Von der Strafjustiz wird viel erwartet: sie soll – wenn der Vorwurf einer Straftat im Raum steht – nach Möglichkeit den wahren Geschehensablauf rekonstruieren, die Schuldigen bestrafen und die anderen freisprechen. Ihre „vornehmste Aufgabe“ besteht, so könnte man sagen (und so sagte es Winfried Hassemer in der Neuen Juristischen Wochenschrift 1985 auf Seite 1924) in der „Verarbeitung schwerster Abweichungskonflikte in einem formalisierten Verfahren“.
Die Strafjustiz gehört also zum verarbeitenden Gewerbe. Das verarbeitende Gewerbe ist eines der ältesten der Welt (in vielen Gegenden, in denen das Justizpersonal sein Entscheidungsverhalten als kaum verhüllte Dienstleistung für zahlungskräftige Kunden versteht, sind diese historischen Wurzeln angeblich auch heute noch gut zu erkennen). Soweit ist alles klar. Es bleiben nur noch wenige Fragen, die hier zur Abrundung aufgeführt werden sollen:
(1) WAS genau wird eigentlich verarbeitet? Sind es wirklich immer „schwerste“ Fälle? Und immer auch wirklich „Abweichungskonflikte“? (Was sind das überhaupt für Konflikte?)
(2) WIE läuft dieser Verarbeitungsprozess im Detail ab? Was passiert da mit wem (und mit der sozialen Wirklichkeit)? Wie verhalten sich die Beteiligten in diesem Verarbeitungsprozess? Geht es so vornehm zu, wie es sich für diese Aufgabe geziemt? Und was bedeutet „vornehm“ genau?
(3) WAS weiss man eigentlich über die Folgen der Verarbeitung? Wie sieht das Produkt aus – und wie steht es mit der Kunden-Zufriedenheit? Wie würde die Strafjustiz bei der Stiftung Warentest abschneiden – als Testsieger oder unter ferner liefen? Und mit welchen Konkurrenzprodukten hätte es die Strafjustiz eigentlich zu tun?
(4) WIE geht es der Strafjustiz selbst so mit ihrer Tätigkeit und ihren Produkten? Ist sie zufrieden oder gestresst? Hallo: geht es noch? ?
(5) WAS wäre eigentlich, wenn die Regierung nach dem kommenden Herbst (der Entscheidungen) eine radikale Wende bei der Verarbeitung schwerster Abweichungskonflikte ausriefe – und wie sähe es dann aus in der Konfliktlösungslandschaft der Zukunft?
Man könnte sich natürlich auch die Frage stellen, wer für was bezahlt werden sollte. Schließlich bilden die Delinquenten die unabdingbare Voraussetung für finanzielle Absicherung, Karrieremöglichkeiten, Lebenssinn für die Beschäftigten des Justizsystems ebenso wie für Politiker, Soziologen, Psychologen, Psychiater und uns Kriminologen natürlich.
Der alte Nimbus der Juristen und die heurige Verdienstleistung, Produkt- und Kundenorientierung werden es auch schwer miteinander haben.