Criminologia

das deutschsprachige Kriminologie Blog

  • Startseite
  • Blogansicht
  • Studium
    • Was ist Kriminologie?
    • Kriminologiestudium in Hamburg
    • Kriminologisches Glossar und Personenverzeichnis
    • Zeitleiste zur Geschichte der Kriminologie
    • Kriminologische Lehrbücher
    • Aktuelle Journal-Artikel
    • Hinweise zum Verfassen einer wissenschaftlichen Arbeit
    • Prison Song Project
    • Rezensionen
  • Linkportal
  • Veranstaltungen
  • Kontakt

O Tannenbaum, o Tannenbaum

Am 14. Oktober 2011 gepostet von Sebastian

Die Anti-Wall-Street-Demonstranten marschieren inzwischen direkt vor die Haustüren reicher New Yorker. Die Adressen sind so fein, feiner geht’s kaum: Fifth Avenue 834 (Rupert Murdoch; Penthouse für 44 Millionen Dollar), Park Avenue 740 (David Koch) – und irgendwo in der Nähe findet man auch das (ein) Wohnhaus von John Paulson, der in der Hypothekenkrise mit einigen wenigen kriminalisierungsfähigen Manövern vom schlichten Multimillionär gleichsam über Nacht zum Multimilliardär mutierte.
Die Demonstranten deponieren einen riesigen Scheck vor Paulsons Haus, ausgestellt von den 99% der Bevölkerung auf das oberste 1%.
Was die meisten Demonstranten nicht wissen ist, dass sie mit ihren direkten Aktionen auf den Fußstapfen eines der frühesten (und unbekanntesten) Kriminologen wandeln ….
Rückblende 4. März 1914: Es ist sein 21. Geburtstag. Frank Tannenbaum hat sich vom armen russischen Einwanderer zu einem der wortgewaltigsten und mutigsten Aktivisten der Wobblies, der anarchistisch-pazifistischen Gewerkschaft der International Workers of the World (IWW) entwickelt. Heute plant er mit seiner „Armee der Arbeitslosen“ der army of the unemployed – wieder eine direkte Aktion, um das Gewissen der reichen New Yorker zu wecken. Seine Methode besteht darin, die Reichen dort aufzusuchen, wo sie zu finden sind – mit Vorliebe durch die Besetzung ihrer Kirchen in den wohlhabenden Gebieten Manhattans. Heute geht es zur St. Alphonsus Kirche am West Broadway. Man besetzt die Kirche mit der Forderung nach Nahrung und Obdach. Diese Art von Militanz bringt die Medien in Wallung, die Rede ist von Terror und die Stadt verfällt in eine Moralpanik sondergleichen. Die Kirche wird geräumt, Frank Tannenbaum kommt vor Gericht und verschwindet für ein Jahr im Gefängnis. Allerdings hat die liberale New York Times einen Bericht über seinen Prozess veröffentlicht und vertritt die These, dass die öffentliche Wahrnehmung der Bedrohung verfälscht sein könne – sie lässt Tannenbaum zu Wort kommen und das überzeugt wiederum eine reiche Dame der High Society, die Kontakt zu ihm aufnimmt und ihm das heiß ersehnte Studium ermöglicht. Tannenbaum kommt aus dem Gefängnis, darf an der Columbia University studieren, schreibt über die Situation in den amerikanischen Gefängnissen und wird 1932 Professor für Kriminologie an der Cornell University. Das ist freilich nur eine Durchgangsstation. Als sein Hauptwerk erscheint (die Begründung der Labeling Perspektive im Jahre 1938 in seinem Buch „Crime and the Community“), ist er schon längst Berater der mexikanischen Regierung, Professor für Lateinamerikanische Geschichte an der Columbia University und hat die Kriminologie weit hinter sich gelassen. Die Geschichtsbücher verzeichnen ihn heute als Experten für Lateinamerika und für die Geschichte der Sklaverei. Und wie es die Ironie der Geschichte will: so, wie auch die Demonstranten von „Occupy Wall Street“ sich an ihren großen Vorgänger nicht erinnern, so finden sich auch im kollektiven Gedächtnis der Kriminologie kaum noch Spuren der Erinnerung an Frank Tannenbaum, den Kriminologen, der den Labeling Approach aus der Rekonstruktion der eigenen Erfahrungen erfand.

  • twittern 
  • teilen 
  • E-Mail 



Verwandte Artikel

Cesare BeccariaZeitleiste zur Geschichte der Kriminologie 2.0 Paradigmen in der Kriminologie Kriminologiestudium in Hamburg Default ThumbnailDr. John Hagan mit dem Stockholm Preis für Kriminologie ausgezeichnet Master-Programm in International Art Crime Studies

Filed Under: Geschichte der Kriminologie, Kriminologen, Kriminologie allg. Tagged With: Frank Tannenbaum, Geschichte der Kriminologie, Interaktionismus, Kriminologie, Labeling, White Collar

Reader Interactions

Kommentare

  1. Xaerdys schreibt

    17. Oktober 2011 at 13:58

    Irgendwie beruhigt mich, dass ich, als Student der Rechtswissenschaft zumindest wusste wer Frank Tannenbaum war, naja oder ich wusste es nicht, kannte ich doch gerade mal seine Kriminologische Arbeit. Naja, immerhin.

Primary Sidebar

Datenschutz & Cookies: Diese Website verwendet Cookies. Wenn du die Website weiterhin nutzt, stimmst du der Verwendung von Cookies zu.
Weitere Informationen, beispielsweise zur Kontrolle von Cookies, findest du hier: Cookie-Richtlinie

Über uns

Criminologia ist ein Blog zu kriminologischen und kriminalpolitischen Themen, betrieben und gepflegt von (ehemaligen) Lehrenden und Studierenden des Instituts für kriminologische Sozialforschung (IKS) der Universität Hamburg und Lehrenden an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW.

Social Media

  • Pinterest
  • Twitter
  • Vimeo

kurz notiert …

Tweets von @Kriminologie

Neueste Beiträge

  • Strafvollzugsarchiv wieder online
  • Restorative Justice Film „To Germany, With Love“
  • Rezension: Speichern und Strafen. Die Gesellschaft im Datengefängnis.
  • Insasse filmt über vier Jahre den Gefängnisalltag mit versteckter Kamera
  • Leidet das Vertrauen in den Rechtsstaat unter einer zu milden Justiz? Eine Diskussion

Neueste Kommentare

  • Eva Martin bei Leidet das Vertrauen in den Rechtsstaat unter einer zu milden Justiz? Eine Diskussion
  • Eva Martin bei Leidet das Vertrauen in den Rechtsstaat unter einer zu milden Justiz? Eine Diskussion
  • Dr. phil. Karl Weilbach bei Interview with Jack Katz (Part 1/3): „Enigmas Attract Me“

Kriminologisches Glossar und Personenverzeichnis

Blog via E-Mail abonnieren

Gib Deine E-Mail-Adresse an, um diesen Blog zu abonnieren und Benachrichtigungen über neue Beiträge via E-Mail zu erhalten.

Veranstaltungen

  • 23. Europäischer Polizeikongress
    • 04/02/2020 - 05/02/2020
    • Berlin
  • ZiF-Arbeitsgruppe zum Thema "Krimmigration"
    • 25/03/2020 - 26/03/2020
    • Bielefeld
  • 25. Deutscher Präventionstag
    • 27/04/2020 - 28/04/2020
    • Kassel
  • weitere Veranstaltungen anzeigen

Partnerseiten

Kriminologische Sozialforschung (Universität Hamburg)

Institut für Kriminologische Sozialforschung (IKS) der Universität Hamburg

Krimpedia

Krimpedia

Common Session Programme in Critical Criminology

Common Study Programme in Critical Criminology

Surveillance Studies Blog

Surveillance Studies

Weiterbildender Masterstudiengang Kriminologie

Weiterbildender Masterstudiengang Kriminologie

SozTheo | sozialwissenschaftliche Theorien

SozTheo Banner

Copyright © 2019 — Criminologia • Alle Rechte vorbehalten. • Impressum & Datenschutzerklärung

Log in