Zwei illegale Bauten die abgerissen werden sollen, die Bewohner der Häuser und Nachbarn aus dem ganzen Viertel wehren sich. Keine Seltenheit in Istanbul sowohl die illegalen Bauten nicht, als auch der Protest. Die sogenannten „gecekondu“ (im deutschen: über Nacht gebaute Hütte) sind weit verbreitet in den Metropolen des Landes. Seit Monaten versucht die Regierung in den Vierteln vor allem von Istanbul aufzuräumen. Aufräumen weil die knapp gewordenen Bauplätze sehr lukrativ sind und die Bewohner die jetzt dort hausen nicht gern gesehen. Sanierungspläne in der ganzen Stadt verdrängen sowohl alteingesessene Kulturen (Zigeunerviertel etc.), als auch viele von den seit Jahren aus dem Osten des Landes kommenden kurdischen Familien. Sie sollen ersetzt werden durch die Newcomer der pulsierenden Metropole am Bosphorus, Schicke Appartements und Villen sehen die Pläne des amtierenden Oberbürgermeisters (AKP) vor. Die Häuser um die es geht sind meist alt und spärlich ausgestattet, sie sind momentan noch günstig und somit das Einzige, was sich die armen Menschen leisten können. Die Bewohner werden verdrängt an die Randgebiete der Stadt, weit entfernt von ihrem sozialen Umfeld und womöglich ihrer Arbeit. Am liebsten wär es der Regierung, wenn sich diese Familien eines der staatlich subventionierten Wohnungen leistet, selbstverständlich mit staatlich subventionierten Krediten.
Wenn sie dies nicht tun sondern Widerstand leisten, wie gestern also am Donnerstag (14. Mai 2009) geschehen, rückt die türkische Polizei auf und sorgt für gehorsam. Pfeffergas und Wasserwerfer im Großeinsatz Demonstranten, Anwohner und vor allem Kinder werden zahlreich verletzt, einige sogar schwer. Blinde Gewalt ist das einzige was der türkischen Regierung einfällt als Antwort auf den Protest seiner Bürger. Eine Polizei, die nicht mehr zu unterscheiden ist vom Militär, eine Praxis wie auf dem Schlachtfeld und das mit den eigenen Bürgern als Feinde. Ein trauriges Szenario und leider Realität.
Eine Realität, die noch weit weg von einer EU Mitgliedschaft ist, auch wenn Ministerpräsident Erdogan dies am selben Tag mit lauter Stimme fordert.
Hier zwei Artikel, der eine bezieht sich auf den oben beschriebenen Protest und der zweite auf Erdogans Protest gegen den gemeinsamen Vorschlag von Merkel und Sarkozy die Türkei doch nur als priviligierten Partner zu erhalten.
Mal wieder schön zwischen den Zeilen rausgelesen, was rausgelesen werden darf.
Dir türkische Justiz bemüht sich seit Jahren besser als wir zu sein. Und nachdem, was ich vor Ort erlebt habe funktioniert das auch relativ gut.
Sicherlich gibt es dort Schwachstellen, aber die haben wir in D sicherlich „nie“.
Das die Polizei in der Türkei aufgeteilt ist in Landespolizei (Jandarma) die definitiv auch militärisch unterstellt ist und Polis (das was wir früher als Stadtpolizei kannten) kommt leider im Artikel nicht rüber.
Und nur als vor Ort Erfahrung: sowohl Jandarma als auch Polis versuchen die Kriminalität zu bekämpfen. Und sie sind auch dort nicht glücklich, wenn ein Vorgesetzter Unangenehmes befiehlt.
Die Persönlichkeiten innerhalb der Jandarma als auch Polis die kennenlernen durfte (als auch die Wehrpflichtigen aus D in der Jandarma) waren froh zukünftig zur EU gehören zu können. Von den Personen aus meinem Fachbereich heraus erst recht nicht zu sprechen. Die wären alle froh, zumal sie unsere westliche Ausbildung genossen hatten und genauso weitergeben.
Gebt den Türken eine Chance und ihr werdet in D ein noch besseres Grundgesetz erhalten, wenn wir sie lassen. Sie haben ja schon unser BGB gut umgesetzt.
Und wenn wir Merkel und Co. weiter machen lassen haben wir vielleicht doch bald eine Verfassung. Auch wenn sich die freiheitlich demokratischen Grundgedanken dort nicht mehr wiederfinden mögen.
Und als Analog: Atatürk ist für die Türken wie unsere Verfassung. Man darf sie nicht wirklich anrühren, es gibt massive Probleme!!!
@oldnag:
> „Gebt den Türken eine Chance …“
nein, gebe ich nicht. Erst die Ware, dann das Geld oder in diesem Fall: erst macht ihr eure Hausaufgaben, dann kommt ihr in die EU.
> „ihr werdet in D ein noch besseres Grundgesetz erhalten …“
ich halte das für gut genug. Bitte keine Empfehlungen wenn man noch nicht mal dieses Niveau erreicht hat.
> „… schon unser BGB gut umgesetzt.“
Da liegt wohl ein Wahrnehmungsproblem vor. Oder auch ein Mißverständnis, bzgl. des Begriffs „umgesetzt“. Umgesetzt heißt für mich mehr als nur „auf irgendein Stück Papier geschrieben“. Das muss auch gelebt werden!
Es gibt so viele Beispiele von eklatant fehlenden Grundvoraussetzungen, dass ich die gar nicht alle auflisten kann. Deshalb nur eine: so lange die Militärführung über dem Gesetz steht und ein General praktisch jur. ungestraft auch einen Mord begehen kann, ist es müßig über ein Angebot zum EU-Beitritt nachzudenken.
Ich wollte mit meinen Zeilen weder eine Meinung zum EU Beitritt der Türkei geben, noch bin ich der Meinung, dass es Fälle wie den von mir beschriebenen anderswo nicht gibt.
Mein Anliegen in erster Linie war und ist es immernoch diese eindeutige Rechtsüberschreitung publik zu machen und die interessierte Öffentlichkeit zu sensibilisieren. Regierungen, die Ihre eigenen Gesetze missachten sind die Regel, ich behaupte sogar, dass die Einhaltung eher die Ausnahme ist.
Mich freut es zu sehen, dass Menschen meine Zeilen gelesen und darüber nachgedacht haben, jeder auf seine eigene Art.
@oldnag
Ich stimme dir zu, wenn du sagst man muss der Türkei eine Chance geben. Alles andere wäre ein Rechtsbruch. Vorallem wenn die Argumente auf ethnisch, kulturellem fundament basieren und als identitätsstiftende Dogmen von Menschen gegen Menschen angewandt werden.
Die Türkei hat seit seiner Gründung immer und ständig turbulente Zeiten durchgemacht, genauso geht es heute noch weiter. Erdogans Reigierung und seine befürworter versuchen das Schiff in die richtige Richtung zu Lenken. Aber seit knapp zwei Jahren werden sie von den Winden am Bosphorus im Kreis gedreht und nutzen meiner Meinung nach bei den Versuchen dass Schiff wieder auf Kurs zu bringen unzulängliche Mittel.
Die Konstellation der Interessensgruppen und das Zusammentreffen ethnischer, religiöser und politischer Ideologien macht es besonders schwer funktionierende Institutionen aufzubauen und das Land zu regieren. Dennoch all dies kann solch brutale Maßnahmen und Menschenrechtsverletzungen nicht legitimieren. Keine Ideologie egal ob religiös oder politisch begründet darf dem Staat und ebensowenig dem einfachen Polizisten die Macht geben Menschenleben zu riskieren. Wissen das etwas Falsch ist und es dennoch zu tun, weil man gehörig ist hat katastrophale Folgen für eine Gemeinschaft. Unsere Geschichte zeigt dies ganz klar und eindeutig, gerade in Deutschland weis man wohin das führen kann.
@Peter
Haben Länder wie Bulgarien und Rumänien all ihre Hausaufgaben gemacht, bevor sie Mitglieder wurden? Die Aufnahmeverhandlungen mit der Türkei dauern mitlerweile über 50 Jahre und so wie es aussieht werden sie auch noch eine weile anhalten. Fakt ist es leider das es nicht nur um Hausaufgaben geht, sondern um künstlich geschaffene Grenzen namens Identität.
Denn beschriebenes Papier hat Macht und eine Verfassung für Europa kann gutes bewirken, die Frage ist nur wie wir sie Umsetzen. Da geb ich dir recht.
Und meiner Meinung nach ist „gut genug“ kein Status den wir erreichen können, es ist ein stetiges streben nach der besten Umsetzung.