Anlässlich des 80. Geburtstages von Lord Ralf Dahrendorf am 1.Mai 2009 erscheint heute ein Beitrag von Jens Hacke in der Süddeutschen Zeitung.
Die Theorie allein lieferte ihm nie genug Atemluft, und so wurde Dahrendorf im Gegensatz zu seinen Generationsgenossen Luhmann und Habermas kein schulbildender Theoretiker, sondern ein politisch urteilskräftiger unabhängiger Denker, für den Macht und Herrschaft unhintergehbare Leitbegriffe politischen Handelns blieben. Dahrendorfs Kantianismus einer Weltbürgergesellschaft verlässt sich niemals allein auf die Vormacht der Vernunft. Wie der bewunderte Isaiah Berlin hält er es lieber mit der Königsberger Einsicht, dass der Mensch aus krummem Holz geschnitzt sei. Wichtiger als komplexe Theoriegebäude sind funktionierende politische Institutionen, die der Freiheit des Einzelnen dienen, und die Pflege öffentlicher Tugenden.
Wie eine praktische Erläuterung hierzu liest sich ein Beitrag im Spiegel zum Thema Chancengleichheit. In diesem wird sein Eintreten für „Bildung als Bürgerrecht“ in den 60er Jahren hervorgehoben. Dieses Engagement erfordert im Jahr 2009 ein Umdenken:
Seit 1958 hat sich die Zahl der Studenten verzehnfacht. Katholische Kinder, Mädchen, Landkinder, Arbeiterkinder, Sie finden alle an den Universitäten. Die Kardinalfrage lautet viel mehr: Was ist mit den anderen, was ist mit dem Rest?
Ich meine diejenigen, die durchs Raster fallen, vom Kindergarten oder von der Vorschule angefangen. Das ist eine relativ große Gruppe von jungen Menschen, die Schule oder Lehre nicht schaffen. Sehr oft sind es Migranten oder Migrantenkinder. In meinem Städtchen im Schwarzwald sehe ich das Problem mit eigenen Augen: Die eine Hälfte arbeitet, und die andere sitzt im Park und trinkt Bier. Und die will ich gerne kriegen. Da liegt heute eines der großen deutschen Bildungsprobleme.
In diesem Zusammenhang sei ein weiterer Beitrag aus der SZ empfohlen, der aufzeigt, dass dies nicht nur ein deutsches Phänomen beschreibt.
In einem Prozess in Paris stehen 27 junge Leute aus einem Pariser Vorort, einem sog. banlieue, wegen Entführung, Folter und Mord eines 23-jährigen Juden vor Gericht.
Der Fall wirft ein deprimierendes Licht auf die Wirklichkeit der Banlieue. Wie groß die Gewaltbereitschaft ist und auch, dass die Mädchen mehr als früher eingespannt werden in kriminelle Aktivitäten. Elf der Angeklagten sind junge Frauen. Erschreckend bleibt, dass es zwar unter den Tätern einen gab, der nach ein paar Tagen ausgestiegen ist, aber sich nicht mal traute, der Polizei anonym einen Hinweis zu geben. Man spricht nicht mit der Polizei.
Um kurz die kriminologische Relevanz aus diesem Gedankenmix herzustellen:
Die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung in der Bildung junger Menschen und somit auch die Bildungspolitik im Hinblick auf die „Bildungsverlierer“ zu untersuchen, bleibt und wird taugliches Forschungsobjekt der Kriminologie. Dies auch, um stichhaltige Argumente zu anderen kriminologischen Phänomenen zu erarbeiten, etwa der Diskussion um Killer-Spiele und Schulattentate.
hjkölo schreibt
Klar, Antje.