Auf den letzten Drücker: jetzt auch noch mein Argentinisches Tagebuch.
Der Deutsche hasst den kleinlichen Streit der Parteien im Parlament – und außerhalb. Keiner hat das so prägnant auf den Begriff gebracht wie einst der Kaiser Wilhelm (Zwo), als er kurz nach Kriegsausbruch (Eins) den schönen Satz vom Blatte las: „Ich kenne keine Parteien mehr. Ich kenne nur Deutsche!“ Das sass. Die Sozis, die eigentlich gemeinsame Anti-Kriegs-Sache mit den Proletariern der Nachbarländer machen und den Krieg boykottieren wollten, knickten ein und stimmten für den Waffengang (d.h. dessen Finanzierung).
Was das mit Argentinien zu tun hat? Heute wachte ich in einem kalt-verregneten Ort namens Mar del Plata auf und machte erstmal den Ferni an: DW-TV, den offiziellen Auslands-Sender der Deutschen Welle.
Es kam dann gleich ein langer Bericht über die Regierungserklärung unserer Kanzlerin. Dann Steinmeier, Westerwelle, Roth. Alle mehr oder minder dasselbe sagend und vor allem nicht sagend. Die Deutschen müssen zusammen halten, wenn sie vom Ausland lauter böse „Vorverurteilungen“ einstecken müssen. Ach, diese Ausländer!
Für sich genommen ein schönes Bild nationaler Einheit. Alle stehen hinter der Obersten Heeresleitung.
Ach ja, und im ganzen Bericht von DW-TV kein Wort von der Partei „Die Linke“. War sie nicht dabei? Hat sie sich in Luft aufgelöst? Ich musste in ein Internetcafé, um nachzuforschen. Welch Zufall! Es gab sie noch und sie hatte sich auch zu Wort gemeldet. Als einzige Partei mit einer klaren Aussage gegen den Einsatz in Afghanistan. Doch die Zuschauer von DW-TV bekommen davon nichts mit. Sie bekommen den Eindruck, den auch die Regierung der Postdemokratie gerne vermitteln möchte: es gibt gar keine Parteien mehr, es gibt nur noch Deutsche. Und vielleicht ein paar Wirrköpfe, die nicht verstehen, worum es geht. Verantwortungslose vaterlandslose Gesellen, die es nicht verdient haben, im Fernsehen erwähnt zu werden.
DW-TV marschiert. Die Richtung ist klar. Schöne neue Welt, die heile Welt der Postdemokratie.
Sebastian schreibt
Es ist spät geworden in Argentinien und ich muss mich schon korrigieren: die beiden großen Parteien, die Grünen einerseits und die CDUSPDFDP andererseits, gleichen sich doch nicht wie ein Ei dem anderen. Jürgen Trittin hat sich nach der Regierungserklärung deutlich von der Großpartei abgesetzt. Und das hat er N24, dem Nachrichtensender, gesagt:
„Die Bundesregierung konnte überhaupt nicht erklären, wie es zu diesem Zerwürfnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA kommt. Es gibt ein verbales Bekenntnis zu den neuen Einsatzrichtlinien von ISAF. Denen hat der amerikanische General (McChrystal) voll entsprochen. Dafür wird er nun aus der deutschen Bundesregierung kritisiert. Ich muss mich langsam wundern. Jahrelang haben wir einen Strategiewechsel gefordert. Jahrelang haben wir von den Amerikanern erwartet, dass sie sich genauso verhalten, wie General McChrystal sich verhalten hat. Nun wird er dafür hintenrum und teilweise offen von der Bundesregierung kritisiert.“
Kein Wort zur Hauptfrage von Bleiben oder Abziehen. Oder zur Verantwortung für das Tanklastwagenmassaker. Aber eine feine Beobachtung einer ganz anderen Problematik. Nicht ungeschickt. Denn es gilt ja immer noch die Regel Nummer 1 der Postdemokratie: Wer nicht mitmacht, kommt auch nicht ins Fernsehen.
Andreas P. schreibt
Ja das ist schade, dass es nun wieder eine Einheitspartei gibt. („Dafür sind wir nicht auf die Straße gegangen!“)
Sebastian Scheerer schreibt
Es war ein Redaktionsversehen!
Eine Anfrage beim Sender ergab folgendes. Chefredakteurin Dagmar Engel antwortete umgehend und informativ, und zwar im Wortlaut:
„Es handelte sich um einen Fehler in der Sendung. Den ganzen Tag (8.9. ab 13:00 hiesiger Zeit jede Stunde bis Mitternacht) lief ein Lafontaine-O-Ton aus der Debatte im Nachrichten-Beitrag, der ist dann einer Mischung aus Aktualisierungs- und Kürzungswahn und der Aufnahme von O-Tönen des Bürgers auf der Straße, die dem Einsatz ablehnend gegenüber stehen, zum Opfer gefallen. Dieser Fehler wird nachgearbeitet – und ich hoffe, dass er ein Einzelfall bleibt.“
Alle Achtung: erstens geantwortet, zweitens so informativ und offen, drittens ein Hoffnungsschimmer, dass sich der postdemokratische Mehltau noch nicht auf alle Gemueter gelegt hat. Welch Genuss!