Vor einiger Zeit habe ich an dieser Stelle auf die Fotoserie „Fluchtstücke“ von Marc Steinmetz hingewiesen. In dieser Fotoserie werden Bilder von Ausbruchs- und Kommunikationsgerätschäften sowie Waffen gezeigt, die von Gefängnisinsassen (z.B. in der Hamburger Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel – „Santa Fu“) angefertigt wurden.
Über den hervorragenden Übersichtsartikel „Typologies of Prison Tools“ bin ich jüngst über das Portfolio des Berliner Fotografen Simon Menner gestoßen. Sein Bilderzyklus Objects ist in der Haftanstalt Berlin Tegel entstanden und stellt von Haftgefangenen hergestellte Werkzeuge und Waffen dar.
The objects presented here have all been seized in prison cells of the Berlin Tegel prison. Ordinary objects and materials have been transformed to serve a purpose that was not originally intended by the ones who created these objects in the first place or who provided these materials to the prisoners.
What fascinates me here is the very old question of how much of the final object is already “inscribed” in its parts, even before its creation. And by asking this question I also ask a basic question on the nature of images. How much of a story is visible in the images, even before the story itself is unveiled?
(Quelle: Simon Menner, Objects – 2010)
Darüber hinaus enthält das Portfolio des preisgekrönten Fotografens aber noch eine Reihe weiterer spannender Arbeit, die ebenfalls einen kriminologischen/ kriminalistischen Bezug aufweisen; so z.B. Bilder aus der Serie Murder Weapons. Den hier abgelichteten Schusswaffen und anderen gefährlichen Objekten ist gemein, dass sie als Tatwerkzeuge in Mordprozessen eine Rolle spielten. Zur Wirkung dieser Bilder schreibt Dr. Matthias Harder, Kurator der Helmut Newton Stiftung Berlin:
Die schockierende Wirkung, die sich einstellt, wenn wir um den Hintergrund wissen, ist auch hier einkalkuliert. Menner hat bei der Berliner Polizei die unterschiedlichsten Mordwerkzeuge vor einem neutralen Fond photographieren dürfen; er gibt die Gegenstände etwa in ihrer eigentlichen Größe wieder, gelegentlich etwas kleiner. Die Pistolen und Steinhammer, die Messer und selbstgebastelten Nagelkeulen sind mit kleinen Nummern versehen. Sie dienten in den Gerichtsverhandlungen vermutlich als Beweisstu?cke, bevor sie seitdem in der Asservatenkammer der Polizei verwahrt werden. Das Wissen um die Verwendungsweise der Dinge lenkt den Blick auf eine weitere Bedeutungsebene. In unserer Rezeption entsteht vor dem inneren Auge plötzlich ein möglicher Tathergang, der von Szenen aus Kriminalromanen oder -filmen u?berlagert wird. Einige von uns malen sich – wie die Kriminalisten oder Fernsehkommissare – die Situation sicherlich sehr realistisch aus, etwa wie es zur Mordtat kam, und bringen den Gegenstand mit der Art des Dramas in Zusammenhang: Handfeuerwaffen lassen wohl eher einen Vorsatz erahnen, die Bronzeskulptur eine Affekttat.
Das künstlerische Spiel mit der Frage, wie es (tatsächlich) hätte sein können, und unseren Assoziationen und Imaginationen zeichnet Menners Bildwelt aus.(Quelle: Gut getarnt. Einführung von Dr. Matthias Harder, Kurator der Helmut Newton Stiftung Berlin)
Das Spannungsverhältnis von Wahrnehmung und Imagination zieht sich auch durch die Arbeiten der Serie Camouflage. Die Bilder sind auf einem Truppenübungsplatz in Schleswig-Holstein entstanden, und zeigen Scharfschützen der Bundeswehr, die gut getarnt auf den Betrachter zielen.
Das Perfide dieser Bildserie liegt darin, dass sie während der Aufnahme auf den Photographen zielten. So lautet zumindest dessen Selbstaussage; überprüfen lässt sich das jedoch nicht.
Unweigerlich kommen uns die beruühmten Parkszenen aus Antonionis Blow Up in den Sinn, wenn wir Menners Aufnahmen sehen und um deren Hintergrund wissen oder die Frage nach Wahrheit und Authentizität in der Landschaftsphotographie grundsätzlich erörtern. Gab es nun ein Verbrechen oder nicht?
Selbst durch die Vergrößerung zahlreicher Bilddetails können wir (wie der Protagonist im Film) bis zum Ende nicht sicher sein; wir können an den Mord glauben oder es Einbildung nennen. Der Versuch, bei Menners Bildern die Stelle näher zu untersuchen, an der nach seiner Aussage der Scharfschütze liegt, würde wohl ebenfalls scheitern. Was bleibt ist der Glaube an die Reste des Authentischen im Medium Photographie.(Quelle: Gut getarnt. Einführung von Dr. Matthias Harder, Kurator der Helmut Newton Stiftung Berlin)
Die Bilder aus der Serie Boobytraps sind keine Fotografien im engeren Sinne. Vielmehr handelt es sich hierbei um Konstruktionszeichnungen von Sprengfallen. Diese Bauanleitungen entstammen Handbüchern für amerikanische Soldaten. Simon Menner schreibt zur Intention dieser Bilder:
Die grundlegende Idee hinter der Konstruktion von Sprengfallen aus Alltagsgegenständen ist es, beständigen Terror zu erzeugen. Wenn selbst ein Teekessel eine potenzielle Bombe ist, so bleibt kaum etwas übrig, dem noch Vertrauen entgegengebracht werden kann. Alles könnte eine Bombe sein und wird daher im Kopf dessen, der sich dieser Bedrohung ausgesetzt sieht, auch zu einer Bombe.
(Quelle: Simon Menner: Gut getarnt. Boobytraps)
Alle Bilder der drei letztgenannten Arbeiten sind in dem Katalog IBB-Award for Photography 2009 zu sehen, der kostenlos auf der Internetseite von Simon Menner herunterzuladen ist.