Es ist ein Spektakel, ein carnival of crime – wenn sich heute am 1. Mai Demonstranten und Polizeikräfte in Berlin Kreuzberg und im Hamburger Schanzenviertel gegenüberstehen. Das alljährlich wiederkehrende Ritual ist Selbstzweck; der historische Ursprung des gesetzlichen Feiertags ist weitgehend in den Hintergrund gerückt. Politische Interessen von Vertretern der Arbeiterbewegung, Forderungen von Gentrifizierungs- und Globalisierungsgegnern vermischen sich mit Transgression: der Lust nach Überschreitung von Grenzen und der Suche nach dem Kick. Aus dieser Perspektive ließen sich die 1. Mai-Krawalle als Edgework (Stephen Lyng, 1990) beschreiben. Das ritualisierte Aufbegehren gegen die Ordnungsmacht verspricht eine physische aber auch emotionale Grenzerfahrung, die in der postindustiellen Arbeitswelt mit ihren bürokratischen und institutionellen Rollenvorgaben nicht mehr geboten wird. Die gesuchte Konfrontation ist dabei als Protest gegen das Alltägliche zu erklären und fungiert als emotionszentrierter, identitätsstiftender Gegenentwurf zur alltäglich erlebten ontologischen Unsicherheit in einer von Rationalen dominierten Welt.
Der karnevaleske Charakter des Krawallrituals offenbart sich nicht zuletzt auch in seiner Vermarktung. Im Schanzenviertel, in Berlin und München kann man dieses Jahr eine besonderen Marketingaktion eines großen Tabakkonzerns beobachten: die „friedlichsten Steine der Welt“ (siehe Fotos unten). Der Konzern verteilt Styropor-Würfel in Form und Farbe eines Pflastersteins und mit Aufdrucken wie „Auch mal Gelassenheit demonstrieren“ oder „Für Alle, die das Leben leicht nehmen“.
Nur das aufgedruckte Firmenlogo und ein Link auf eine Webseite verweisen auf den Ursprung der Kommerz-Wurfgeschosse, die geradezu ein Paradebeispiel darstellen für die Vermarktung von Widerstand wie sie in der Cultural Criminology beschrieben wird:
Commodification of Resistance
Some times the safest of corporate products becomes, in the hand of acticvists or artists or criminals , a dangerous subversion: stolen away, remade, it is all the more dangerous for its ready familiarity, a Trojan horse sent back into the midst of the everyday.
Other times the most dangerously illegal of subversions becomes, in the hands of corporate marketers, the feast of selling schemes, a sure bet precisely because of its illicit appeal. Mostly, though, these process intertwine, sprouting further ironies and contradictions winding their way in and out of little cracks in the system, often bearing the fruits of both ‚crime‘ and ‚commodity‘.
(Ferrell, Jeff; Hayward, Keith; Young, Jock (2008) Cultural Criminology, Sage Publications, S. 19)