Think. International ist ein Projekt, das im Rahmen eines Seminars zum Thema „Public Criminology“ im Masterstudiengang Internationale Kriminologie an der Universität Hamburg entstanden ist. Der Blog und ein zugehöriger Werbeflyer sind das Ergebnis der Aufgabenstellung, ein Thema von kriminologischer oder kriminalpolitischer Relevanz öffentlichkeitswirksam und in einer für Laien verständlichen Form aufzuarbeiten und auf Handlungsbedarfe hinzuweisen.
Hintergrund des Projektes
Der Internetauftritt beschäftigt sich im Rahmen von internationalen Kontexten mit kriminologischen Aspekten unterschiedlicher Art. Die Schlagworte ‚Weltweites Interesse‘, ‚Gemeinsames Denken‘ und ‚Gegenseitiges Aufklären‘ sollen Interessierte dazu animieren, über Länder nachzudenken und mit Anderen in Austausch zu treten.
Die Motivationsgründe um dieses Projekt zu starten sind unterschiedlicher Art: Zum einen spielt vor allem das Curriculum des Masterstudiengangs Internationale Kriminologie der Universität Hamburg der primäre Grund. Ein Auszug hieraus lautet:
Das viersemestrige M.A.-Programm Internationale Kriminologie ist um die vier Themenschwerpunkte „Policing“, „Internationale Kriminal- und Sicherheitspolitik“, „Rund um Strafe“ und „Visual Criminology‘ organisiert. An die Perspektiven der „Kritischen Kriminologie“ anknüpfend vermittelt es die Problemstellungen, Befunde und Diskussionen des Faches unter besonderer Berücksichtigung gesellschaftspolitischer Fragen und internationaler Diskussionen.
Hierbei kommt meiner Meinung nach der internationale Aspekt zu kurz. Sicherlich gibt es diverse Angebote, die den europäischen Kontext zum Inhalt haben, dennoch bleiben internationale Kontexte sowie das Übertragen von nationalen Theorien, Gedanken und Vorgängen über europäische Grenzen hinaus meist aus. Besonders an dieser Stelle sehe ich an der Universität ein Defizit. Wieso nicht einmal Theorien in Kontexten, für die sie nicht primär gedacht waren anwenden?
Ein weiterer Motivationsgrund stellt der Faktor ‚Globalisierung‘ dar. Keine Gesellschaft ist nicht von ihr betroffen – ein Anlass ihr auch in der Kriminologie einen höheren Stellenwert beizumessen. Globalisierung bedeutet zudem Wandel – die Kriminologie betreffend u.a. der Wandel des Kriminalitätsbegriffes. Wie definiert sich Kriminalität in unterschiedlichen Kontexten und vor allem, welche Faktoren machen ihn zu dem, was er in einem Land bedeutet und womöglich in einem anderen etwas ganz anderes zum Inhalt hat?
Comparative Criminology
Anhand der theoretischen Grundlage der Comparative Crimonology (C.C) – der vergleichenden Kriminologie – soll durch Think. International Aufmerksamkeit erregt werden und durch das Aktivwerden von Menschen ein Beitrag zur Veränderung der zu eng gestrickten kriminologischen Betrachtungsweise (Im Kontext von national und international gesehen) geleistet werden. An dieser Stelle möchte ich JANET CHAN zitieren, die C.C wie folgt beschreibt: „State of criminological theory under conditions of globalization and reflexive modernization“.[1]
Warum nicht einmal Länder wie Simbabwe, Kuba, Kambodscha oder Finnland unter die Lupe nehmen und die dortige Kriminalität „kennenlernen“? Das Argument, das solche Länder für Kriminologen aufgrund ihrer niedrigen Kriminalitätsrate unattraktiv seien, muss überwunden werden; denn trotz allem gibt es in diesen Ländern Kriminalität. Muss eine Kriminalitätsrate erst als „drastisch“ hoch definiert werden oder muss ein bekannter Theoretiker aus einem bestimmten Land stammen, bevor man sich mit diesem Land intensiv auseinander setzt?
Ich möchte meinen Gedankengang an einem Beispiel erläutern:
Man betrachte das Khmer Rouge Tribunal in Kambodscha: 2003 unterzeichneten die Vereinten Nationen und die kambodschanische Regierung ein Abkommen, in dem vereinbart wurde, dass das Gericht des Tribunals sich aus kambodschanischen und internationalen Richtern zusammensetzt und dass kambodschanisches Prozessrecht zur Anwendung kommt. Das Gericht wird seinen Sitz in Phnom Penh haben. Die beteiligten kambodschanischen Richter sind in der Mehrheit, dennoch muss jede Entscheidung von mindestens einem ausländischen Richter mitgetragen werden. Im Jahr 2004, somit 25 Jahre nach den in den Gerichtsverfahren zu behandelnden Ereignissen, wurde ein Gesetz verabschiedet, das einen von den Vereinten Nationen begleiteten Prozess gegen die noch lebenden Führungskader der Roten Khmer ermöglicht. Mögliche Fragen zu diesem Thema wären:
- In welchem internationalen Interesse steht die Beteiligung am Khmer Rouge Tribunal? Ewig wurde diskutiert, aus welchen Ländern die Richter stammen sollen und wo das Gericht tagen soll. Warum ist es unabdingbar, dass bestimmte Länder vertreten sind und welches Interesse haben Länder außerhalb Asiens an einer Verurteilung nach 25 Jahren?
- Wem und was dient dieses Tribunal? Geht es um Rache bzw. ausgleichende Gerechtigkeit nach solch einer langen Zeit? Oder geht es primär darum, die Geschehnisse aufzuarbeiten und somit einen wichtigen Grundstein für das Vorankommen im Land zu legen? Geht es womöglich auch um ein symbolisches Zeichensetzen? Darum, dass solche Taten nicht ungestraft bleiben (sollten)?
- Steht der Kostenfaktor dieses Tribunals in Relation mit dem zu erzielenden Effekt in der Gesellschaft?
Warum widmen wir, die (angehenden) Kriminologen uns nicht der Debatte um die Tötung von Nashorn-Hörnern in Simbabwe oder den geschichtsschreibenden Cuban Five? Und Welche Rolle spielt Amerika im Drogenkartellkrieg im Norden Mexikos? Gibt es nicht genügend kriminologische Angriffsfläche hinter Themen, die auf den ersten Blick womöglich als kriminologisch ungeeignet erscheinen?
Die Stichwörter sind ‚Globalisierung‘, ‚Transnationalität‘, und ‚Internationalität‘, umzusetzen durch das Ziehen von Vergleichen und das Herausarbeiten möglicher Gemeinsamkeiten und Unterschiede. So können neue Aspekte zum Vorschein kommen. Die bereits erwähnte Comparative Criminology hat dies zum Inhalt. Sie wirft vergleichend den Blickwinkel auf Länder und bringt auf diesem Wege diese Stichwörter zum Ausdruck.
Inhaltlich geht es bei Think.International um die unterschiedlichen Beziehungen von Kriminalität und Kriminalitätskontrolle. Das primäre Ziel ist es, die Öffentlichkeit über Länder zu informieren, ihr Interesse zu gewinnen und eventuell auch “eher banale” Informationen zu veranschaulichen. Weiterführend findet eine Verknüpfung zwischen globaler und lokaler Ebene statt. Dies kann anhand der Betrachtung unterschiedlicher Felder geschehen. Geeignet hierfür sind z.B.:
- Area Studies: Informationen über historische und geografische Länderfakten sowie politische und wirtschaftliche Gegebenheiten
- Transnational Crime Issues: Fokussierung der Ergebnisse und Begleiterscheinungen im Zuge der Globalisierung. Oft werden hierzu Analysen bzgl. organisierter Kriminalität wie z.B. White collar crime, Korruption, Sex-trafficking herangezogen.
- Issues in Transnational Control Responses Hierbei stehen nationale sowie internationale Kontrollinstitutionen unter Betrachtung. Bekannte Stichwörter sind hierbei Policing und internationale Sicherheitspolitik.
- Aber auch neue „Phänomene“ wie Green Criminology, Ökologische Verbrechen, die sich mit transnationalen Umweltaspekten beschäftigt stellen Inhalte der C.C. dar.
Sicherlich gilt es, sich bei der Darstellung der unterschiedlichen Länder bestimmter Problematiken bewusst zu sein und diese bei der Länderrecherche zu beachten. Zum einen muss immer eine gewisse Vorsicht bei der Betrachtung und Analyse von Statistiken gewahrt werden. Die Fragen ‚Wer‘ hat und ‚wofür‘ wurden sie erhoben sollten stets reflektiert werden. Zudem sollten sich die Ländererxperten stets bewusst sein, dass es sich bei dem Begriff ‚Kriminalität‘ um ein zeitlich wandelbares Konstrukt handelt und somit ein unmittelbarer Vergleich von Phänomenen in unterschiedlichen Länderkontexten nicht immer 1:1 durchführbar ist. Dennoch ist das Ziel der Think.International – Plattform der Versuch, zunächst als unvergleichbar erscheinende Fakten vergleichbar zu machen.
Zuletzt stellt sich die Frage nach der inhaltlichen Organisation der Plattform. Das Konzept sieht vor, dass zunächst unterschiedliche Länder vorgestellt und diskutiert werden sollen. Dies geschieht anhand Kolumnen wie „Landesinformationen“, „Literatur- und Medienhinweise“ und „Diskussionsansätze“ Sobald sich genügend Länderexperten gefunden haben, können diese und die Leser versuchen, die unterschiedlichen Länderkontexte aufeinander zu beziehen, gegeneinander abzuwägen, sie unter bestimmten Gesichtspunkten zu betrachten, sie miteinander zu verknüpfen und auf irgendeine Art und Weise in Kontrast zueinander zu setzen.
Mitmachen erwünscht
Durch das Angebot soll sich eine breite Masse von Interessierten animiert fühlen, aktiv zu werden. Voraussetzung ist nicht unbedingt, dass man sich beruflich oder studiumsbedingt im direkten Feld der Kriminologie bewegt. Allein das Interesse an kriminalpolitischen Themen jeglicher Art ist die beste Voraussetzung. Dennoch sind Kriminologen natürlich auch gefragt!
Die Themen, über die sie sogenannten Länderexperten schreiben werden und die Ideen zur gestalterischen Umsetzung sind ihnen selbst überlassen; – ob Hinweise zu Zeitungsartikeln, Videos, Gesprächsforen oder eigene Erlebnisberichte sowie Denk- und Diskussionsanstöße liegt in ihrer Hand. Der Kreativität ist keine Grenze gesetzt.
Think. International leistet einen Beitrag, das heutige Verständnis von globaler und vergleichender Kriminologie zu verbessern, weiterzuentwickeln und der Kriminologie einen wichtigen Weg für die Zukunft zu weisen. Die Globalisierung ist ein Vorgang, der sich in vollen Zügen weiter ausbaut. Die Kriminologie kommt daher um eine globale Sichtweise nicht herum.
“By Studying local and particular, by relating what they find to an understanding of the general and the global and by acting transnationally, criminologists are able to influence the future turn of event.”[2]
Download des Projektflyers
Literaturangaben
James Hardie-Bick et al.: Introduction: Transnational and Comparative Criminology in a Global Perspective. In: James Sheptycki and Ali Wardak (Hg.) (2005) Transnational and Comparative Criminology, S. 1-16
Marinella Marmo (2011): Abstract of Transnational Crime and Criminal Justice: An Introduction. Sage Publications.
Robert W. Winslow/Sheldon X. Zhang (2008): Criminology. A Global Perspective. Prentice Hall, S. 1-5, 425-555, 625-636.
[1] Vgl. Chan in: Sheptycki, Wardak 2005: S.14
[2] Vgl. Sheptycki, Wardak 2005, S.14