
Dr. Rafael Behr, seit 2008 Professor für Polizeiwissenschaften an der Hochschule der Polizei Hamburg, hat sich gestern in einem Interview im Hamburger Abendblatt zu den Aussagen der Polizeigewerkschaft und des Hamburger Innensenators Michael Neumann (SPD) geäußert, Respektlosigkeit und Gewalt gegenüber Polizisten würden zunehmen.
Das Hamburger Abendblatt zitiert Herrn Dr. Behr mit der Aussage „Die Polizei jammert zuviel.“.
Anlass für die Diskussion über Gewalt gegenüber Polizeibeamten waren Ausschreitungen am Samstagabend im Anschluss an das Schanzenfest, ein jährlich stattfindendes Stadtteilfest im Hamburger Schanzenviertel. Ein Großaufgebot von über 2.000 Polizisten sicherte das Gebiet rund um die Rote Flora ab und ging in den späten Abendstunden u.a. mit Wasserwerfern gegen Randalierer vor, die Feuer auf offener Straße entzündet und eine Bankfiliale beschädigt hatten. 30 Personen wurden vorläufig festgenommen, zwei Polizisten erlitten leichte Verletzungen.
In ihrer Sonntagsausgabe zitierte die Bildzeitung den Hamburger Innensenator Michael Neumann mit den Worten
„Sachbeschädigungen, Brandlegungen und Steinwürfe auf Polizisten durch eine Minderheit von Krawallmachern sind durch nichts zu rechtfertigen”, erklärte Neumann am Sonntag. „Umso mehr freut es mich, dass es unserer Polizei gelungen ist, mit einem Mix aus Besonnenheit und konsequentem Eingreifen größere Eskalationen zu verhindern.”
Dr. Rafael Behr zeigt im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt Unverständnis für die Beschwerde der Polizeigewerkschaft, die Polizei müsse bei Auseinandersetzungen als Prellbock herhalten.
Dafür sind die Beamten schließlich auch da. Als Vertreter des Gewaltmonopols muss ich damit rechnen, dass ich selbst beschädigt werde.
Die Gewalt gegen Polizeibeamte habe, so Behr, entgegen der Darstellung der Polizeigewerkschaft in den vergangenen Jahren nicht zugenommen. Entsprechende Beschwerden dienten vielmehr dazu, bei Politik und Öffentlichkeit Aufmerksamkeit zu erzeugen und finanzielle Ressourcen zu sichern. Zudem sei es unprofessionell, wenn sich die Polizei als Opfer und Spielball der Randalierer darstelle:
Wenn sich die Beschützer jedoch als Opfer, als Spielmaterial für Randalierer definieren, entstehen Irritationen in der Bevölkerung.
Die Gewerkschaft der Polizei reagierte auf die Einschätzungen Behrs mit ausgesprochen scharfer Kritik. Bereits am gestrigen Mittwoch veröffentliche die Gewerkschaft unter der Überschrift „Schon wieder ein Fall akuter Profilneurose. Herr Professor Behr merkt nichts mehr!“ eine Stellungnahme zum Artikel im Hamburger Abendblatt. In der Stellungnahme wirft die Gewerkschaft Herrn Prof. Dr. Behr Realitätsferne und Respektlosigkeit gegenüber den Polizeibeamten vor.
In einem heute erschienen Artikel im Hamburger Abendblatt schließt sich dieser Kritik auch der Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Joachim Lenders, an, der die Äußerungen Behrs für „untragbar“ hält und „Einleitung dienstrechtlicher Maßnahmen bis hin zur Ablösung“ fordert. Uwe Koßel, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), und der Landeschef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), André Schulz, schließen sich der Forderung an.
Die Vehemenz mit der die Kritik gegen Herrn Dr. Behr und seine Äußerungen hervorgebracht wird, erinnert doch stark an das von Herrn Dr. Behr selbst angeführte Konzept der „defensiven Solidarität“.
Schon die Berufsanfänger entwickeln Strategien, die im Fachjargon unter dem Begriff „defensive Solidarität“ zusammengefasst werden. Der Polizist stuft die Umgebung von vornherein als feindlich ein. Er kapselt sich ab, traut nur noch seinen Kollegen, unterscheidet strikt zwischen „wir“, die Polizisten, und „sie“ – also alle anderen.
Die Gewerkschaften scheinen Herrn Dr. Behr zum Randalierer – zum Nestbeschmutzer – in den eigenen Reihen stigmatisieren zu wollen. Anstatt sich einer sachlichen Diskussion zu stellen, wird Herrn Dr. Behr jegliche Kompetenz bei Beurteilung der Sachlage abgesprochen. Schließlich lägen seine beruflichen Erfahrungen als aktiver Polizeibeamter bereits 20 Jahre zurück. Darüber, wann sich die Gewerkschaftsvertreter das letzte Mal ihre Krieger-Männlichkeit unter Beweis stellen mussten, schweigt sich der Artikel leider aus.
Scheint ein typischer Fall der Gleichsetzung von Kritik und Respektlosigkeit zu sein. Herr Dr. Behr hat Erstere geäußert, und nun wird sie ihm als untragbare Respektlosigkeit vorgeworfen.
Offensichtlich wurde der bellende Hund getroffen.