Im Rahmen des Public Criminology Seminars im Studiengang „internationale Kriminologie“ an der Universität Hamburg ist ein fiktives, nicht realisiertes Projekt zum Thema Opferschutz und Zivilcourage entstanden. Anlass für das Projekt sind die gesellschaftlichen Missstände in einigen sozial schwachen Stadtteilen Hamburgs. In diesen Stadtteilen leben die Anwohner mit ständiger fremder Gewalteinwirkung. Für die gesellschaftlichen Missstände gibt es kein Patentrezept, allerdings haben wir in diesem Projekt versucht, die Gesellschaft für Opferwerdung und Zivilcourage zu sensibilisieren und ein paar praktische Tipps für ein optimales Verhalten in problematischen Situationen zu geben.
Die gedachte praktische Umsetzung des Projekts ist mit Theorien über Opferwerdung, Viktimologie und Präventionsgedanken belegt.
Die im Projekt genannte Kooperation mit dem Bündnis „Aktion Zivilcourage e.V.“ ist rein fiktiv, weder abgesprochen noch vereinbart.
Helfen hilft !!!!
Situation
Gewaltstraftaten gehören besonders in sozial schwachen Stadtteilen Hamburgs zum Tagesablauf dazu. Die Menschen, die in diesen Stadtteilen leben, leben täglich mit fremder Gewalteinwirkung und fürchten selbst einmal Opfer werden zu können.
Um der potentiellen Opferrolle zu entkommen gibt es zwei Strategien.
- man wird selbst zu einer gefährlichen Person, lässt sich keinerlei Schwäche anmerken, geht aufrecht und rücksichtslos durchs Leben und behauptet sich im Zweifelsfall durch Körperkraft. Wenn diese Strategie funktioniert, dann lernt die aktive Person sich durch Gewalt erfolgreich behaupten zu können (Lernen am Erfolg) und wählt Gewalt als primäres Instrument zur Erreichung der aktiven Interessenvertretung. Mögliche Folgen eines solchen Verhaltens können ein sehr negatives soziales Netz, Anzeigen bei der Polizei und Gefängnisaufenthalte bedeuten.
- man schaut weg und meidet jede Form von Stress und vermeidet jede Situation, in der man selbst einmal Opfer werden könnte. Aus Angst vor der Ohnmacht leistet man keine Hilfe, fühlt sich schrecklich und machtlos und leistet damit Vorschub für Gewalttäter auf der Straße.
Für das Problem der öffentlichen Gewalt auf Spielplätzen, Schulhöfen, Straßen, etc. gibt es kein Patentrezept. Es gibt zwar Präventionsprogramme, die das Selbstbewusstsein stärken und versuchen Kindern und Jugendlichen das Rüstzeug zu geben, erfolgreich und unbeschadet durch die Jugend zu kommen, allerdings ist niemand davor gefeit Opfer zu werden, egal wie viel Stärke er ausstrahlt.
Projektvorhaben
In diesem Projekt geht es um die Sensibilisierung und Mobilisierung der Öffentlichkeit. Die Bevölkerung soll aktiv daran erinnert werden wie es ist, Opfer zu werden und welche Hilflosigkeit sich aus dieser Situation heraus ergibt. Das Plakat appelliert an die Empathie mit den Opfern und soll verdeutlichen, dass jedes Wegschauen und Ignorieren der Situation die Täter stärkt und die Gesellschaft verschlechtert. Außerdem macht sich jeder der wegschaut zum Mittäter.
Ein einziger Telefonanruf an die Polizei genügt, besonders bei Personen, die sich aufgrund geringer Körperkraft, selbst in eine gefährliche Situation bringen könnten.
Dieses Plakat soll in Kindergärten, Schulen, Jugendeinrichtungen, Bushaltestellen und Bahnen aufgehängt werden und somit die Menschen in jeder Lebenssituation daran erinnern, wie wichtig es ist, Zivilcourage zu zeigen, damit die Täter zu schwächen und die Straßen sicherer zu machen. Außerdem soll es Informationstage geben, an denen Zivilcourage und Opferwerdung thematisiert werden. Möglicherweise könnten diese Informationsveranstaltungen in Unterstützung und Zusammenarbeit mit dem Netzwerk „Aktion Zivilcourage e.V.“[1] durchgeführt werden. Ebenso denkbar wären Überfallsimulationen z.B. in der Bahn, auf dem Schulhof oder in der Innenstadt mit einer anschließenden Konfrontation der aktiven, bzw. passiven Menschen mit Ratschlägen und Tipps für künftige Situationen/Reaktionen.
Zentrale Fokussierung
- Empathie/Mitgefühl
- Verdeutlichung der Opferperspektive
- Aufforderung aktiv zu werden = Zivilcourage zu zeigen
Praktische Hilfen
- man sollte sich nie in Gefahr bringen
- bei Hilfeleistungen sollte man sich immer um das Opfer kümmern, nicht um den Täter. Man sollte dem Opfer eine Hand reichen, nicht den Täter anfassen, da man damit eine Grenze überschreitet
- der Täter sollte immer gesiezt werden. Sonst entsteht eine falsche Vertrautheit und die umherstehenden Personen denken man ist bekannt.
- Hilfe holen ist schon ein großer Beitrag, wenn ein direktes Eingreifen riskant erscheint. In diesem Fall kann man dem Opfer sagen „Ich habe sie wahrgenommen und organisiere Hilfe“. Das ist abschreckend für die Täter. Dann sollten Menschen angesprochen werden. „Da braucht jemand unsere Hilfe! Kommen sie bitte mit bzw. verständigen sie bitte die Polizei![2]
Sechs-Punkte-Plan Die Polizei hat sechs praktische Regeln für mehr Zivilcourage zusammengestellt, die jeder anwenden kann
- Ich helfe, ohne mich selbst in Gefahr zu bringen.
- Ich fordere andere aktiv und direkt zur Mithilfe auf.
- Ich beobachte genau und präge mir Tätermerkmale ein.
- Ich organisiere Hilfe unter 110.
- Ich kümmere mich um Opfer.
- Ich stelle mich als Zeuge zur Verfügung.
Zivilcourage Definitionen
- „Es ist Zeit, dass jetzt etwas getan wird. Derjenige allerdings, der etwas zu tun wagt, muss sich bewusst sein, dass er wohl als Verräter in die deutsche Geschichte eingehen wird. Unterlässt er jedoch die Tat, dann wäre er ein Verräter vor seinem eigenen Gewissen.“ – Claus Schenk Graf von Stauffenberg, kurz vor dem Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944
- „Die Rettung der Menschheit besteht gerade darin, dass alle alles angeht.“ – Alexander Solschenizyn bei Entgegennahme des Nobelpreises für Literatur, 10. Dezember 1970. nobelprize.org
- „Ohne Zivilcourage sind alle anderen Tugenden nutzlos.“ – Edward Abbey, Confessions of a Barbarian: Selections from the Journals of Edward Abbey, 1951-1989 (1994)
Theorie
Herkunft/Hintergrund
1941: Hans von Hentig: Analyse der Interaktion zwischen Täter und Opfer
1948: Veröffentlichung des Buches: Der Verbrecher und sein Opfer
1947: Benjamin Mendelsohn: Vortrag über neue bio-psycho-soziale Horizonte
1954: Henri Ellenberger: Erklärung der Täter-Opfer-Beziehung und Faktoren der Verstärkung des Opfer-Werdens, wie z.B. Isolation
1957: Sara Margery Fry setzte sich für die Wiedergutmachung des dem Opfer entstandenen Schadens ein
1963: 1. Gesetz zur Entschädigung von Verbrechensopfern on Neuseeland
1976: Opferentschädigungsgesetz, 1986 Opferschutzgesetz
1979: World Society of Victimology in Münster
1983: Europarat in Straßburg legt international einheitliche Grundsätze für die Staatliche Entschädigung von Verbrechensopfern fest
Heute: diverse Vereine in der BRD zur Unterstützung von Verbrechensopfern (Weißer Ring, Opfer gegen Gewalt, etc.)
Theoretische Konzepte zur Viktimologie
1. Opfertypologien von Hentig, Mendelsohn, Fattah
Hentig: Opferrisiko
Hentig betachtete Faktoren, wie familiäre Erfahrungen, räunlich-zeitliche Gegebenheiten, Minderheitssituation (Migranten), eigenem aggressivem Verschulden und persönliche Lebensgestaltung (Berufswahl) und stellte fest, dass bestimmte Berufsgruppen dafür prädestiniert sind, Opfer zu werden und das aufgrund von bestimmten Bedingungen.[3]
Mendelsohn: Opferverschulden
Für ihn ist das Verhalten des Opfers ausschlaggebend. Er teilt Opfer in bestimmte, ihrem Verhalten in der Opferperspektive nach ein.
Fattah: Tatbeitrag
Er hält die Interaktion zwischen Täter und Opfer für entscheidend für den weiteren Verlauf der Straftat
2. Lebensstilmodel (lifestyle model)[4]
Lebensstile charakterisieren bestimmt Gruppen von Personen. Ihre Handlungen, ihre Erkrankungen, und ihre Denkstrukturen. In mikrosoziologischen Studien werden Beziehungen zwischen Lebensstil und sozialen Ungleichheiten nachgewiesen.
Durch den Lebensstil können Opfer eine Straftat sowohl begünstigen, oder das Risiko der Viktimisierung minimieren.
3. Konzept der Routineaktivitäten (routine activity approach)
4. Karriere Modell
Das Karrieremodell beschreibt einen sich verselbstständigen Prozess der kriminellen Karriere, der Opfer-Werdung, der Stigmatisierung. In Bezug auf die Viktimisierung wird die sich immer weiter verfestigende Opferrolle thematisiert. Modell in 3 Stufen:
- primäre Viktimisierung (unmittelbare Opferwerdung, direkte Schädigungen bei Opfer und Angehörigen, psychische-, soziale-, physische-, materielle Schäden)
- sekundäre Viktimisierung (Verstärkung der primären Viktimisierung durch Reaktionen der Umwelt, durch Strafprozess)
- tertiäre Viktimisierung (Folgen aufgrund von Etikettierungsprozessen, sowie die Selbstdefinition als Opfer)
5. Theorie der erlernten Hilflosigkeit[5]
Personen, die mehrfach Opfer von Straftaten wurden, realisieren, dass die trotz bewusster Steuerung des eigenen Verhaltens, weiterhin Opfer von Straftaten werden (können) und resignieren. Sie werden passiv und fügen sich ohne weiteren Widerstand ihrem Schicksal. Verlust des Glaubens an die eigene Selbstwirksamkeit. Gründe :
- Angst vor dem Täter und vor Verschlechterung der Situation
- Scham vor Bloßstellung und den Folgen in der Öffentlichkeit
- Verlust des Glaubens an die Selbstwirksamkeit
Opferdispositionen
Körperliche und psychische Risikofaktoren:
- Ausländer werden vermehrt Opfer rassistisch motivierter Gewalt
- Alte Menschen werden vermehrt Opfer von Betrug, Diebstahl, Raub
- Frauen und Kinder werden vermehrt Opfer von Gewalt- und Sexualdelikten
Offensichtliche Risikofaktoren erhöhen die Attraktivität des Opfers für den Täter
Zwei Variablen: Attraktivität und Zugänglichkeit[6]
Viktimologie
Viktimologie ist eine Teildisziplin der Kriminologie. Das Opfer steht im Vordergrund des Interesses. Es wird versucht durch Opfererfahrungen (Opferbefragungen als Erhebungsinstrument) Präventivmaßnahmen gegen Opferwerdung zu entwickeln. Die Beziehung von Opfern und Tätern wird genau untersucht und es wird gefragt, warum eine Person Opfer wird und eine andere Person nicht? (Disposition, Viktimisierung, Opfermerkmale)[7]
Zivilcourage
Zivilcourage ist eine Zusammensetzung aus dem lateinischen Wort civilis (bürgerlich, anständig) und courage (Mut).
Zivilcourage bedeutet demnach das Durchsetzen der eigenen Meinung und Werte gegen ein kollektives Interesse in der öffentlichen Diskussion.
In der Zivilcourageforschung wurde kein Unterschied bei couragiertem Eingreifen zwischen den Geschlechtern erkannt. Zivilcourage ist jedoch abhängig von Persönlichkeitsmerkmalen, wie sozialer Verantwortung, Empathieempfinden und Selbstvertrauen. Demokratisch-humane Grundwerte müssen stark ausgeprägt sein, genauso wie Toleranz und Solidarität. Überdurchschnittlich viele Helfer befinden sich in den Berufsgruppen Polizei, Feuerwehr oder Sanitätern. Das ist darauf zurückzuführen, dass diese Personen wissen was sie zu tun haben (Selbstvertrauen). Neutrale Personen scheuen meist öffentliche Fokussierung auf die eigene Person, fühlen sich verunsichert und wollen keine Fehler begehen.
Es gibt Opfer-Hierarchien: Wir helfen in erster Linie Opfern, die uns ähnlich sind, da wir uns selbst in der Opferposition sehen. Bei Obdachlosen, Jugendlichen oder Homosexuellen wird seltenes eingegriffen, da wir die Vorgeschichte der Streitsituation nicht kennen und eine Teilschuld des Opfers vermuten.
Je mehr Menschen um eine Situation herumstehen, desto weniger fühlt sich jeder einzelne berufen einzuschreiten. Die individuelle Verantwortung wird an das Kollektiv abgegeben.
Person + Umwelt = Verhalten
[1] Aktion Zivilcourage e.V. ist ein Netzwerk gegen Gewalt, indem sich Menschen im sozial politischen Interesse zu einem überparteilichen Bündnis zusammenschließen und aktiv gegen Gewalttaten vorgehen. Zivilcourage wird als gesamtgesellschaftliches Problem anerkannt, jedoch sind Jugendliche in Schulen und Freizeit (Jugendzentren, Sportvereinen) die primäre Zielgruppe, die sie mit Flyern und Informationsabenden, sowie Musik und Sportangeboten erreichen möchten. Auf diesem Wege soll ein öffentliches Bewusstsein für Fremdenfeindlichkeit, Gewalttaten und Empathie mit der Opferrolle geschaffen werden.
[2] Interview mit Frau Prof. Veronika Brandstätter-Morawietz, Universität Zürich: (http://www.brigitte.de/gesellschaft/politik-gesellschaft/zivilcourage-lernen-1041958/)
[3] http://www.strafrecht-online.org/index.php?dl_init=1&id=2142 (8.1.2011)
[4] http://www.springerlink.com/content/4m6787h5u7r4v1h9/ (7.1.2011)
[5] http://www.krimlex.de/artikel.php?BUCHSTABE=&KL_ID=202
[6] http://www.hausarbeiten.de/faecher/vorschau/102887.html
[7] http://www.krimlex.de/artikel.php?BUCHSTABE=&KL_ID=202
[Bei dem hier vorgestellten Projekt handelt es sich um eine fiktive Kampagne, die im Rahmen des Seminars Public Criminology – Der Kriminologe als kriminalpolitischer Akteur an der Universität Hamburg entstanden ist. Nähere Informationen zum Projektseminar und zum Konzept der Public Criminology sind hier nachzulesen.]
DAMerrick schreibt
Zivilcourage?
Bringt nichts.
Ich kann aus dem Stehgreif 20 Fälle auflisten:
Wer versucht zu helfen wird wegen Körperverletzung bestraft, bekommt keine Entschädigung wenn er Blessuren erhält, darf gekündigt werden wenn er wegen Zivilcourage zu spät kommt, gilt als Provokateur wenn er sich zwischen die Menschen stellt und, und, und….
Es reicht schon das man angeklagt wird wenn man sein eigenes Leben verteidigt. Wieso sollte man doch noch gerechter behandelt werden wenn man Zivilcourage zeigt?