Es gibt keinen bewaffneten Konflikt in Kolumbien? So sieht es zumindest Präsident Alvaro Uribe, der ungeachtet der facts on the ground nicht oft genug hervorheben kann, daß seine Regierung lediglich sog. „narco-terrorists“ bekämpfe. Diese Rhetorik hat Gründe.
Die kriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitsbehörden, Drogenkartellen, Paramilitärs und Aufständischen anzuerkennen als einen bewaffneten Konflikt im eigenen Lande würde die Geltung des Zweiten Zusatzprotokolls der Genfer Konventionen über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte implizieren. Unpraktisch so etwas, wenn Menschenrechtsverletzungen, gezielte Tötungen, Massaker, usw. im „War on drugs“ an der Tagesordnung stehen. Unpraktisch auch, wenn an die Öffentlichkeit gelangt, daß die Spezialeinheit zur Befreiung der ehemaligen kolumbianischen Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt und anderer FARC-Geiseln am 2. Juli 2008 (Operation Jaque) unter schwerem Verstoß gegen die Genfer Konventionen zur Tarnung mißbräuchlich das Schutzzeichen des ICRC verwendet hat. Unpraktisch überhaupt, in den Widerspruch zu geraten, einen „Krieg“ gegen die Drogen zu führen, es aber mit den Normen des Kriegsvölkerrechts nicht so genau zu nehmen. Ein Glück gibt es dafür eine praktische Lösung: den Krieg gegen den Terrorismus.
Wie US-Präsident Nixon den Begriff „War on drugs“ prägte, prägte US-Präsident Bush jr. den „War on terror“. Wer einen Krieg führt statt einen Konflikt, hat keine Gegner, sondern Feinde. Im „War on terror“ heißen diese Feinde Terroristen, und wer Terroristen bekämpft, darf spätestens seit Bagram und Guantanamo eigentlich alles zu deren Vernichtung tun, z.B. die Souveränität der Nachbarstaaten Ecuador und Venezuela verletzen, wenn die eigenen Streitkräfte deren Grenzen überschreiten, um dort FARC-Kämpfer umzubringen und Camps zu zerstören. Um diese rhetorische Strategie verfolgen zu können, braucht es jedoch Terroristen, nicht Guerrillas oder Drogenhändler.
Die letzten beiden Kategorien hatte US-Botschafter Lewis Tamps irreführend undifferenziert zusammen in den selben Topf geworfen, indem er den Begriff „narco-guerrilla“ ins Leben rief, als Bezeichnung für die subversiven linksgerichteten Bewegungen Kolumbiens, die Bauern in den von ihnen kontrollierten Gebieten ursprünglich sogar den Anbau der Koka-Pflanze verboten hatten. Erst als sie Gefahr lief, den Rückhalt in der ärmlichen lokalen Bevölkerung zu verlieren, – die für Koka nicht nur einen wesentlich höheren Verkaufspreis erzielen, sondern es auch viel schneller anpflanzen und öfter ernten konnte als den einstigen Exportschlager Kaffee, dessen Pflanzen Jahre des Wachstums benötigen und nur einmal jährlich abgeerntet werden können, – ließ sich die größte Gruppierung, die FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia), auf eine Vereinbarung mit dem Medellin-Kartell ein, gegen eine Steuer deren Anbauregionen zu schützen. 1982 schloß die FARC schließlich förmliche Zweckbündnisse mit Drogenbaronen und verstrickte sich zur Finanzierung ihres Kampfes im Laufe der Jahre immer mehr in Drogengeschäfte. Mittlerweile besitzt sie eigene Plantagen und Verkaufswege, inwieweit sie jedoch auch über internationale Händlernetzwerke und Laboratorien verfügt, ist unbekannt. Wenn es also auch Überschneidungen zwischen Drogenkartellen und Guerrillas gibt, so bleiben sie dennoch grundverschieden. Auf der einen Seite die geldgierigen, kapitalistischen Kriminellen, auf der anderen Seite die politischen, kommunistisch geprägten Revoluzzer, die das Drogengeschäft zumindest längerfristig wieder abschaffen wollen. So betrachtet ist der Begriff des „narco-guerrilla“ v.a. ein instrumenteller, von Botschafter Tamps entsonnen, um damit die Friedensgespräche zwischen der Regierung Betancur und den Guerrilla Anfang der 1980er Jahre zu delegitimieren.
Instrumentelle Gründe stecken auch hinter der Umetikettierung von „narco-guerrilla“ zu „narco-terrorists“, und auch hierbei spielten die USA wieder eine Rolle. Die bis dahin voneinander getrennten Politikbereiche Drogenbekämpfung und Aufständischenbekämpfung verschmolzen unter Präsident Andres Pastrana (1998-2002) zu einer Einheit, was bis heute in stark verschärfter Form immer noch gilt, man denke nur an die Democratic Security Policy (DSP) des gegenwärtigen Präsidenten Uribe. Zu diesem Behuf entwickelte Pastrana den sog. Plan Colombia, welcher auch sozio-ökonomische Entwicklungsprojekte und einen Friedensprozeß vorsah. Die Wiederannäherung an die USA nach den belasteten Beziehungen der Vorgängerregierung Ernesto Samper (1994-1998) führte jedoch dazu, daß Plan Colombia sich im Wesentlichen in ein bilaterales Aufrüstungsprogramm für Militärund Polizei verwandelte, welches die USA, – die die FARC und die kleinere ELN (Ejercito de Liberacion Nacional) schon seit 1997 beim State Department auf die Liste Internationaler Terrororganisationen gesetzt hatten, – mit Milliardensummen förderten. Als dann die Friedensverhandlungen mit der FARC scheiterten, trat die Regierung Pastrana v.a. in den USA und Europa plötzlich dafür ein, die Aufständischen als “narco-terrorists” zu bezeichnen. Dieses Etikett und die Verschmelzung von Drogen- und Sicherheitspolitik schufen die Möglichkeit, US-Unterstützung für den “War on drugs” direkt für die Bekämpfung der FARC heranzuziehen. Besonders häufig benutzt wird der Begriff des “narco-terrorists”, übrigens seit den Anschlägen vom 11. September 2001, um sicherzustellen, daß der amerikanische “War on terror” nicht zu Lasten der US-Hilfen für den Krieg der kolumbianischen Regierung geht.
Diese Bezeichnung, welche auch in die Diskurse in Mexiko und Peru Eingang gefunden hat, trägt allerding in keiner Weise den komplexen Beziehungen zum Drogengeschäft Rechnung, in denen sich FARC, ELN und rechte Paramilitärs untereinander, in sich und regional ausdifferenziert voneinander unterscheiden. Hervorzuheben ist hier beispielsweise, daß die ELN weniger mit Drogenhandel am Hut hat und sich in erster Linie über Schutzgelderpressungen und Entführungen finanziert, während die vigilantistische AUC (Autodefensas Unidas de Colombia), die eigentlich demobilisierte Dachorganisation der rechten Paramilitärs, eigene Laboratorien betreibt und über Netzwerke im internationalen Drogenhandel verfügt, der sie nach eigenen Angaben zu 70% finanziert. Außerdem ist von Bedeutung, daß 1968 der kolumbianische Staat selbst, noch vor der Drogengewalt, aus Angst vor den Guerrillas die gesetzliche Grundlage für die Tolerierung und gar Förderung von Paramilitärs geschaffen hat, bevor er sie 1989 zu Terrorgruppen erklärte. Im Unterschied zur politisch verwurzelten FARC haben viele Paramilitärs zudem ihre Wurzeln ausschließlich im kriminellen Milieu, als ehemalige Schutztruppen für aus Geldwäschegründen seßhaft gewordene Drogenbarone (narco-latifundistas), deren Interesse an territorialer Macht mit der Zeit eine Eigendynamik entwickelt hatte.
Alle diese Gruppierungen mit dem Begriff des „narco-terrorists“ über einen Kamm zu scheren ist daher für die konstruktive Ausgestaltung eines Friedensprozesses kontraproduktiv, weil es die verschiedenen ihnen zu Grunde liegenden Triebfedern und gesellschaftlichen Probleme verkennt. Dies mag ein fataler Irrtum und eine verpaßte Chance, aber auch kalkulierte Absicht und ignorierte Notwendigkeit sein, da es der Regierung erspart, Staatsversagen eingestehen zu müssen, z.B. bei der Existenzsicherung weiter Teile der Bevölkerung, und damit die wahren Ursachen von Drogenhandel und Gewalt angehen zu müssen. Kolumbien muß FARC, ELN, AUC und Co. „narco-terrorists“ nennen, um ihnen ein Stigma anzuheften, das sie als Konfliktparteien, die Träger von Rechten sowie schließlich Produkte ihrer sozialen Verhältnisse sind, welche wiederum der Staat ganz wesentlich mitzuverantworten hat, delegitimiert.
Der Konflikt in Kolumbien soll nicht Konflikt heißen, darf nicht Konflikt heißen, weil er ein Konflikt ist. Doch der Dämon kann nur besiegt werden, wenn er beim Namen genannt wird. Das wäre mehr als die Befreiung Ingrid Betancourts, es wäre der erste Schritt zur Befreiung des kolumbianischen Volkes. Nämlich Anerkennung.
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