Es muss in den frühen Neunziger Jahren gewesen sein, dass die zierliche ältere Dame mit der ungeheuren positiven Energie im Institut auftauchte. Als sie 75 geworden sei, erklärte sie mir einmal, habe sie etwas ganz Neues machen wollen. Und zwar wollte sie sich um Gefangene kümmern. So wie man die in Zellen sperrte, ginge das ja gar nicht. Sie sollten doch Leben lernen. Also nannte sie den Verein, den sie jetzt gründete: „Tür auf – leben lernen“. Der Verein wuchs und gedieh und wollte den Wärmestrom der Mitmenschlichkeit von außen nach innen leiten und irgendwie die Öffnung der Türen befördern … und kam dann doch nicht weit. Dass der Strafvollzug mit der Begeisterung, der tiefen Mitmenschlichkeit dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit so schnöde umging, dieses gewaltige Reformpotential so kühl an den Mauern abprallen ließ, hatte oberflächlich mit der Ära Schill zu tun – letztlich aber mit der Eigenlogik des Gefängnissystems und seiner steingewordenen Riesenirrtümer.
Verwundert und verwundet wandte sich Brigitte vom Gefängnis ab. Mit etwa 85 Jahren entschied sie sich für den Film. Sie übernahm kleine Rollen (eines nachts traf ich sie am Hauptbahnhof: sie spielte eine Geisel bei der Kaperung eines Linienbusses), erschien auf Plakaten in der S-Bahn und in TV-Werbespots im Kontext von Kopfschmerzmitteln und Olivenöl. Als sie mit 92 dann plötzlich doch schwach wurde, war sie als „unsere Süße“ der Star im Pflegeheim. Jetzt glänzt sie etwas weiter entfernt am Firmament als einer unter vielen Sternen.