Wie berichtet, ist Ministergattin Stephanie zu Guttenberg gemeinsam mit dem ehemaligen Innensenator von Hamburg, Udo Nagel, und RTL II auf Verbrecherjagd. Diese Jagd hat möglicherweise ein tragisches Opfer gefunden. Der Leiter eines Kinderdorfes in Würzburg hat sich, nachdem im Internetchat von „Kuscheln und Küssen“ die Rede war, mit einem vermeintlich dreizehnjährigen Mädchen in einem Café verabredet. Vor laufender Kamera, von der der Betroffene nichts wusste, stellte ihn die Mutter des Mädchens zur Rede. Der Betroffene beteuerte gegenüber der Mutter, dass nichts passiert sei. Im Internetchat hatte der Mann mit einem Lockvogel, nicht einem 13-jährigen Mädchen, kommuniziert, die „Mutter“ war eine Schauspielerin.
Nachdem die Sendung in der letzten Woche bei RTL II ausgestrahlt worden war, wurde der Betroffene sehr schnell in Internet-Foren identifiziert. Sein Arbeitgeber, der Caritasverband Würzburg, führte am letzten Donnerstag ein Gespräch mit ihm, suspendierte ihn und zeigte ihn bei der Staatsanwaltschaft Würzburg wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs an. Der Betroffene ist am Abend nach dem Gespräch mit seinem Arbeitgeber nicht nach Hause zurückgekehrt und seitdem verschollen.
Man verliert sich bei der Frage nach dem Verbleib und dem Grund seines Verschwindens in Spekulationen. Trotzdem muss an diesem Punkt gefragt werden, ob nicht auch Frau zu Guttenberg, Herr Nagel und die Produktion von RTL II eine Restachtung vor der Würde des Betroffenen, rechtsstaatlichen Prinzipien und dem Grundgesetz haben sollten, bevor sie unter dem Deckmantel, Kinder vor Pädophilen schützen zu wollen, auf Hetzjagd gehen.
Besteht der Verdacht einer Straftat, gibt der Rechtsstaat eindeutig das Verfahren vor: die Straftat ist anzuzeigen, die zuständige Strafverfolgungsbehörde nimmt die Ermittlungen auf und beantragt ggf einen Haftbefehl. Bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung durch den gesetzlichen Richter gilt für jeden die Unschuldsvermutung. Strafverfolgungsbehörden und nicht RTL II haben die hoheitliche Macht, Straftaten zu verfolgen. Der Einsatz eines sog. Agent provokateur, also einer Person, die jemanden zur Begehung einer Straftat herausfordert, ist als bedenklich einzustufen. Fraglich ist bei solchen Einsätzen die Grenze zur Anstiftung zu einer Straftat.
Im vorliegenden Fall wurde eine Person vor fünf Monaten entlarvt, aber die Kinderschützer der Nation, die keine Scheu haben, diesen Mann der Öffentlichkeit zum Fraß vorzuwerfen, haben andererseits keinen Anlass gesehen, unmittelbar die Strafverfolgungsbehörden einzuschalten oder den Arbeitgeber zu informieren. Stattdessen wird jemand heimlich gefilmt und der Film ausgestrahlt.
Möglicherweise wären Aufklärung, Prävention und vielleicht soziale Kontrolle und ärztliche Hilfe in dem Bereich angebrachter als die Verbrecherjagd vor laufender Kamera.
Stellen wir uns vor, die gesendete Geschichte lebt von der Konstruktion und es liegt kein schwerwiegendes strafrechtliches Verhalten vor: in dem Fall wäre es schön in einem Land zu leben, in dem es für eine zerstörte Existenz wenigstens eine finanzielle Wiedergutmachung gibt.
Grace schreibt
Die taz hat diesem Thema ihre „Streit der Woche gewidmet.
Mehr dazu hier: http://www.taz.de/1/debatte/sonntazstreit/artikel/1/verhindert-der-medienpranger-sexualstraftaten/