Die Ausgangslage
Am gestrigen Freitag haben Vertreter der fünf größten Internetserviceprovider in Deutschland (Deutsche Telekom, Vodafone/Arcor, Hansenet/Alice, Telefonica/O2 und Kabel Deutschland) den Vertrag Über die Erschwerung des Zugangs zu kinderpornografischen Inhalten im Internet mit dem Bundeskriminalamt geschlossen (siehe auch: Beitrag auf Criminologia zum Vertragsentwurf).
Damit verpflichten sich die Kommunikationsunternehmen, den Zugang zu Internetseiten mit kinderpronographischen Inhalten zu sperren. Eine entsprechende Sperrliste mit den betroffenen Internetseiten wird vom Bundeskriminalamt bereitgestellt und laufend aktualisiert. Der Vertrag ist zunächst bis Ende 2010 befristet. Parallel will das Bundeskabinett ein „Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen“ beraten, das Verbindlichkeit für alle Internetserviceprovider schaffen soll. Wird eine auf der Sperrlister erfasste Internetseite im Browser aufgerufen erscheint ein Sperrhinweis (siehe Grafik rechts) mit folgendem Hinweis:
Ihr Internet-Browser versucht gerade, Kontakt zu einer Webseite herzustellen, die im Zusammenhang mit der Verbreitung von Kinderpornografie genutzt wird. Kinderpornografie stellt sexuelle Missbrauchshandlungen an Kindern dar. Die Verbreitung, der Erwerb und der Besitz von Kinderpornografie ist nach § 184 b Strafgesetzbuch strafbar.
Der sexuelle Missbrauch von Kindern bedeutet für die Opfer das Erleiden physischer und psychischer Gewalt und ist in der Regel mit lebenslangen Schädigungen verbunden. Durch die Dokumentation und Veröffentlichung der Taten im Internet werden die Opfer zusätzlich traumatisiert und dauerhaft in der Öffentlichkeit stigmatisiert. Zudem generiert die massenweise Verbreitung im Internet die Nachfrage nach neuem Material und fördert so zumindest mittelbar die Begehung weiterer Missbrauchstaten.
Falls Sie Einwände gegen die Sperrung dieser Webseite haben oder sie für nicht korrekt oder ungerechtfertigt halten, so kontaktieren Sie bitte das Bundeskriminalamt unter folgender E-Mail-Adresse kontakt@bka.de.
Weder Informationen zu Ihrer IP-Adresse noch andere Daten, anhand derer Sie identifiziert werden könnten, werden vom Bundeskriminalamt gespeichert, wenn diese Seite erscheint. Die Sperrung dieser Webseiten erfolgt ausschließlich, um die kriminelle Verbreitung von Darstellungen sexuellen Missbrauchs und die weitere Ausbeutung der Kinder zu erschweren. Die Suche nach Kinderpornografie und die Beweissicherung ist ausschließlich Sache der Polizei.
Kritik am Sperrvertrag
Seit das Vorhaben der Einführung einer Internetsperre bekannt wurde, stößt das von Frau von der Leyen vorangetriebene Verfahren auf starke Kritik. Dabei lässt sich die Kritik in vier Themenbereiche unterteilen.
1. Durch die Internetsperre findet eines Zensur des Internets statt
Bürgerrechtsorganisationen und Netzaktivisten mahnen, es fände eine Zensur des Internets statt. Die vom BKA geführte Sperrliste ist nicht öffentlich (da sie Links zu kinderpornographischen Inhalten enthält) und entzieht sich so der Kontrolle nicht-staatlicher Stellen (siehe z.B. netzpolitik.org und Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur).
Zudem könne niemand kontrollieren, ob der Zugang zu den Internetseiten nach Entfernung der verbotenen, Anstoß erregender Inhalte wieder ermöglicht würde.
Computerexperten mahnen, das geplante Sperrverfahren (DNS Sperren) sei technisch nicht einfach umzusetzen. Die Sperrung einer Domain könne dazu führen, dass u.U. auch Hunderte von legalen, nicht betroffenen Internetseiten nicht länger erreichbar wären (siehe: c’t 09/09).
Grundsätzlich seien Grundrechte wie Informationsfreiheit und allgemeine Persönlichkeitsrechte berührt und das hier vertraglich geregelte Verfahren rechtlich bedenklich.
2. Die empirischen Fakten vor deren Hintergrund die Netzsperre initiiert wird, sind ungesichert/ falsch
Familienministerin Frau von der Leyen führt als inhaltliche Begründung ihres Vorstoßes beim Vorgehen gegen Kinderpornograpie im Internet folgende Argumente an:
- Kinderschutz: Die Sperrung verhindert, dass mit jedem Seitenaufruf die Vergewaltigung eines wehrlosen Kindes fortgesetzt wird.
- Prävention: Kinderpornografische Bilder im Internet werden gezielt eingesetzt, um potentielle neue „Kunden“ zu werben, Hemmschwellen abzubauen und die Nachfrage systematisch nach immer brutaleren Bildern anzuheizen. Es gilt mit der Zugangssperre bereits den Einstieg zu verhindern.
- Störung des Massengeschäftes: Kinderpornografie ist ein Millionengeschäft. Mit den Sperrungen wird der kommerzielle Massenmarkt im Internet empfindlich gestört. Wo kein Geld mehr zu verdienen ist, wird organisierte Kriminalität immer weniger lukrativ.
- Gesellschaftliche Ächtung: Das Sperren dieser Seiten ist ein wichtiges und deutliches Signal aller gesellschaftlichen Kräfte zur konsequenten Ächtung von Kinderpornografie – nicht nur im Internet.[Quelle: BMFSFJ]
In einem hervorragenden Artikel der Computerzeitschrift c’t (Ausgabe 09/09) weisen die Autoren nach, dass die von Frau von der Leyen hervorgebrachten Argumente auf ungesicherten empirischen Fakten beruhen:
Der vom BKA registrierte Zuwachs der Fälle von Besitzverschaffung von Kinderpornografie durch das Internet in den Jahren 2006 auf 2007 liege in der Tat bei 111% (von 2936 auf 6206 Fälle). Hierbei handle es sich jedoch lediglich um die Anzahl eingeleiteter Ermittlungsverfahren und keineswegs um die Zahl der Verurteilungen. 12.000 Ermittlungsverfahren sind im Zuge einer größeren Ermittlungsaktion Ende 2007 registriert worden. Ein Großteil dieser Verfahren wurde mittlerweile von den zuständigen Staatsanwaltschaften eingestellt.
Ein Ermittler des LKA Niedersachsen äußert gegenüber der c’t die Einschätzung, dass das Internet den kommerziellen Anbietern von Kinderpornographie zwar als Kommunikationsweg, jedoch nicht vornehmlich als Transportmedium diene. Das Argument, der „kommerzielle Massenmarkt im Internet [würde] empfindlich gestört“ (s.o.), erweise sich demnach als haltlos. Vielmehr nutzten die kommerziellen Anbieter den Postweg, um DVDs mit kinderpornographischem Material zu verschicken. Das Internet spiele lediglich eine Rolle bei der kostenlosen Verteilung des Materials unter den Nutzern.
Die Pädophilen-Szene exponiere sich nach Aussage der Jugendschützerin und Medienwissenschaftlerin Dr. Korinna Kuhnen nicht im Internet, sondern sei vielmehr um Abschottung bemüht.
3. Die Maßnahme der Internetsperre sind ein technisch untaugliches Mittel
Technikexperten mahnen, dass angestrebte Verfahren der Sperrung von Internetseiten über das Domain Name System (DNS), sei vollkommen ungenügend und gewähre keine Garantie, dass die auf der Sperrliste vermerkten Webseiten nicht erreichbar seien (eine ausführliche Erklärung des technischen Verfahrens und der damit verbundenen Schwierigkeiten bietet der bereits oben zitierte Artikel der c’t).
Auf YouTube kursieren diverse Anleitungen, die zeigen, wie die Internetsperre durch eine einzige Änderung in der Windows Systemsteuerung zu umgehen ist. Dieses Video zeigt beispielsweise, wie innerhalb von nur 27 Sekunden die Änderung vorzunehmen ist.
Aus Regierungskreisen wurde immer wieder zum Beleg der Wirksamkeit von Netzsperren auf skandinavische Länder verwiesen, die ein entsprechendes Verfahren seit einiger Zeit praktizieren. Eine wissenschaftliche Evaluation des Effekts dieser Maßnahmen liegt jedoch bis heute nicht vor. Gegenüber dem Nachrichtenmagazin Focus räumte ein Vertreter der schwedischen Polizei jüngst ein, dass die Netzsperren ein unzureichendes Mittel im Kampf gegen gegen Kinderpornographie im Internet seien:
Unsere Sperrmaßnahmen tragen leider nicht dazu bei, die Produktion von Webpornografie zu vermindern.
4. Mit der Netzsperre wird das Thema „Kinderpornographie“ instrumentalisiert
Bereits sehr früh nachdem die Pläne einer Netzsperre bekannt wurden, äußerten Kritiker sich zu Wort, die mutmaßten, es könnten andere Interessen hinter der Etablierung eines Kontrollinstrumentes für das Internet stehen. Am Fallbeispiel Kinderpornographie würde lediglich die politische Durchsetzungschance einer solchen Maßnahme getestet werden, da hier ein gesellschaftlich-moralischer Wertekonsens vermutet werden darf.
Am 18. März 2009 berichtet heise online von einem Treffen von Vertretern des Verbands der deutschen Internetwirtschaft und Mitarbeitern des Familienministeriums. In dem Beitrag heißt es:
In den abschließenden Verhandlungen mit dem Familienministerium in großer Runde ist laut Ansicht von eco-Vertretern ferner klar geworden, dass es den bislang beteiligten Ressorts einschließlich des Wirtschafts- und Innenministeriums nicht nur um die von Experten als wirkungslos erachteten Sperrungen im Bereich Kinderpornographie gehe. Von einer entsprechenden Beschränkung sei nicht mehr die Rede gewesen. Somit stünde die Tür offen für Blockadeforderungen etwa auch von Rechteinhabern im Kampf gegen Copyright-Verstößen im Netz oder von den Betreibern staatlich genehmigter Glücksspieleanbieter gegen die illegale Online-Konkurrenz.
Diese Einschätzung, dass wirtschaftliche Interessen durch die Etablierung einer Netzsperre zukünftig geschützt werden sollen, werden geteilt von Missbrauchsopfern, die sich von dem kriminalpolitischen Vorstoß Frau von der Leyens instrumentalisiert sehen.
In der Zeit Online wurde am 16.04.2009 ein Interview mit Christian Bahls veröffentlicht. Bahls, selbst ehemaliges Missbrauchsopfer, hat kurzerhand den Verein MOGIS (MissbrauchsOpfer gegen InterSperren) gegründet. Seiner Ansich nach sei das gegenwärtige Vorgehen der Politik scheinheilig, da deutsche Internetserver, auf denen nachweislich kinderpornographisches Material zu finden sei, nicht abgeschaltet würden, stattdessen medienwirksam die Vertragsunterzeichnung der Vertreter der Internetserviceprovider als Erfolg im Kampf gegen die Verbreitung von Kinderpornographie gefeiert würde:
Die Diskussion, wie sie gerade läuft, ist nicht hilfreich. Die ist schlimm für die Opfer, ihnen wird damit noch ein zweites Mal wehgetan. Ich fühle mich wieder zum Opfer gemacht. Ich fühle mich in der Debatte für ein politisches Ziel missbraucht.
Denn die Regierung will nur die Verbreitung der „Dokumentation des Missbrauchs“ einschränken, nicht den Missbrauch selbst. Sie können natürlich vor das Bild ein Laken hängen, das Bild aber hängt dann noch immer dort. Die Inhalte werden weiter verbreitet. Statt nur Listen auszutauschen, könnte man doch mit vereinten Kräften daran arbeiten, diese Inhalte dauerhaft aus dem Netz zu entfernen. Denn bisher geht es nur um diese Sperrlisten, nicht um Ermittlungsverfahren.
[Quelle: Zeit Online]
Der Verdacht eines scheinheiligen Vorgehens seitens der Politik wird durch eine heute veröffentliche Meldung noch verstärkt. Wie Spiegel Online berichtet
sollen nur Anbieter, die mindestens für 10.000 Nutzer in der Regel gegen Entgelt den Zugang zum Internet ermöglichen, „geeignete und zumutbare technische Maßnahmen“ ergreifen – zum Beispiel die Sperrung von entsprechenden Seiten und die Weiterleitung auf sogenannte Stoppseiten.
[Quelle: Spiegel Online]
Nach Expertenschätzungen hieße dies, dass Millionen von Internetnutzern in Deutschland, die beispielsweise über Hochschul- und Behördennetze oder kleinere regionale Netwerkanbieter online gehen, von den Internetsperren nicht betroffen wären. Die bereits technisch unzureichende Maßnahme wäre also demnach auch in ihrer Reichweite beschränkt.
Fazit
Am Mittwoch wird das Bundeskabinett voraussichtlich einen vom Wirtschaftsministerium erarbeiteten Gesetzentwurf beraten und verabschieden. Damit wäre in Rekordzeit eine Zensurmaßnahme gesetzlich verankert worden – gegen den Protest und die begründete Kritik vieler Experten. Zugunsten vermeintlicher Sicherheit hat die Freiheit einen deutlichen Einschnitt erfahren.
Es bleibt nur, seinen Unmut über diesen politischen Aktionismus zu äußern und zu hoffen, dass uns im Wahlkampfjahr 2009 nicht noch mehr derlei Gesetzesänderungen bevorstehen. Denn wer kann schon soviel Sicherheit vertragen?
Links zum Thema
- Bund schließt Vertrag mit Providern zur Sperrung von Kinderpornografie-Seiten im Internet (BMFSFJ, 17.04.2009)
- Fünf Provider unterzeichnen Vertrag zu Kinderporno-Sperren (heise online, 17.04.2009)
- Verschleierungstaktik -Die Argumente für Kinderporno-Sperren laufen ins Leere (c’t, Ausgabe 09/09)
- Missbrauchsopfer kämpfen gegen Netzsperren (Zeit Online, 16.04.2009)
- Experte: Sperrung von Kinderporno-Seiten falscher Weg (Focus, 23.03.2009)
- Mini-Provider müssen nicht filtern (Spiegel Online, 18.04.2009)
Hervorragender Artikel, mutiger Autor! Ich traue mich noch nicht mal hier meinen vollen Namen anzugeben, weil es negative Auswirkungen auf meine nächste Bewerbung haben könnte.
Lieber Dirk, vielen Dank für das nette Feedback. Jetzt bin ich allerdings schon neugierig wie Dein Arbeitgeber lautet: BMI?