In der Reihe Hamburger Studien zur Kriminologie und Kriminalpolitik des LIT Verlags sind kürzlich drei Werke Hamburger KriminologInnen erschienen, die sich mit relevanten und aktuellen Phänomenen der Kriminologie befassen. Hierbei handelt es sich zum Einen um Mareile Kaufmanns Bestandsaufnahme der kritischen Diskussion zum Ethnic oder Racial Profiling im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung, zum Anderen um Andreas Prokops kritische Auseinandersetzung mit Gewaltpräventionsprogrammen und schließlich um Kerrin-Sina Arfstens Abhandlung über Grenz-Vigilantismus und Einwanderungskontrolle in Amerika am Beispiel des Minuteman Civil Defense Corps.
Mareile Kaufmann (2010) Ethnic Profiling and Counter-Terrorism. Examples of European Practice and Possible Repercussions
Kaufmanns Arbeit fußt auf der Rezeption der kritischen Auseinandersetzung mit der wachsenden Bedeutung des Profilings und der Versicherungslogik, die kriminalpolitischen Maßnahmen und Entscheidungen zugrunde liegen (hier vor allem: Harcourt, B. E. (2007): Against Predictions. Profiling, Policing and Punishing in an Actuarial Age. Chicago.). Dieser rationale und auf statistischen Korrelationen beruhende Ansatz hat im Zuge der Bekämpfung des Internationalen Terrorismus‘ nach 9/11 an Bedeutung gewonnen – angefangen von „Stop and Search“ / „Stop and Frisk“ Maßnahmen über Rasterfahndung (Mass Identy Checks, Data Mining), polizeiliche Durchsuchungen von Wohnungen, Büros und Befragungen von (Terror-)Verdächtigen, Ausweitung der Untersuchungshaft/ Präventivhaft (pre-charge detention), Erhebung bis hin zum Austausch von Flugpassagierdaten (Air Passenger Profiling) finden auf europäischer Ebene diverse Methoden und Maßnahmen Anwendung, die im Kontext mit dem Ethnic Profiling stehen. Neben einer Bestandsaufnahme dieser genannten und weiterer polizeilicher und geheimdienstlicher Ermittlungsmethoden nimmt die Autorin im Hauptteil ihrer Arbeit eine Analyse der möglichen (unmittelbaren und längerfristigen) Implikationen des Racial Profiling vor – diese beschriebenen nicht-intendierten Effekte betreffen sowohl methodische Schwächen als auch soziale Konsequenzen. Im Schlussteil ihrer Arbeit nimmt die Autorin eine juristisch, ethische Verhältnismässigkeitsprüfung des Ethnic Profilings, wie es in der Counter-Terrorism Strategie der Europäischen Kommission festgeschrieben ist, vor.
Aus der Verlagsanzeige
This work introduces examples of ethnic profiling in European counter-terrorism and analyzes possible after-effects on a theoretical basis. Primary effects, which are generally considered positive, are contrasted with secondary effects and methodological breaches, for instance the over- and under-inclusion of a profile, substitution and negative effects on the social life of the targeted group. The implications are documented with examples taken from the European counter-terrorism context and discussed in relation to European legal standards. The discussion closes with a proportionality test.
Andreas Prokop (2010) Aggression, Scham und metakognitive Fähigkeiten
In seiner Arbeit setzt sich Prokop aus einer kriminologischen Perspektive kritisch mit standardisierten Gewaltpräventionsprogrammen auseinander. Ausgangspunkt seiner Kritik sind zunächst unabhängige empirische Studien (wie die von Manuel Eisner und Kollegen), die zu dem Ergebnis kommen, dass der flächendeckende Einsatz von Präventionstechnologien im Hinblick auf Gewalt – anders, als diese Studien von „involvierten“ Forschern suggerieren – nicht die gewünschten Ergebnisse erzielt. Auch der langfristige Erfolg solcher Präventionsstrategien sei zu hinterfragen, da positive signifikante Effekte im Laufe der Zeit zurückgingen und die gemessenen Parameter Ausdruck einer bloß oberflächlichen Anpassung (Mimikry) – nicht aber tief greifender Persönlichkeitsänderung sei.
Als ein Problem gegenwärtiger Gewaltpräventionsprogramme identifiziert der Autor, das diesen Programmen zugrunde liegende Verständnis von Gewalt. Gewalt würde vor dem Hintergrund „konstruierter“ Sinnstrukturen und anhand einer Normalitätskonstitution gemessen und sei hiermit als relativ statische Einheit figuriert. Dieses Verständnis sei durchaus dienlich, da sie Präventionsprogramme auf relativ einfache Ursachenerklärungen angewiesen sind, um universell anwendbare „Technologien“ zum Einsatz bringen zu können. Die Fokussierung auf Technik und die partielle Ausblendung der Akteure entspräche dabei einer Ausweitung von Kontrollstrukturen, wie sie auch in anderen Bereichen der Gesellschaft zu konstatieren sei. Der abstrahierte Gewaltbegriff würde aber der Wirklichkeit nicht gerecht werden.
Prokop plädiert in seinen weiteren Ausführungen für ein Verständnis, das Gewalt als einen Moment in einem vielschichtigen räumlich-zeitlichen Kontext begreift. Ausgehend vom kritisierten vereinfachenden, statischen Gewaltbegriff tritt der Autor ein für einen interdisziplinären (psychoanalytischen, philosophischen und soziologischen) Blick und eine dynamischere Verortung des Problems.
Stellte man ein solches dynamisches Gewaltkonzept in Rechnung – so der Autor- müssten Ansätze zur Gewaltprävention die Handelnden in ihren jeweiligen Bezugssystemen weiter in den Mittelpunkt rücken. Entscheidend sei ein dynamisches Verständnis von Gewaltphänomenen, das sowohl individuelle Entwicklungsprobleme als auch den gesellschaftlichen bzw. sozialen Rahmen als Perspektiven versteht, die nicht unabhängig voneinander gedacht werden können.
Aus der Verlagsanzeige
Was bringen Programme zur Gewaltprävention? Inwieweit ist es realistisch, von standardisiertem pädagogischen Einwirken auf Kinder und Jugendliche ein besseres Zusammenleben, gerade in Schulen, zu erwarten und insbesondere auch Gewaltexzessen vorzubeugen?Empirische Evaluationen erbringen hier ganz unterschiedliche Ergebnisse, offenbar nicht unabhängig vom jeweiligen Interesse. Es erscheint also sinnvoll, über den Schein der Zahlen und Kurven hinauszugehen und theoretische Perspektiven unterschiedlicher Disziplinen für ein besseres Verständnis von Gewaltphänomenen zu nutzen. Das kann auch helfen, bloße Mimikry von wirklicher Veränderung zu unterscheiden.
Entscheidend ist also ein holistisches Verständnis von Gewaltphänomenen, das sowohl individuelle Entwicklungsprobleme als auch gesellschaftliche bzw. soziale Rahmenbedingungen in ihrer Verschränktheit zu begreifen sucht. Als zentrales Moment wird hierbei traumatisches Schamerleben herausgestellt, das das Verhältnis von Selbst und Welt vorstrukturiert und Phänomenen wie personenbezogener Gewalt, aber auch Überanpassung zugrunde liegen kann. Bloße Verhaltenskontrolle bringt hier wenig, kann unter Umständen ein exzessives Ausleben sogar befördern. Wichtig sind Beziehungsstrukturen, die über angemessene Affektspiegelung ein System der Selbstregulierung ermöglichen, wie es für ein gelingendes Zusammenleben unerlässlich ist.
Kerrin-Sina Arfsten (2010) The Minuteman Civil Defense Corps. Border Vigilantism, Immigration Control and Security on the US-Mexican Border
Am Beispiel der amerikanischen Minutemen – einer vigilanten Gruppierung, die sich der Sicherung der amerikanischen-mexikanischen Grenze verschrieben hat – re-konstruiert Arfsten die Entstehungsbedingungen des Grenzvigilantismus. Ihre Arbeit beruht auf Interviews, die sie mit namhaften Gründungsmitgliedern der Gruppierung geführt hat.
Bei ihren Analysen berücksichtigt die Autorin sowohl die speziellen kulturellen, historischen und geographischen Besonderheiten der Grenzregion als auch aktuelle globale und gesellschaftliche Entwicklungen. Hierbei spielen vor allem eine zunehmende Versicherheitlichung und Kriminalisierung von Immigration im öffentlichen amerikanischen Diskurs als auch die amerikanische Einwanderungspolitik eine entscheidende Rolle. Die Angst vor Überfremdung, Terrorismus und Schwächung der Wirtschaftskraft durch die massenhafte (illegale) Immigration mexikanischer Flüchtlinge identifiziert die Autorin als wesentliche Gründe für das Auftauchen der Minutemen. Anhand des Interviewmaterials und einer ausführlichen inhaltsanalytischen Untersuchung unterschiedlicher Quellen gelingt es der Autorin aufzuzeigen, dass es den Minutemen gelungen ist, eine Verunsicherung der amerikanischen Bevölkerung in Folge der Terroranschläge vom 11. September und den politischen Ruf nach einer zunehmenden Responsibilisierung der Bürger im Kampf gegen den Terrorismus für ihre eigene politische Agenda zu nutzen. Dem Minutemen Civil Defense Corps verhalf dieses gesellschaftspolitische Klima innerhalb weniger Jahre einen größeren politischen Einfluss zu erlangen als irgendeiner anderen vigilanten Bewegung zuvor.
Aus der Verlagsanzeige
Using the Minuteman Civil Defense Corps as a case study, this work explores the emergence and recent proliferation of civilian border patrol groups at the US-Mexico border. It is shown that the emergence of these groups can be linked, on the one hand, to an increasing criminalization and securitization of immigration. On the other hand, it is shown that it can also be connected to globalization and its associated forces of political and economic liberalization, which have transformed the security landscape in such a way that this form of citizen activism is not only tolerated, but arguably even encouraged.