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Heroin: Arzneimittelgebrauch im kulturellen Wandel

Am 22. Juli 2009 gepostet von Christian Wickert

HeroinGestern, am 21.Juli 2009, trat das Gesetz zur diamorphingestützten Substitutionsbehandlung in Kraft. Mit  Inkrafttreten des Gesetzes findet ein jahrelanger Streit ein Ende, ob die Substitution von opiatabhängigen Menschen mit Diamorphin (pharmazeutisch hergestelltem Heroin) in die Regelversorgung übernommen werden sollte.

Das am 28. Mai 2009 im Bundestag beschlossene Gesetz geht zurück auf das bundesdeutsche Modellprojekt zur heroingestützten Behandlung Opiatabhängiger, das bis 2006 in sieben deutschen Städten durchgeführt wurde. Durch das Modellprojekt konnte aufgezeigt werden, dass Opiatabhängige, die von der Substitution mit den bislang zugelassenen Präparaten (v.a. Methadon/ Polamidon, Subutex) nicht erreicht werden konnten, hinsichtlich ihrer gesundheitlichen und psychosozialen  Stabilisierung und der Verringerung suchtbedingter Folgeerscheinnungen (Begleitkriminalität, Beikonsum von „Straßenheroin“ und weiteren psychoaktiven Substanzen) von der Diamorphinvergabe profitieren.

Nach erfolgter Änderung des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG), Arzneimittelgesetzes (AMG) und der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) stehen noch einige notwendige Verfahrensschritte aus, ehe – vermutlich Anfang 2010 – das neue Therapieangebot in der GKV-Regelversorgung zur Verfügung steht.

Neben der medizinischen und politischen Tragweite dieses Gesetzesbeschluss erscheint mir der kulturelle Aspekt beachtenswert. Mit der Zulassung von Heroin als Substitutionsmedikament wird eine Substanz legalisiert, die erstmalig im 19. Jahrhundert von der Aktiengesellschaft Farbenfabriken (heute: Bayer) als oral einzunehmendes Schmerz- und Hustenmittel hergestellt und vertrieben wurde. U.a. wurde Heroin auch zur Bekämpfung der Entzugssymptome von Opium- und Morphinabhängigen eingesetzt und wurde als nicht-süchtigmachendes Medikament als Alternative zum Morphium beworben.

Aufgrund der oralen Darreichungsform blieben bei den Konsumenten starke Rauschzustände und eine rasche Entwicklung einer Abhängigkeit aus. Das tatsächlich hohe Abhängigkeitspotential von Heroin wurde 1904 erstmalig von einigen Ärzten beschrieben. Die Stigmatisierung von Heroin als Rauschmittel begann hingegen erst ab ca. 1910 in den USA. Zahllose Morphin- und Opiumsüchtige (unter ihnen viele chinesische Einwanderer) waren auf die leichter zu beschaffende Substanz Heroin umgestiegen und rauchten oder injizierten das Heroin, was einerseits zum Erleben starker Rauschzustände, andererseits zur Herausbildung einer starken Abhängigkeit führte. Auf den politischen Druck der USA wurde 1912 auf der Den Haager – Opiumkonferenz erstmalig ein staatenübergreifendes Verbot der Substanz erwogen.

Dabei fußten die Verbots- und Kontrollbestrebungen der USA weniger auf medizinischen Argumenten (also etwa gesundheitliche Folgen eines andauernden Konsums einer Substanz mit einem starken Abhängigkeitspotential), sondern vielmehr auf wirtschaftlichen Interessen. Wie Selling (1989) darstellt, beruhen die Prohibitionsbestrebungen der USA auf einem „Kulturkonflikt“. Das in den USA erlassene Opiumstrafgesetz von 1878 richtet sich gegen die chinesische Arbeiterschaft, die in Konkurrenz zur weißen Mittelschicht um rare Arbeitsplätze konkurriert. Mit dem Verbot des Besuches von Rauchhäusern wird der chinesischen Minorität in den USA ein Aspekt der chinesischen Lebensweise und -kultur genommen. Das Opiumstrafgesetz stellt eines von etlichen „antichinesischen Gesetzen“, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts in den USA erlassen wurden, dar.
Die prohibitiven Bestrebungen der USA auf internationaler Ebene – mit der Einberufung der Opiumkonferenz in Den Haag – sind ebenfalls keineswegs gesundheitspolitisch motiviert. Vielmehr sind sie als Versuch anzusehen, das Wohlwollen der chinesischen Regierung zu erlangen, um so China als Absatzmarkt für amerikanische Produkte zu erschließen. Die in Den Haag von allen teilnehmenden Nationen unterschriebene Erklärung sah vor, in den jeweiligen Ländern:

  • den Import von Opium zum Zwecke des Rauchens zu verbieten;
  • alle Phasen der Zubereitung und Verteilung von medizinischem Opium, Morphium, Heroin und Kokain zu kontrollieren;
  • verstärkt Versuche zu unternehmen, den illegalen Handel im eigenen Land zu kontrollieren.

1931 stellte die Firma Bayer schließlich die Produktion von Heroin ein. In Deutschland blieb Heroin jedoch bis 1958 im Handel. Das Verbot von Heroin erfolgte erst 1971.

Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur diamorphingestützten Substitutionsbehandlung am 21. Juli 2009 findet die fast 40-jährige Prohibition von Heroin ein Ende.

Links und Literatur zum Thema

  • BMG: Reduzierung von Drogentodesfällen bleibt Ziel der Gesundheitspolitik
  • Heroinstudie.de – Das bundesdeutsche Modellprojekt zur heroingestützten Behandlung Opiatabhängiger
  • Johnson, B.D. (1982): Die englische und amerikanische Opiumpolitik im 19. und 20. Jahrhundert – Konflikte, Unterschiede und Gemeinsamkeiten. I. Welck, K. (Hrsg.): Rausch und Realität. Drogen im Kulturvergleich, Reinbek bei Hamburg; Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH.
  • Seefelder, M. (1996): Opium. Eine Kulturgeschichte. 3. Aufl., Hamburg: Nikol. Verl.-Ges.
  • Selling, P. (1989): Zur Geschichte des Umgangs mit Opiaten. In: Scheerer, S., Vogt, I., Hess, H. (Hrsg.): Drogen und Drogenpolitik. Ein Handbuch., Frankfurt/ Main, New York; Campus Verlag.
  • Zeit Online: Heroin für Arne B.
  • ZME Science: 9 reasons why there wasn’t stress in the good old days
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Kategorie: Devianz und Kriminalität, Drogen(-politik) Stichworte: Abhängigkeit, Diamorphin, Drogen, Gesetzgebung, Heroin

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