Nicht nur im vergangenen Jahr haben die auf eine Auseinandersetzung zwischen Mitgliedern der Hells Angels und der Türstehervereinigung United Tribuns folgende Großrazzia im Rockermilieu sowie die vermutete Unterstützung des Motorradclubs durch hessische Polizeibeamte für zahlreiche Medienberichte gesorgt. Auch in diesem Jahr machen Rockervereinigungen mit Gewaltkriminalität Schlagzeilen. So sollen die Spuren eines Juwelenraubs in Berlin zu den Hells Angels führen. Erneut wurden Durchsuchungen im Rockermilieu durchgeführt. Polizei und Sicherheitsbehörden wirken besorgt. Die aktuellen Entwicklungen sind Anlass, den Blick hinter die Kulissen der Rockerclubs zu werfen.

Bei Motorrad Clubs wie den Hells Angels und den Bandidos handelt es sind um Subkulturen, die sich hinsichtlich ihrer Institutionen, Bräuche, Normen, Werteordnungssysteme, Präferenzen usw. in einem wesentlichen Ausmaß von den insoweit herrschenden Vorstellungen unterscheiden. „Sub“ in Subkultur weist darauf hin, dass die betreffende „Kultur“ bezüglich ihrer sozialen Stellung am unteren Ende der gesellschaftlichen Akzeptanz angesiedelt ist. Gleichwohl bleiben derartige Zusammenschlüsse als Unterkulturen Teil unserer Gesellschaft und Gesamtkultur.
Im Gegensatz zu konsumorientierten Kompensationskulturen mit hohem Integrationsgrad verstehen sich derartige Gegenkulturen als Opposition zum bestehenden System und wollen als solche auch wahrgenommen werden. Ihr Ziel ist es, sich von der herrschenden Kultur zu distanzieren, Angehörige der herrschenden Kultur zu provozieren und Ansehen bei Gleichgesinnten zu erlangen.
Als kollektive Reaktion auf Anpassungsprobleme erfüllen diese Subkulturen den Zweck, gesellschaftlichen Außenseitern eine Lebensmöglichkeit unter Gleichgesinnten mit vergleichbarem sozialem Rang zu ermöglichen. Die subkulturellen Zusammenschlüsse liefern ihren Angehörigen eine kollektive und akzeptable Lösung für Anpassungs- oder Integrationsprobleme. Sie schaffen Statuskriterien, nach denen auch gesellschaftlich unterprivilegierte Menschen leben können. Hierbei ist der Statusgewinn innerhalb der subkulturellen Gruppe meist mit einem Statusverlust innerhalb der alten Gruppe, der herrschenden Kultur, verbunden.
Kriegsheimkehrer als Gründungsväter
Insbesondere das Ende des Zweiten Weltkrieges führte dazu, dass tausende junger wehrpflichtiger Amerikaner, die aufgrund ihres militärischen Trainings Motorräder fahren konnten, in ihre Heimat zurückkehrten und eine Beschäftigung suchten. Viele von ihnen waren aufgrund der Kriegserfahrungen nicht in der Lage, sich in das zivile Leben einzufügen und daher gehalten, soziale Randgruppen auszubilden. Als Folge entstanden die zum Großteil in den Jahren zwischen 1930 und 1950 gegründeten heutigen Motorrad Clubs.
Diesen gelang es Anfang der 70er Jahre, sich in Deutschland zu etablieren und auch hier eine altersgruppenübergreifende „Rockerphilosophie“ zu leben. Mit gleicher Ausrichtung gründeten sich aber auch Deutsche Clubs wie z.B. der Gremium MC 1972 in Mannheim. Eine Vorreiterrolle innerhalb der Subkultur nahmen dennoch schnell die deutschen Ableger des Hells Angels MC ein, welche auch aufgrund ihrer Popularität (verbunden mit zahlreichen Auftritten in Hollywood-Filmen) stilprägend für alle weiteren Clubs wurden. Mittlerweile haben sich nationale Unterschiede als Folge des internationalisierten Clubwesens weitgehend aufgelöst.
Eine besondere Position wird innerhalb der Subkultur denjenigen Motorrad Clubs eingeräumt, die in den Medien als besonders gewalttätig beschrieben werden (bspw. Hells Angels und Bandidos). Dies gilt innerhalb der Subkultur als erstrebenswertes Zeichen gelebten „Rockertums“ und kann zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Clubs führen.
Subkulturelles Ehrverständnis als Ursache der Gewalt
In der Subkultur der Rocker spielt die Ehre eine entscheidende Rolle. Bedeutsam sind vor allem die eigene Ehre und die Ehre der Clubs. Diese darf durch das Verhalten Dritter oder durch die nicht erfolgende Reaktion auf ein ehrherabsetzendes Verhalten auf keinen Fall geschmälert werden, koste es was es wolle. Der Ehrbegriff steht innerhalb der Subkultur in engem Zusammenhang mit einem ausgeprägtes Elitedenken, wonach nur die hartnäckigsten Bewahrer der Ehre Anerkennung erfahren können.
Ein Ehrenkodex, der z.B. gewalttätige Ausschreitung in gelenkten Bahnen halten soll, existiert innerhalb der Subkultur allerdings nicht. Gewalt ist somit zum Zwecke der Ehrbehauptung vorprogrammiert.
Während in den Medien regelmäßig der Kampf um die Vorherrschaft um kriminelle Märkte als Auslöser von subkulturellen Auseinandersetzungen angesehen wird, weist vieles darauf hin, dass subkulturelle Auseinandersetzungen häufiger auch mit Ehrverletzungen und dem untereinander zugesicherten Zusammenhalt zusammenhängen. Dass dies der Fall ist, ist allerdings nur schwer nachweisbar. Die insoweit für Aufklärung sorgende Zusammenarbeit mit staatlichen Strafverfolgungsorganen kommt für Angehörige der Subkultur nicht in Frage. Sie würde als Verrat oder Schwäche und somit als ehrminderndes Verhalten gewertet.
Aus diesem Grunde dürften Mitglieder von Motorrad Clubs grundsätzlich auch ein höheres Maß an Gewaltdelinquenz als vergleichbare Bevölkerungsgruppen aufweisen. Eine kriminelle Ausrichtung im Sinne einer Spezialisierung der Subkultur auf den Waffen- und Drogenhandel kann nach gegenwärtigem Kenntnistand allerdings nicht belegt werden. Die Zurechnung der Rockervereinigungen zur Organisierten (Banden-)Kriminalität scheint daher durchaus zweifelhaft.
Territorialität als Ursache für „Rockerkriege“
Als Auslöser zahlreicher Straftaten der Subkulturangehörigen ist zudem deren weltweites System der Territorialität in Betracht zu ziehen. Dieses beschreibt die ausgeprägte Rangordnung zwischen den einzelnen Clubs und weist auf Verdrängungsprozesse hin.
Wenngleich es einfach scheint, die Ursachen von Streitigkeiten zwischen Motorrad Clubs im Kampf um die Vorherrschaft über Drogenmärkte, Türsteherszenen oder das Rotlichtgeschäft zu sehen, scheint als Ursache der festgestellten Straftaten auch ein Kampf um soziales Kapital, also um Ressourcen wie Anerkennung und regionale Präsenz möglich.
Wie jedes Wirtschaftsgut ist auch dieses soziale Kapital in einem bestimmten Gebiet nur begrenzt verfügbar und kann Verteilungskämpfe nach sich ziehen.
Stigmatisierung als Kriminalitätsursache
Von der Subkultur der Rocker geht durchgängig ein negatives Image aus, welches nicht zuletzt auf eine Vermittlung durch die Medien und auf polizeiliche Zuschreibungen zurückzuführen ist. So wird die Subkultur in Polizeikreisen und Medien häufig als Form der Banden- und der Organisierten Kriminalität bezeichnet. In den Medien werden zudem lediglich die spektakulären Erscheinungsformen und Äußerlichkeiten der Subkultur beschreiben.
Dies hat zur Folge, dass Angehöriger der Motorrad Clubs in unserer Gesellschaft häufig auf Vorurteile und Vorbehalte stoßen. Von Staatsorganen, Medien und der Allgemeinheit werden sie anders behandelt wie die Normalbürger. Es zeichnet sich eine Tendenz von Behörden und Politikern ab, die Subkultur in ihrer Gesamtheit zu kriminalisieren, was vorwiegend der Vereinfachung der staatlichen Kontrolle der Gruppen dienen soll.
Diese Stigmatisierung steht im Verdacht, als zusätzlichen Reizfaktor zu einer Solidarisierung und innerhalb der Subkultur zu einer Verfestigung des Zusammenhalts zu führen. Hierdurch wird die Bereitschaft der Rocker gesteigert, auch illegale Mittel zur Eigenbehauptung anzuwenden, was eine erhebliche Eskalationsgefahr mit sich bringt.
Schließlich kann die jahrelange Negativberichterstattung insoweit prägend wirken, dass innerhalb der Subkultur Verhaltensweisen aus Medienberichten aufgegriffen wurden, die vorher nicht subkulturtypisch waren. Zuschreibungsprozesse und damit einhergehende Ausgrenzung führen zu Anpassungseffekten. Die Subkulturangehörigen fügen sich mangels vorhandener Alternativen in die ihnen zugedachte Rolle.
Gewalt und Kriminalität der Rocker müssen daher auch als Reaktion auf gesellschaftlicher Ausgrenzung angesehen werden.
Der Autor Florian Albrecht, M.A., ist Kriminologe und Akademischer Rat a.Z. an der Universität Passau. Seit 2005 beschäftigt er sich intensiv mit dem Studium von Subkulturen.