Wer (wie ich gestern nachmittag) aus dem Ausland zurückkehrt, fühlt sich angesichts der Grenzübertritts-Prozeduren vielleicht nicht gerade „herzlich willkommen“, kann als kulturhistorisch Interessierter aber eine moderne Form einer alten Institution genießen, nämlich des Willkomms.
Im Gefängnis und in anderen totalen Institutionen mit Sinn für Ironie war der „Willkomm“ eine erniedrigende Behandlung des neu in eine Anstalt eingelieferten Gefangenen, die insbesondere aus der Austeilung schmerzhafter Schläge bestand. Ähnliches wird heute noch aus vielen Gefängnissen der Welt berichtet. Zu der Frage, ob es den Willkomm heute noch in hiesigen Haftanstalten gibt, bzw. inwiefern er neue Formen angenommen hat, hat die empirische Strafvollzugswissenschaft meines Wissens noch nicht geforscht.
Ob es eine eher traditionelle Form des Willkomm in der Asylbewerber- und Problemfall-Zwischenwelt in den Verliesen unterhalb des Frankfurter Flughafens gibt, hat die empirische Forschung bislang wohl noch nicht herauszufinden versucht. Eine mildere, aber denkenswerte Form jedenfalls kann schon der normale Reisende erleben, der nach 13 Stunden Flug durch den Ziehharmonika-Abfertigungsfinger tapert und sich der Passkontrollstelle nähert. Nähert. Denn die ist nicht weit entfernt, aber doch ernst nach allerlei Präliminarien zu erreichen, die nicht nur kostbare Umsteigeminuten verstreichen lassen, sondern auch allerlei willkommanaloge Unannehmlichkeiten mit sich bringen, die im Effekt doch so etwas darstellen wie eine Degradierungszeremonie zur Wiedereingewöhnung in ein nicht ganz so erfreuliches Staats- und Gesellschaftsklima. Vor die Passkontrolle stricto sensu jedenfalls hat die Postdemokratie eine Reihe von Hürden gestellt. Zuerst muss man, wenn man aus dem „Finger“ kommt, auf eine Rolltreppe, zu der es keine Alternative gibt. Leider hat sich an deren oberen Ende eine Menschentraube gebildet. Die man nicht unbedingt sieht, wenn man die Rolltreppe betritt. Was man aber muss, da von hinten sowieso die Menschen drängen, die aus dem Flugzeug strömen. Also fährt man oben in die Menschenmenge, voll beschäftigt, niemanden zu Fall zu bringen, andererseits aber auch nicht selbst in Panik zu geraten oder körperliche Beeinträchtigungen zu erfahren. Hinter mir taucht blitzartig ein junger Mann auf, wie ein Überfall, hektisch reisst er seinen Arm hoch, die Hand gibt eine Dienstmarke frei, blitzschnell ist die wieder weg – und obwohl er einem anderen Aussteigenden eine Frage stellt, scheint er den Mann eher anzublaffen: Sprechen Sie Deutsch? No, sagt der – und der Dienstmarkengeist verschwindet behend ebenso schnell wie er aus dem Nichts aufgetaucht war. Immer noch strömen die Personen. Unruhe, Sorgen um das Wohlergehen. Der Blitzgeist ist schon vergessen, es bildet sich ein Menschenstrom, der langsam vorwärts drängt … plötzlich wieder eine Blitzaktion: ein kleiner uniformierter Konvoi, ein Wichtiger mit Walkie-Talkie voran, bahnt sich einen Weg durch den Strom… einige ältere Herrschaften in der Mitte, dann wieder zwei Wichtige. Ein kleiner Türdurchgang, eine Pforte: Uniformierte sehen sich schon mal die Pässe an. Das ist die Passkontrolle vor der Passkontrolle. Das alles im Geschiebe. Keine gelben Linien, keine Häuschen, keine deutsche Ordnung. Ich lasse mich treiben, hinfallen kann man ja praktisch nicht, so eng ist es. Die nächste Tür, nur eine Hälfte ist geöffnet, das ist das Nadelöhr. Und selbst das Nadelöhr ist noch künstlich verengt: rechts im offenen Türteil steht noch ein Uniformierter. Auf der linken Seite ragt der Maulkorb eines Schäferhundes, ragt auch der Arm der Hundeführerin noch in den offenen Türteil hinein. So wird der Reisende denn auch von einer Uniformierten mit Schäferhund noch beschnuppert. Besser als gebissen zu werden. Aber es bleibt in den folgenden 30 Minuten, die durch weitere Schläuche, Schlangen und immer wieder geteilte Schlangen und neue Kontrollen auf dem Weg zum Umsteigeterminal von C nach A vergehen, doch die unvergessliche Erfahrung, den Willkommen wenn nicht im streng traditionellen Sinn, so doch dem Geiste nach, aus eigenem Erleben in Ansätzen nachfühlen zu können. Ein aktuelles Erleben und doch eine Brücke zur Historie. Merksatz Nummer 3 zur Postdemokratie: Dass der Willkomm noch nie demokratisch war, bedeutet nicht zwingend, dass er nicht postdemokratisch sein kann.
Literatur:
- Dominique Linhardt (2000) Demokratische Maschinen? Die Vorrichtung zur Terrorismusbekämpfung in einem französischen Großflughafen“, Kriminologisches Journal, 32. Jg.: 82 – 107.
- Dominique Linhardt (2006) Dans l’espace du soupcon. Esprit No. 6, August/September: 70-80.
- Fabien Jobard, Dominique Linhardt (2008) The check and the guardianship: A comparison of surveillance at an airport and a housing-estate area in the Paris outskirts. Sociology of Crime Law and Deviance Jg. 10, 75 – 100.
Sebastian schreibt
Nachtrag zum Willkomm:
Das älteste Gefängnis Deutschlands (JVA Waldheim, Sachsen) ist eine Anstalt mit einem Strafvollzugsmuseum. Der Leiter des JVA, der die Besucher selbst herumführt, erklärt:
„In der Mitte des Hofes stand früher eine Strafsäule“, erklärt Klaus Brendecke. „Die Häftlinge wurden nach ihrer Einlieferung erst einmal dort angekettet, das war das damalige Begrüßungsritual. Die Zuchtmeister vollführten dann den sogenannten Willkomm, zwischen 12 und 24 Peitschenhiebe. Der Willkomm war keine Disziplinarstrafe, sondern die Züchtlinge sollten spüren, dass sie nun im Zuchthaus Waldheim angekommen sind.“
Quelle:
„Wer nicht wagt, kommt nicht nach Waldheim“. Das Sächsische Strafvollzugsmuseum zeigt die dunkle Geschichte der JVA Waldheim. Ein Besuch im ältesten Gefängnis Deutschlands (NZZ).http://www.stefanie-puetz.de/html/body_reportage.html
helmutkarsten schreibt
Nach 20 Jahren, in der Bürgerrechtsstadt ATLANTA, GA-USA, kam ich im Oktober 2002 nach Deutschland (Bamberg/Bayern) zurück. Auf Besuch, und um mir ein GdB zu holen. Heute wünsche ich mir, mein Flugzeug wäre abgestürzt.
Der Mann vom Wohnungsamt: „Jetzt haben Sie in Amerika 20 Jahre lang gut verdient, nur, jetzt wo es ihnen dreckig geht, fällt ihnen ein, dass Deutschland einen Sozialstaat hat….!“
Als „der AMI“ habe ich mich erwerbsunfähig schlagen lassen müssen – und wurde für meine Notwehr,beim 4. Angriff, gegenüber einem mannigfaltig vorbestraften 95 kg Frustschläger, auch noch 30 Monate einsperren lassen…….Willkomm >>>>>mehr
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