Am gestrigen Sonntag fanden die Wahlen zum Europäischen Parlament statt und es darf gespannt gewartet werden, in welche Richtung sich die europäische Sicherheitspolitik mit dem neu gewählten europäischen Parlament entwickelt.
Einen Schwerpunkt der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik wird vermutlich die Sicherung der europäischen Außengrenze, vor allem der südeuropäischen Grenze, bilden. Die europäischen Staaten befürchten einen Ansturm von Flüchtlingen, vor allem von denjenigen, die an der nordafrikanischen Mittelmeerländern oder der Türkei in kleinen Holz- oder auch Schlauchbooten gen Europa starten.
Die Bedrohung, die die Europäer wahrnehmen, ist relativ. Laut UNHCR waren 2007 ca 30 Millionen Menschen auf der Flucht, die meisten suchten Zuflucht in den Nachbarländern.
Nur ca 230.000 Asylanträge wurden 2007 in der Europäischen Union gestellt (knapp 19.000 in Deutschland). Von den Massen, deren Ankunft manche Medien oder Politikern immer wieder in Europa befürchten, kann, wenn man die Zahlen der weltweiten Flüchtlinge mit den in Europa gestellten Asylanträgen vergleicht, keine Rede sein.
Die von den Europäern gefürchtete Bedrohung für den Rechts- und Sozialstaat existiert in dem befürchteten Umfang nicht!
Der Weg ist über das Mittelmeer ist gerade in überladenen Holz- oder Schlauchbooten ohne eine hochseetaugliche Ausstattung und ausreichenden Proviant ein waghalsiges Unternehmen. (Z.T. reisen die Flüchtlinge ohne Kompass oder Seekarten). Über 1800 im Mittelmeer ertrunkene Personen wurden 2007 registriert. Die Dunkelziffer der Ertrunkenen liegt erheblich höher. Das Mittelmeer ist zur Zeit das größte Massengrab Europas.
Es ertrinken Menschen, die sich in Europa Sicherheit, Frieden und eine Lebensperspektive erhofften.
Doch wie reagiert Europa auf solche Hoffnungen?
Europa sichert seine Außengrenzen mit modernsten Techniken, großem personellen Einsatz, hohen finanziellen Mitteln und der Kriminalisierung von Flüchtlingen.
Z.B. wird die spanische Küste größtenteils mit dem SIVE-Radarsystem (=Infrarotkameras, die in einer Distanz von 3 Seemeilen detailgetreue Aufnahmen herstellen) überwacht. Dieses System stellte Spanien auch Marokko (finanziert mit 40 Millionen Euro aus dem MEDA-Fonds der EU) zur Verfügung, damit Marokko die Flüchtlingsboote schon bei der Abfahrt aufhalten kann. Europa verlagert seine Außen- und Sicherheitspolitik damit nach Nordafrika und keiner protestiert.
Die europäische Agentur FRONTEX koordiniert die Einsätze der europäischen Grenzpolizeibehörden. Eine Aufgabe von FRONTEX ist das Aufhalten und Zurückdrängen von Flüchtlingsbooten in internationalen Gewässern nach Nordafrika (FRONTEX spricht vom Überreden zur freiwilligen Rückkehr).
FRONTEX selber berichtet, in der erste Phase der Operation Poseidon (15.05.2007-03.06.2007) 910 illegale Immigranten vor der griechischen Küste abgefangen zu haben.
Wer sind illegale Immigranten? Es sind Menschen, denen ein gegen geltende Normen verstoßendes Verhalten vorgeworfen wird. Haben Grenzpolizeibeamte auf hoher See Personalien überprüft, Asylanträge entgegengenommen, rechtliches Gehör gewährt und in einem fairen Verfahren geprüft, ob ein Grund für politisches Asyl, Asyl nach der Genfer Flüchtlingskonvention oder ein Abschiebehindernis vorliegt und einen entsprechenden rechtsfähigen Bescheid erlassen?? Wenn nicht, hätten die Flüchtlinge einen legaler Migrationsgrund.
Oder hat FRONTEX auf hoher See kontrolliert, ob jemand mit einem Flüchtlingsausweis nach der Genfer Flüchtlingskonvention reist? (Auch solche Menschen befinden sich z.T. in die Flüchtlingsbooten.)
Das Budget der Agentur FRONTEX lag 2007 bei 35 Millionen Euro, 2008 bei 70 Millionen Euro und 2009 bei 80 Millionen Euro. Die Agentur verfügt zudem über 20 Flugzeuge, 30 Hubschrauber, ca 100 Schiffe und umfangreiche technische Grenzschutzmittel.
Technisch und finanziell sehr gut ausgerüstet versucht Europa sich gegen ein Bedrohungsszenario zu wehren, was es nicht gibt. Müssen Holzboote mit Flüchtlingen von Kriegsschiffen empfangen werden? Wären die Millionen, die in die Agentur FRONTEX fließen, nicht besser in Internierungslagern, die menschenrechtlichen Vorschriften entsprechen, und fairen Asylverfahren angelegt?
Gelten die Bürger- und Menschenrechte, die angeblich gesichert werden sollen, nur für uns Europäer? Ist es gerechtfertigt, unsere tatsächlich wenig bedrohten Rechte zu Lasten der Menschenrechte von Flüchtlingen zu verteidigen? Menschen auf hoher See das Recht auf einen Asylantrag zu nehmen und sie ihrem Schicksal (möglicherweise dem Tod) zu überlassen, verstößt gegen europäisches und internationales Recht. Die Staaten der europäischen Union haben die Genfer Flüchtlingskonvention, die Europäische Menschenrechtskonvention und das Internationale Seerechtsübereinkommen unterzeichnet. Sie sind verpflichtet, beim Vorliegen von Asylgründen, Asyl zu gewähren und sie sind verpflichtet, Menschen in Not auf hoher See zu retten und nicht zur Umkehr zu überreden.
Die europäische Sicherheitspolitik an den Außengrenzen ist geprägt von der Missachtung internationalen Rechts, der Konstruktion nicht existierender Bedrohungen sowie dem Schüren von Angst vor einer Bedrohung durch Flüchtlinge. Das neu gewählte europäische Parlament wird sich bei Fragen der Sicherheitspolitik an den europäischen Außengrenzen hoffentlich an existierende Gefahren orientieren und sich an die geltenden Menschenrechte erinnern.
Quellen: Pro Asyl, Borderline europe, Amnesty International, FRONTEX, UNHCR
PS: Der vorliegende Beitrag soll sich ausschließlich mit der europäischen Sicherheitspolitik im „Kampf“ gegen Flüchtlinge beschäftigen. Fragen der Entwicklungspolitik/Außenpolitik, die eng mit den Problemen der Flüchtlinge verknüpft sind, habe ich deswegen nicht diskutiert.
Maik schreibt
Ich weiß nicht nicht, ob die Aufnahme von Wirtschaftsflüchtlingen dem Asylrecht unterfällt.
Und wenn die Flüchtlinge noch vor ihrer gefährlichen Reise ins Ungewisse abgehalten werden, so rettet dies sie doch vor dem Massengrab im Mittelmeer.
Susanne schreibt
Die sog Wirtschaftsflüchtlinge (Menschen, die ausschließlich aus Hunger, Armut etc ihr Land verlassen möchten) haben keinen Grund für politisches Asyl oder die Aufnahme nach der Genfer Flüchtlingskonvention. (Aus humanitären Gründen wäre eine Aufnahme möglich).
Aber: ob ein Grund für die Gewährung von Asyl vorliegt, kann nicht auf hoher See geprüft werden.
Das Aufhalten, bzw Umleiten der Flüchtlingsboote durch Frontex geschieht auf hoher See oder in europäischen Hoheitsgewässern.
Nur vor dem Senegal und Mauretanien wird Frontex aufgrund bilateraler Verträge der beiden nordafrikanischen Staaten mit Spanien direkt vor der nordafrikanischen Küste tätig, versucht die Boote zur Rückkehr zu bewegen und eskortiert sie z.T. an die Küste zurück. Die entstehenden Probleme sind folgende:
1.) Europa verlagert die Sicherung seiner Außengrenzen nach in die Hoheitsgebiete von Mauretanien und dem Senegal.
2.) Den Flüchtlingen wird das Recht, einen Asylantrag zu stellen, faktisch genommen. (Ob er Erfolg hätte, ist eine andere Frage.)
3.) Europa verlagert seine Sicherheitspolitik in Länder, die gegen Rechtsvorschriften verstoßen, denen sich die europäischen Staaten unterworfen haben (z.B. europäische Menschenrechtskonvention Anti-Folter-Konvention, Genfer Flüchtlingskonvention). In Mauretanien werden die Flüchtlinge laut Berichten von Amnesty International z.T in der Haft misshandelt oder an den Grenzen zu anderen afrikanischen Ländern, d.h. in der Sahara, mit wenig Nahrung und ohne Transportmöglichkeit ausgesetzt.
Eileen schreibt
In Italien, vor allem in auf der südlichsten Mittelmeerinsel Lampedusa, gibt es das gleiche Problem. Die Bootsflüchtlinge stammen meist aus Lybien und Tunesien und werden oft bereits kurz nach Reiseantritt von den Küstenpatrouillen abgefangen.
Im Verlauf diesen Jahres soll die Zahl der Ankömmlinge in Italien drastisch gesenkt werden, u. a. auf Grund eines binationalen Abkommens zwischen Italien und Lybien, welches die Kontrollen an den Küsten Nordafrikas noch verstärken soll.
Da die EU keinerle bilaterale Abkommen mit Lybien pflegt, ist Italien auf sich allein gestellt. Das Land musste soweit gehen, Lampedusa als Auffang- und Abschiebelager umzuwandeln, um die dort ankommenden Flüchtlinge auf direktem Wege in ihre Herkunftsländer zurück zu schicken. Dies führte, wie die Medien sehr stark berichteten, zu inhumanen Verhältnissen. Anstatt der regulären 600 Plätze wurden zeitweise bis zu 1800 irreguläre Migranten in der Einrichtung festgehalten.
Kann man der EU eine Teilschuld an dieser katastrophalen Situation geben? Ich denke schon. Seitdem Dublin II auf der Tagesordnung steht und somit alle Flüchtlinge in die Länder zurückgewiesen werden, wo sie erstmalig Europa betreten haben, sind besonders die Länder des Südens (Italien, Spanien, Griechenland) von den Flüchtlingswellen betroffen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Menschen politisch verfolgt werden, aus humanitären Gründen Asyl suchen oder einfach nur auf der Suche nach einem anderen Leben sind.
Italien beteiligte sich finanziell am Bau von mindestens einem Aufnahmelager in Lybien, weitere sind geplant. Seitens der italienischen Regierung wurden außerdem Charterflüge nach Lybien finanziert, um den Rücktransport der Migranten zu unterstützen. Natürlich kommt dieses Geld nicht nur aus der Staatskasse, sondern wird teilweise von europäischen Geldern und somit anderen europäischen Ländern mitfinanziert. Fraglich ist jedoch, in wie weit das ausreicht. Sollten nicht Finanzmittel, die derzeit für Millitärschiffe und Küstenpatrouillen ausgegeben werden, eher in die humanitäre Hilfe eingesetzt werden?
Ich denke auch, dass die europäische Sicherheitspolitik in dieser Hinsicht umdenken sollte. Migration ist ein Teil der europäischen Geschichte und immer präsent gewesen. Warum stellt sie in der heutigen Zeit ein derartiges Problem dar? Ist es nicht möglich, „einfach“ nur einen anderen Umgang damit zu finden und die Flüchtlinge als Menschen zu behandeln, so wie ein Deutscher von einem Deutschen behandelt wird?
Susanne schreibt
Ein Zitat von Heribert Prantl zu den sog Wirtschaftsflüchtlingen:
„Sie fliehen nicht nur vor Militär und Polizei, nicht nur vor Bürgerkrieg und Folter. Vielen Millionen drohen absolute Armut und Hunger; und es lockt die Sehnsucht nach einem Leben, das wenigstens ein bisschen besser ist. Die Flüchtlinge gelten als Feinde des Wohlstands. Die Europäische Union schützt sich vor ihnen wie vor Terroristen: man fürchtet sie nicht wegen ihres Triebes, sie wollen nicht krepieren, sie wollen überleben – sie werden also behandelt wie Triebtäter, und sie werden betrachtet wie Einbrecher, weil sie einbrechen wollen in das Paradies Europa; und man fürchtet sie wegen ihrer Zahl und sieht in ihnen so eine Art kriminelle Vereinigung.“