Der erst gestern bekannt gewordene Vorfall in der sächsischen Jugendhaftanstalt Regis-Breitingen (http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,634396,00.html) erinnert in erschreckender Weise an den Foltermord von Siegburg in Nordrhein-Westfalen. Dort hatten drei Häftlinge im November 2006 einen Mitgefangenen zu Tode gequält. Der Haupttäter wurde zu 15 Jahren Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Die beiden anderen Täter erhielten 14 Jahre Haft beziehungsweise zehn Jahre Jugendstrafe.
Diese erneuten Vorfälle von Gewalt, Folter und versuchtem Mord zeigen nur auf, was hinter den Mauern des Jugendknastes normal ist. Denn Gewalt und Aggression nehmen im Alltag der jugendlichen Gefangenen einen hohen Stellenwert ein. Das Jugendgefängnis bildet ein Milieu, in dem Aspekte wie Männlichkeit, Härte, Dominanz, Gewalt, Hafterfahrung oder kriminelle Vorerfahrung zählen, während Eigenschaften wie Empathie, Mitleid und normkonformes Verhalten als Schwäche gelten und verschmäht werden. Zum einen ist Gewalt oft ein Zeichen von Unsicherheit: denn die Jugendlichen, die zu starken Aggressionen neigen, haben meist ein äußerst schwaches Selbstwertgefühl und fühlen sich eigentlich unterlegen. Durch die Ausübung von Gewalt zeigen sie Stärke und versuchen gleichsam die empfundenen Unsicherheitsgefühle zu verbergen. Zum anderen haben viele der jungen Männer oft keine anderen Möglichkeiten der Konfliktregelung kennen gelernt. Das gewaltbereite Verhalten mancher Gefangener kann besonders dann zur Eskalation führen, wenn sich in einer Gemeinschaftszelle die unterschiedlichsten Charaktere auf engstem Raum arrangieren müssen. Unter anderem aufgrund der eben genannten Ursachen kann es dann leicht zu Entwicklung und Entladung von unkontrollierten Aggressionen kommen. Der gemeinschaftlich begangene Mord in Siegburg war sicher ein Extremfall, die oftmals brutale Gewalt in Gemeinschaftshafträumen ist leider keine Ausnahme im Jugendgefängnis. Neben der Ausübung und Rechtfertigung von Gewalt tritt jedoch noch ein weiteres Problem der Jugendgefängnisses in den Vordergrund: die Tatsache, dass das Haftanstalten für Jugendliche ihre Insassen eher noch krimineller werden lassen. Ein Jugendgefängnis ist ein Ort, an dem Jugendliche mit den unterschiedlichsten kriminellen Karrieren aufeinander treffen und sich austauschen. Dieser Austausch bedingt leider auch eine Art Weiterbildung, denn die Jugendlichen erlangen ein Wissen über Kriminalität, wie sie es an einem anderen Ort in der Art und dem Umfang niemals kennen lernen würden. So kommt es regelmäßig dazu, dass Jugendliche, die aufgrund von Bagatelldelikten eine Strafe verbüßt haben, krimineller entlassen werden als sie rein gekommen sind. Denn vor allem wenn gesellschaftlich akzeptierte Vorbilder oder Lernmodelle fehlen, besteht die Gefahr, dass das subkulturelle Verhalten der Mithäftlinge während der Zeit der Inhaftierung als Modell dient, an dem gelernt wird.
Ein weiteres Problem, das einer professionellen Pädagogik im Jugendstrafvollzug entgegensteht, besteht in der punitiven Grundeinstellung einiger Vollzugsbeamter. Darunter versteht man in der Literatur das Vorhandensein von ausgeprägten Bestrafungswünschen, die die vorrangigen Ziele der Abschreckung und Unschädlichmachung verfolgen. In Folge eines solchen Kontrollstils entwickelt sich zwischen den Jugendlichen und den Beamten eher ein Verhältnis von Eingeschlossenen zu Schließern als ein Verhältnis von zu Erziehenden zu Erziehern. Dies führt bei vielen der jungen Männer entweder zu vorübergehender Anpassung während der Haftzeit oder zur Rebellion, für eine erfolgreiche Pädagogik bleibt jedoch kein Raum. Dementsprechend ist oftmals auch die Kommunikation zwischen dem Aufsichtspersonal und den Gefangenen nicht mehr als ein rein formaler Austausch, bei dem der zwischenmenschliche Kontakt auf der Strecke bleibt. So ist der Kontakt zwischen Aufsichtspersonal und Gefangenen in manchen Gefängnissen relativ stark reduziert auf formale Aktivitäten. Die Zellen der Jugendlichen sind mit Kommunikationsanlagen ausgestattet, die mit dem Aufsichtsbüro des jeweiligen Ganges verbunden sind. Diese technischen Vorrichtungen erleichtern sicher die Arbeit der Vollzugsbeamten, führen jedoch auch dazu, dass vieles am Telefon geregelt wird, was wiederum eine aktiv aufsuchende Tätigkeit und den dadurch entstehenden persönlichen Kontakt zu den Jugendlichen – aber auch deren Kontrolle – verhindert. Dieser zwischenmenschliche Kontakt ist jedoch nicht nur Voraussetzung für die Entstehung einer tragfähigen, pädagogisch wirksamen Beziehung und einer darauf aufbauenden erzieherischen Ausgestaltung im Sinne von Förderung, Ermutigung und Chancenverbesserung. In Siegburg hätte womöglich das Leben des ermordeten Jugendlichen gerettet werden können, wenn sich der zuständige Beamte nach dem dritten Hilferuf per Sprechanlage vor Ort – innerhalb der Gemeinschaftszelle – ein Bild gemacht hätte, anstatt lediglich über die Kommunikationsanlage zu antworten.
Nun – eineinhalb Jahre nach dem Inkrafttreten des sehnsüchtig erwarteten Jugendstrafvollzugsgesetzes – zeigt sich, dass sich an den prekären Zuständen in den Jugendanstalten bislang wenig verändert hat!
Ich habe mit den Betreibern der HP, „Gewalt hinter Gittern“ gesprochen. NRW ist aber noch nicht so schlimm wie Bayern. Aus BY wird man nie Gefängnisskandale hören. Dort wird zur Vertuschung etwaiger Vorfälle schon mal der Tod des Häftlings in Kauf genommen.
Meinen Namen finden Sie mittlerweile auch schon auf der Googleseite der JVA-Bamberg. ansonsten, mehr:www.helmutkarsten.de
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