Teil I: „Disco Guantanamo“
Beim Thema „Musik im Gefängnis“ werden wohl Viele zunächst an die legendären Konzerte von Johnny Cash im Folsom Prison und in San Quentin denken. Oder an die von B.B. King, Joan Baez in Sing Sing. In den Film-Dokumentationen dieser Auftritte erkennt man deutlich die Dankbarkeit und Begeisterung der Gefangenen über und für die Musik und dieses so ungewöhnliche wie freudige Ereignis: eine Unterbrechung ihres üblicherweise reizarmen Haftalltags.
Man kann davon ausgehen, dass damals auch diejenigen Insassen, die ganz andere musikalische Vorlieben hatten, sich dieses Konzert (/-Ereignis) nicht entgehen lassen wollten. Wir werden uns in einem andern Beitrag ausführlich mit diesen Konzerten beschäftigen.
In dieser PSP-Kolumne geht es aber um Musik, der sich die Gefangenen eben nicht freiwillig aussetzen. Es ist schon ein paar Takte her, seit wir erfuhren, dass in Guantanamo und anderen „Geheimgefängnissen“ Musik als Folterinstrument im Sinne einer dezidierten Form der Reizüberflutung eingesetzt wurde. Das, ist mittlerweile wieder fast in Vergessenheit geraten und wird medial kaum noch thematisiert.
Beim War on Terrorism, der nach dem Ereignis 9/11 eine neue Dimension annahm, spielte auch Musik eine Rolle: Zunächst durften Musiktitel, die – in wie entfernter Art und Weise auch immer – mit dem terroristischen Akt assoziiert werden könnten, im US-amerikanischen TV und Radio nicht mehr gespielt werden. Teils boten die Lyrics den Anlass zur „Kriminalisierung“, teils auch der Name der Band. So hatten z.B. alle Titel von „Rage Against the Machine“ ein Airplay-Verbot und Titel wie „Learning to Fly“ von den Foo Fighters, „Bodies“ von Drowning Pool (in Afghanistan erfreut sich eben dieser Song bei den US-amerikanischen Soldaten besonderer Beliebtheit) oder auch Madonnas Coverversion von „American Pie“ („American Pie“ ist eine Ode an Ritchie Valens und Buddy Holly, die 1959 bei einem Flugzeugunglück ums Leben kamen; darauf bezieht sich die Songzeile: „the day, the music died“).
(Einen über die Reaktionen auf 9/11 hinausgehenden, aufschlussreichen Überblick über Interpreten und Songs, die in den USA bislang einer Zensur unterzogen wurden, findet man unter: http://www.amiright.com/names/banned-songs/a.shtml.)
In dem 2002 eingerichteten Lager Guantanamo wurden mutmaßliche Verdächtige, so genannte „unlawfull combattants“, mit vorwiegend US-amerikanischem, populärem Liedgut beschallt. Roger Willemsen erfährt in seinen Interviews („Hier spricht Guantanamo“), dass von ihm befragte ehemaligen Inhaftierten wiederholt die US-amerikanische Nationalhymne vorgespielt wurde.
Wir wissen, dass in Guantanamo neben Drohungen, psychischen und körperlichen Verletzungen auch Methoden der „weißen oder weichen Folter“ angewandt wurden und vielleicht noch werden: Isolation, Schlafentzug, Waterboarding und Dauerbeleuchtung und auch die Beschallung mit Musik gehören dazu. (Interview mit Ruhal Ahmed, ehemaligen Insassen, dessen Erfahrungen Michael Winterbottom für seinen Film „Road to Guantanamo“ als Vorlage dienten in einem Bericht in der „Kulturzeit“)
Den Berichten zufolge, denen wir glauben zu dürfen meinen, wird in erster Linie die Dauer der Beschallung und deren Lautstärke wie auch die permanente Wiederholung als Instrument der Folter und Nötigung im Zusammenhang mit Verhören „genutzt“. Die Musik wird dabei nur noch als Geräusch, als Krach, empfunden und führt zu Wahrnehmungs- und zu psychischen Störungen, die einen Zustand der erlernten Hilflosigkeit auslösen. Dadurch soll die Aussagbereitschaft der verhörten Gefangenen gefördert werden.
Ahmed berichtet:
Wenn ich Leuten erzähle, dass Musik Folter sein kann, schauen sie mich an und denken, ich hätte nicht alle Tassen im Schrank. Wie kann eine Kunst, die so viel Freude macht, Folter sein? Aber so ist das: Normale Folter kann man aushalten. Musik nicht. Ich habe alles gestanden, was von mir verlangt wurde. Dass ich Bin Laden und Mullah Omar kenne. Dass ich weiß, was ihre Pläne sind. Alles. Nur damit es aufhört.
(„Hören mit Schmerzen“, Spiegel 02/2010, von Tobias Rapp: http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,671000,00.html)
Nicht eindeutig ist, ob die Auswahl der Musik den Folterern überlassen wurde, also von ihren persönlichen musikalischen Vorlieben abhing. Dem scheint so, doch trotzdem tauchen viele Songs in den Berichten häufiger auf als andere. Die taz berichtete (Arno Frank: „Auf der Playlist des Bösen“, 13.12.2008) über die britische Menschenrechtsorganisation „Retrieve“, die eine Playlist der an einem als „Disco“ bezeichneten Ort in Guantanamo am häufigsten zum Einsatz gekommenen Musikstücke veröffentlichte. Ein Schwerpunkt der Auswahl liegt auf dem Genre Heavy Metal.
Aber auch eher softe Stücke wie „Babylon“ von David Gray wurden in der „Disco Guantanamo“ gespielt.
Ein Blick auf die „Playlist“ der Folternden
Auf der „Hitliste“ der Folterer standen u.a. Metallicas „Enter Sandman“ und Eminems „White America“ ganz weit oben. „Enter Sandman“ ist nicht der einzige Song, der nach 9/11 nicht im Radio gespielt werden durfte und später als Folterwerkzeug eingesetzt wurde (vgl.: http://www.indiepedia.de/index.php?title=11._September_(Liste).
Aber auch Songs von Britney Spears, Christina Aguilera und der Titelsong der Sesamstraße wurden dazu benutzt, den Willen der Gefangenen zu brechen (vgl. Stern.de: „Die Greatest Hits von Guantanamo“, 10.12.2008 ). Der Komponist der Sesamstraßen – Melodie, Christopher Cerf, ist in Folge seiner im doppelten Sinn persönlichen Betroffenheit mit einem Kamera-Team von arte zu diversen Experten gereist, um Interviews zu führen. Er befragt Verhörspezialisten, Musiker und ehemalige Häftlinge in der Dokumentation „Musik als Waffe“ über diese „No Touch Torture“, die man unter: http://itspublique.de/archives/tag/guantanamo im Netz ansehen kann.
Auch andere Musiker reagierten darauf, dass ihre Musik als Folterwerkzeug eingesetzt wurde um den Willen der Gefangenen zu brechen.
Auf Jackson Brownes Homepage erfährt man, dass sich u.a. Künstler wie Trent Reznor, R.E.M., Pearl Jam, Jackson Browne selbst, Rosanne Cash, Billy Bragg und The Roots für die Schließung des Gefangenlagers und gegen den Missbrauch von Musik im Zusammenhang mit Gefangenenbefragungen einsetzen.
Die Bristol-Formation Massive Attack hat 2010 mit dem Sänger Damon Albarn das beeindruckende Musikvideo „Saturday comes slow“ produziert, in dem auch Ruhal Ahmed zu Wort kommt. Daneben wird Physikalisches zur Schallwellenübertragung und den Wirkungsmechanismen im menschlichen Gehör erklärt und demonstriert (siehe hier).
In der Presse wurden v.a. die Äußerungen von James Hettfield, dem Leadsinger der Band Metallica, thematisiert. Wir erinnern: Metallica hatte sich im Jahr 2003 auf das Trittbrett der von Johnny Cash mitbegründeten Tradition der Gefängniskonzerte gestellt. Der Videoclip zum Song „St. Anger“ nimmt Bezug auf Cashs Song im und über das Gefängnis in St. Quentin.
Johnny Cash: St. Quentin
https://www.youtube.com/watch?v=OH3-acV6bYQ
Metallica: St. Anger
Die Zeitschrift Metal Hammer berichtete. Hetfield äußerte: „Ein Teil von mir ist stolz, dass Metallica ausgesucht wurden….“. Auszüge eines Interviews gib es hier. Hetfield spricht über die Überwindung seines Alkoholproblems und zeigt sich amüsiert, als ihn sein Interviewer auf die Verwendung seiner Musik in Guantanamo anspricht. Er möchte keinesfalls mit Politik in Zusammenhang gebracht werden. Und sieht sich selbst als Folteropfer, wenn seine Ehefrau im Auto Phil Collins hört.
In einem der nächsten Beiträge des PSP wird es um Thesen zur „Gewaltmusik“ gehen, also um Musik, die subjektiv als Folter empfunden wird und die „akustischen Selbstbestimmung“ beeinträchtigt.
Grace schreibt
Dargestellt wird diese Form der Folter übrigens in der (insgesamt ziemlich genialen) Sendung ‚Homeland‘. Ich konnte leider kein Video mit der entsprechenden Szene online finden. Daher hier der Trailer:
http://www.youtube.com/watch?v=Zoo8nMNes88&feature=related