Die für den Bereich Musik in Deutschland üblichen Streaming-Dienste wie bspw. „spotify“, „Deezer“, „simfy“ oder „Wimp“ sind entweder kostenpflichtig oder finanzieren sich über Werbeeinnahmen, zahlen entsprechende Gebühren bspw. an die GEMA und gelten als legale Varianten.
Umgang mit „Internet-Piraterie“ und Rechtspraxis
Der BVMI hat die Hamburger Firma ProMedia GmbH explizit damit beauftragt, nach illegal vervielfältigten und zum Download bereit gestellten Musik-Titeln zu „fahnden“. Darunter ist zu verstehen, dass gezielt nach Uploadern gesucht und während der Datenübertragung die (dynamische) IP-Adresse ermittelt wird. Der zugehörige Anschlussinhaber kann seit 2008 nach § 101 Abs. 2 UrhG ohne Umweg über die Staatsanwaltschaft, direkt über das Landgericht und dessen „Gestattungsbeschluss“ vom Provider erfragt werden.
Nach Angaben des BVMI wurden so in den Jahren seit 2004 insgesamt rund 20.000 „Verfahren eingeleitet“. Allerdings ist davon auszugehen, dass damit keineswegs Strafverfahren bzw. Strafanträge durch die Staatsanwaltschaft gemeint sind, sondern lediglich Abmahn-Aufträge, die von entsprechenden, meist auf Abmahnungen spezialisierten und vom Rechteinhaber mandatierten Anwaltskanzleien bearbeitet werden.
Die vermeintlichen Rechtsverletzer (also die Anschlussinhaber) erhalten dann Post, meist von einer der großen Abmahn-Kanzleien, die mit der Musikindustrie zusammenarbeiten, wie z.B. von der in den Medien schon oft diesbezüglich erwähnten Hamburger Kanzlei Rasch, die im Auftrag der EMI Music Germany GmbH & Co. KG, der Universal Music GmbH sowie der Warner Music Group Germany Holding GmbH, also für drei der (ehemals) vier weltweit größten Major-Labels, oder auch „Big Four“, abmahnt.1
In diesen Mahn-Schreiben werden die Anschlussinhaber auf den ihnen vorgeworfenen Verstoß gegen das Urheberrechtsgesetz hingewiesen. Meist fordern die Kanzleien die Abgabe einer „strafbewehrten Unterlassenserklärung“ in Verbindung mit der Zahlung eines Pauschalbetrags im Rahmen eines außergerichtlichen Vergleichs.
Dieser pauschale Vergleichs-Betrag beläuft sich durchschnittlich auf ca. 1000 Euro und setzt sich aus den Rechtsanwaltskosten sowie dem Schadensersatz (bestehend aus Lizenzgebühr und Ermittlungsgebühr) zusammen, wobei diese Pauschal-Lösung als geringeres Übel im Vergleich zur zweiten Variante präsentiert wird, nämlich, die Anwaltsgebühr (errechnet auf Basis des Streitwerts nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz) zuzüglich Schadensersatzforderung (mitunter in vierstelliger Höhe) zu zahlen oder gar ein gerichtliches Verfahren zu riskieren.
Es wird dazu geraten, die Unterlassenserklärung nicht unbearbeitet bzw. ungeprüft zu unterzeichnen, da diese oft Formulierungen enthalten, die als Schuldeingeständnis gewertet werden. Oft kann eine Einigung auf einen sehr viel geringeren Betrag erzielt werden.
Auch wenn Urheberrechtsverletzungen Straftaten nach § 106 ff. UrhG darstellen, stellt die Staatsanwaltschaft den größten Teil der Verfahren ein. Nicht nur wären die Staatsanwaltschaften hoffnungslos überlastet, würden sie jeder Anzeige durch die selbst ernannten „Musikfahnder“ nachgehen, die Einstellung erfolgt sogar meist nach § 153 StPO wegen Geringfügigkeit. Im Bereich illegaler Musik-Dateien wird üblicherweise erst ab einer Menge von 2000 Musiktiteln bzw. bei kommerziellem Ausmaß ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Erstere reihen sich also ein in die Gruppe derjenigen, die versuchen, durch Beharren auf der bisherigen Nutzung von Musik das abweichende Verhalten der Up- und Downloader in den Mittelpunkt zu rücken. Kampagnen wie „Copy kills music“ oder „Raubkopierer sind Verbrecher“, die auf ihren Plakaten Kassetten-Umrisse in Form von Totenköpfen (die an das Piraten-Symbol „Jolly Roger“ erinnern) erscheinen lassen, Menschen in Handschellen zeigen und in ihren Werbespots Polizeisirenen als Hintergrund-“Musik“ verwenden, zeichnen ein Bild des illegalen Fans als Verbrecher, dem ständig die Strafverfolgungsorgane auf den Fersen sind – ein extrem überzeichnetes Bild, wie eine Betrachtung der derzeitigen Rechtspraxis zeigt (s.o.).
Derartige Kampagnen beziehen sich selbstverständlich nicht nur auf „Internet-Piraterie“, sondern können mindestens seit Aufkommen der ersten Radiosender als Teil der Geschichte der Musikindustrie betrachtet werden.
Die Künstler selbst protestieren mitunter gegen Urheberrechtsverletzungen, indem sie darauf aufmerksam machen, dass ihre Werke nur in Verbindung und durch ihre künstlerische Persönlichkeit entstanden sind und zu dem machen, was die Fans wollen. So hat bspw. die Band „Fiery Furnaces“ auf ihrem „Silent Album“ keinen einzigen Titel vertont, sondern den Käufern Noten zum Selbstspielen an die Hand gegeben.
Andererseits gibt es auch Künstler, die die Entwicklungen im Web 2.0 aktiv für sich zu nutzen wissen bzw., die sich sogar mit ihren „illegalen Fans“ gegen die Musikindustrie wenden. So hat Trent Reznor („Nine Inch Nails“) das Album „The Slip“ unter Creative Commons License veröffentlicht – und so komplett auf Urheberrechte verzichtet (vgl. Sänger 2013: 49-51).
Thematisierung und Umsetzung der „Internet-Piraterie“ in Musik
Wieder andere thematisieren die Kriminalisierung der 2,89 Millionen in einer Studie des GfK Panel aus dem Jahr 2010 erfassten Internetnutzer, die ihre Musik illegal oder aus illegalen Quellen beziehen, in ihren künstlerischen Werken.
Sie verarbeiten so die Thematik ihres eigenen Schaffens und das Wechselspiel zwischen Legalität und Kriminalität in ihren Liedern.
Die Hamburger Hip-Hop und Electropunk-Formation Deichkind hat im Jahr 2011 auf diese Weise an der Spirale der Spiegelungen von Kriminalität, Kriminalisierung, Konsum und Kultur weiter gedreht und so im Sinne der Cultural Criminology Form und Inhalt gleichgesetzt, indem sie den Song „Illegale Fans“ via Facebook verschenkte. Damit entspricht zunächst die Form ihres Werkes dem Nutzerverhalten der vermeintlichen Urheberrechtsverletzer, der Inhalt wiederum thematisiert deren Kriminalisierung:
Deichkind: Illegale Fans, http://www.youtube.com/watch?v=dBLZOlUfWQk
1 Yeah!
2 What!
3 Yo!
4 Schieß doch Bulle, schieß doch!5 Wir tanzen um den Feuerberg aus lodernden CDs
6 Die Netzwerke sind scharf gestellt in unseren WGs
7 Dort fahr’n wir die Systeme hoch und rippen uns in Rage
8 99 Cent für’n Track verpuffen in ’ner Blase
9 Die Dixie-Klos vom Hurricane schenken wir Lars Ulrich
10 Da kann er gerne kacken geh’n – Hacker sind geduldig
11 Keine Macht für Niemand – wir werden uns nicht stell’n
12 Ihr seid das Imperium und wir sind die Rebell’n
13 Wir sind
14 Illegale, illegale, illegale Fans
15 llegale, illegale, illegale Fans
16 Illegale, illegale, illegale Fans
17 Illegale, radikale, digitale Fans
18 Dieses Lied ist leider nicht verfügbar in Ihr’m Land
19 Unsere Antwort kennt ihr sicher: Sie heißt Widerstand
20 6 Milliarden Terrabyte
21 die Leitungen brenn‘ wie nie
22 Das hier ist kein Klingelstreich, das ist Anarchie
23 Fuck Saturn und Media Markt
24 Euer Kaufhaus müffelt
25 Wir schließen eure Tore zu und schlucken dann den Schlüssel
26 Ihr wollt Krieg? Den könnt ihr haben. Wir laden die Waffen
27 Wir sind keine Einzeltäter, Mann, wir sind die Massen
29 Illegale, illegale, illegale Fans
30 Illegale, illegale, illegale Fans
31 Illegale, illegale, illegale Fans
32 Illegale, radikale, digitale Fans33 Wir sind
34 Illegale Fans
35 Wir sind
36 Illegale Fans
37 Wir sind neu und ham Verstand
38 Ihr könnt uns überhaupt nix
39 Wir zerbröseln eure Strategien mit jedem Mausklick
40 Ihr sagt, wir sind verboten weil wir zocken, stehlen, greifen
41 IP-Adressen sind gefälscht
42 Wir gehen über Leichen
43 Ihr sagt, wir sind kriminell, doch wir sind nur die User
44 Im Knast saugen wir weiter
45 Copyrights sind was für Loser
46 Tupac, Kurt und Marley, der Shit ist für uns alle da
47 Wir sind zu viel, wir sind zu nah, wir sind zu schnell, Ihr könnt uns mal!
48 Illegale, illegale, illegale Fans
49 Illegale, illegale, illegale Fans
50 Illegale, illegale, illegale Fans
51 Illegale, radikale, digitale Fans
Eine kurze inhaltliche Analyse des Textes zeigt, dass das allgemeine Thema (auch „Core“ nach Machin 2010: 78ff.) wie folgt zusammengefasst werden kann: Die Gesellschaft/ die Musikindustrie unterdrückt diejenigen Musiknutzer, die ihre Musik von unautorisierten Internet-Seiten beziehen. Es gibt also ein Problem, ein Protest-Thema bzw. Änderungsbedarf.
Das Thema der (Ent-)Kriminalisierung wird vor allem bei Betrachtung der wesentlichen Akteure des Textes ersichtlich.
Auffällig ist hier zunächst dass das „lyrische Ich“ nur im Plural als „Wir“ besteht und dabei eben nicht vermittelt, dass damit die Bandmitglieder, sondern eine große Anzahl an Menschen, nämlich die „User“ (Z. 43) „Hacker“ (Z.10) und „Massen“ (Z. 27), eben das Kollektiv der „illegalen Fans“ gemeint sind, die aus dem Netz unautorisierte Kopien von Musiktiteln beziehen.
Es wird eine klare Dichotomie zwischen dem „Wir“ und der Gegenseite, dem „Ihr“ gezogen und so eine „geteilte“ bzw. teilbare Identität etabliert, was ein zentrales Motiv zahlreicher Protest-Songs ist (vgl. ebd.: 87). Dieses „Ihr“ wird verantwortlich für die Kriminalisierung des beschriebenen Nutzerverhaltens gemacht. Die übertriebene Darstellung der strafrechtlichen Relevanz des Verhaltens (s.o.) durch die Vertreter der Urheberrechte kommt bspw. mit dem in Zeilen 41/42 konstatierten „IP-Adressen sind gefälscht, wir gehen über Leichen“ zum Ausdruck.
Lars Ulrich wird als einziges personalisiertes Individuum genannt, ist aber auch im Kontext der Debatte um Kriminalisierung zu sehen, da dieser sich durch den Rechtsstreit mit der Internet-Tauschbörse Napster hervorgetan hatte. Dies wird aber nicht im Liedtext expliziert, es wird vielmehr auf ein gemeinsam geteiltes Wissen des „Wir“ gesetzt, was wiederum zur Schaffung der geteilten Identität beiträgt.
Auffällig ist auch, dass die einschlägigen Tatbestände als sozialer Protest („Widerstand“) gerahmt werden, und zwar als Reaktion („Antwort“) auf einen empfundenen Missstand (vgl. Z. 19).
Das zugehörige Video indes spielt mit der Kriminalisierung des Verhaltens durch die Musikindustrie, indem zur Musik Aufnahmen von Überwachungskameras gezeigt werden, auf denen tatsächlich verübte Eigentumsdelikte zu sehen sind.
Auch wenn in der hier gebotenen Kürze keine umfassende Analyse des Songtextes oder der musikalischen und visuellen Umsetzung im Video geleistet werden konnte, kann nach dieser kurzen Betrachtung festgehalten werden, dass es sich hierbei – zumindest auf Basis des bisher Gesagten – um ein Artefakt im Rahmen des (De-)Kriminalisierungs-Diskurses rund um das Thema der musikalischen „Internet-Piraterie“ handelt und dabei typische Merkmale von Protestsongs (vgl. Machin 2010: 87) aufweist.
Zudem ist der Song durch seine Darbietungsform nicht nur beschreibend, sondern repräsentiert auch durch seine Praxis den oben erwähnten Diskurs: Er wurde im Jahr 2011 auf der Internetplattform Facebook von seinen Urhebern an alle Nutzer verschenkt, was deren Etikettierung als „illegale“ Fans hinfällig werden lässt. Das Lied entspricht also der Annahme der Cultural Criminology: Form is content (Ferrell 1999: 397).
Literatur
- Ferrell, Jeff (1999): Cultural Criminology. In: Ann.Rev. Sociol. 25: 395-418.
- Haller, Jochen (2005): Urheberrechtsschutz in der Musikindustrie. Eine ökonomische Analyse. Köln: Eul-Verlag.
- Hilgendorf, Eric/ Valerius, Brian (2012): Computer- und Internetstrafrecht : Ein Grundriss. Berlin, Heidelberg: Springer.
- Kivivuori, Janne (2011): Discovery of Hidden Crime. Self-Report Delinquency Survey in Criminal Policy Context. Oxford, UK: Oxford University Press.
- Machin, David (2010): Analysing Lyrics: Values, Participiants, Agency. In Ders.: Analysing Popular Music. Image, Sound, Text.
- Pfeiffer, Urs (2011): Vom Notendrucker zum Rechtemakler. Die Entwicklung des modernen Musikverlags. Marburg: Tectum.
- Röttgers, Janko (2003): Mix, burn, R. I. P. – Das Ende der Musikindustrie. Netzausgabe. Verlag Heinz Heise.
- Sänger, Mulia (2013): Die Renaissance der Musikindustrie. Das Geschäft mit digitalen Werten. Hamburg: Diplomica Verlag.
EMI wurde 2011 in großen Teilen von der Universal Music Group übernommen. ↩