Offene Türen rannte der US-Sondergesandte für Afghanistan Richard Holbrooke bei seinen europäischen Kollegen ein, als er auf dem Treffen der G8-Außenminister am 27. Juni in Triest den Strategiewechsel der USA bei der Bekämpfung des afghanischen Drogenhandels ankündigte. Die Vereinigten Staaten wollten die Vernichtung des Opiumanbaus einstellen, da dies die Einnahmen der Taliban daraus nicht habe schmälern können und diesen stattdessen die verarmten Bauern in die Hände getrieben habe. Vielmehr wolle man den Anbau alternativer Produkte fördern und auf geheimdienstlichem Wege den Drogenschmuggel besser bekämpfen.
Die europäische Freude darüber ist keine Überraschung: Während die EU und ihre Mitgliedstaaten in ihrer Drogenpolitik auf Reduzierung des Angebots durch Grenzkontrollen, Schadensbegrenzung bei den Konsumenten (z.B. Substitut-Programme, Therapien), Reduzierung der Nachfrage (z.B. Aufklärungskampagnen), alternative Entwicklung in den Produzentenländern (z.B. peace-laboratories) setzen, der Einmischung in Innere Angelegenheiten und der Anbauvernichtung kritisch gegenüber stehen, konzentrieren sich die USA bisher stärker auf militärisch-polizeiliche Bekämpfung und die Reduktion des Angebots direkt in den Herkunftsländern (z.B. durch Zerstörung der Felder). Tendenziell wird so in den USA das Drogenproblem eher als eine offensive Aufgabe des staatlichen Repressionsapparates gesehen, in Europa eher als eine defensive Aufgabe des Gesundheitswesens.
Auch keine Überraschung ist die Einsicht, spät aber immerhin, daß die Vernichtungsstrategie nicht aufgeht. Nach einer Studie des Center on International Cooperation hat sie den Taliban sogar Mehreinnahmen beschert, weil es den Opiumpreis nach oben getrieben hat. Die Lehre für den Kurswechsel in Afghanistan, der größte Opiumexporteur der Welt, hätte Holbrooke bereits aus den Erfahrungen in Kolumbien ziehen müssen, dem größten Kokainexporteur der Welt (2006: 62% Weltanteil). Obwohl die USA dort zwischen 1999 und 2005 gemeinsam mit der kolumbianischen Regierung mehr als $6 Mrd. in Vernichtungsmaßnahmen und die Modernisierung der Sicherheitskräfte investiert haben, tatsächlich seit 2000 jedes Jahr bis zu über 200.000 Hektar Kokafelder zerstört wurden, bleibt die Verfügbarkeit von und Nachfrage nach Kokain in den USA, dem größten Konsumentenland weltweit, stabil, während es weiter den größten Teil seines Kokains über mexikanische Dealer aus Kolumbien bezieht.
Technisch fruchten die Zerstörungsversuche nicht, weil die Bauern sich zu behelfen wissen; indem sie neue Anbauregionen erschließen, in entlegenere Gebiete ausweichen, die z.B. unter Wolkendecken die Ortung per Satellit erschweren oder durch Terrain und Sicherheitslage dem Militär schwer zugänglich sind; indem sie lieber viele kleinere Flächen bepflanzen, welche schwieriger auszumachen und mit Flugzeugen zu besprühen sind als wenige große; indem sie die Pflanzen mit einer Sirupschicht schützen, mit legalen Pflanzen mischen, nach dem Besprühen waschen oder vor dem Besprühen auslauben, damit sie schnell wieder neu ausschlagen. Das führt dazu, daß bei manuellen Zerstörungen durch die Armee auf 25-30% der Flächen schnell wieder Koka nachwächst, bei mittels Sprühflugzeugen chemischen (Herbizide) und biologischen (Pilzkulturen) Zerstörungsmaßnahmen, die ungefährlicher für die Einsatzkräfte und schneller sind, auf ca. 70% der Flächen.
Dafür richten diese Vernichtungsaktionen umso mehr Kollateralschäden an. Durch die Ungenauigkeit der Sprühflüge werden legale Ernten vernichtet, die chemische Keule führt nach den Angaben von NGOs zu Infektionen und Hautausschlägen, zur Kontaminierung von Wasser und zu Krankheiten beim Vieh. Beschwerden der Bevölkerung hierüber werden nicht ernstgenommen, bei manuellen Vernichtungsaktionen kommt es zu Plünderungen. Dabei ist der Kokaanbau selbst auch schon umweltschädlich, durch seine Zerstörung des Regenwaldes und den Einsatz von Chemikalien bei der Weiterverarbeitung der Blätter. Obendrein provozieren die Vernichtungsaktionen Ressentiments gegen die Regierung und die USA, treiben außerdem die Bauern in die Hände der sich aus den Drogen finanzierenden „Terrorgruppen“, wie die im Grunde unbeliebte FARC, welche damit eigentlich indirekt bekämpft werden sollen. Nach Einschätzung der kolumbianischen Regierung sind ca. 100.000 Familien wirtschaftlich vom Koka-Anbau abhängig, in ländlichen Regionen ist dies oft die einzige lukrative Bewirtschaftung der Flächen. Die Zerstörung ihrer Felder – intendiert bei Kokafeldern, kollateral bei erlaubter Frucht – beraubt Bauern ihrer Lebensgrundlage. Bei manuellen Vernichtungsfeldzügen geraten sie zwischen die Fronten der Kämpfe zwischen Sicherheitskräften, Paramilitärs und Guerrillas. In der Folge werden Bauern zu Internally Displaced Persons und/oder müssen sich mangels Alternativen in anderen Koka-Regionen wieder neu ansiedeln.
Abgesehen davon ist die US-Logik, sei es in Kolumbien, sei es in Afghanistan, die hinter den relativ einseitig auf die Angebotsseite von Drogen gerichteten Maßnahmen steckt, verfehlt, daß nämlich das Ende der Drogen das Ende der „narco-terrorists“ und damit des vor Ort herrschenden Konflikts bedeuten würde. Zunächst ist es ein fataler Irrtum anzunehmen, den Guerrillas wie der FARC den finanziellen Boden unter den Füßen wegziehen zu können, wenn man ihre Drogenquellen austrocknet. Diese Gruppierungen sind ohne die Drogen entstanden und werden auch ohne die Drogen weiterexistieren, da sie erstens auf alternative Einnahmequellen zurückgreifen können wie Entführungen, Schutzgelderpressungen, Schmuggel, Geldwäsche, und zweitens über ganz beträchtliche Summen verfügen, die sie über die Jahre angespart haben. Eine Einheit wie die FARC hat selbst bei vorsichtigen Schätzungen zwischen 1995 und 2005 über $1 Mrd. eingenommen und kann mit nur $20 Mio. pro Jahr unterhalten werden. Der Konflikt würde also auch ohne Drogeneinkünfte noch über viele, viele Jahre finanziert werden können und andauern. Im Übrigen ist zu betonen, daß weder die Taliban, noch die FARC Freunde des Drogenhandels sind. Der Drogenhandel ist für sie nur Mittel zum Zweck. Darüber hinaus kann das Drogenproblem nur global und kooperativ angegangen werden. Der Krieg gegen die Drogen ist ohnehin nicht allein in den Produzentenländern zu gewinnen, solange die Nachfrage in den Konsumentenländern nicht sinkt.
Das heißt, sowohl vor der eigenen Haustür zu kehren und die Nachfrage zu verringern, als auch der Realität ins Auge zu blicken, daß Drogen sich genauso wenig auslöschen lassen wie Terrorismus, besonders dann nicht, solange die eigentlichen Konfliktursachen fortbestehen. So wäre es in Kolumbien sicher hilfreich, die ungleiche Landverteilung, die immense Korruption, die Patronagesysteme, die teilweise defizitäre bis fehlende Infrastruktur, die terroristische wie kriminelle Unterwanderung von Justiz, Verwaltung, Sicherheitsbehörden und Geheimdiensten, die parapolitica (Einfluß der Paramilitärs auf politische und wirtschaftliche Eliten), die Unterdrückung, Enteignung, Mißhandlung von Gemeinden der indigenen und afro-kolumbianischen Bevölkerung, die wirtschaftlich schlechte Lage, die Perspektivlosigkeit der Bauern für den Anbau alternativer Produkte, die Entstigmatisierung von Gewalt, die Geldwäscheaktivitäten, die mangelnde staatliche Präsenz, die Menschenrechtsverletzungen, die Defizite bei Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, usw. als Probleme zu erkennen und deren Lösung zu fördern.
Dort hinein sollten die Gelder fließen, diesen Kurswechsel braucht die US-Drogenpolitik, nicht nur in Afghanistan, sondern auch und gerade in Kolumbien. Perspektiven schaffen, statt Krieg gegen Pflanzen und Menschen führen. 19 Jahre US-Drogenpolitik, Milliardensummen, Tausende Tote und High Tech haben weder in den USA, noch in Kolumbien zu einer Verbesserung der Situation geführt, eher das Gegenteil bewirkt. Es ist endlich an der Zeit, aus diesen Irrtümern zu lernen, daß die Krücken für Kolumbien Knüppel zwischen die Beine waren.
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Quellen:
ICG Latin America Reports