Seit nunmehr zwei Wochen ist in der deutschen Blogspähre eine Diskussion entbrannt über den Einsatz sogenannter Internetsperren im Kampf gegen die Kinderpornographie. Anstoß nahm die Diskussion an der Veröffentlichung eines Vertragsentwurfes zwischen der Bundesrepublik Deutschland vertreten durch das Innenministerium, vertreten durch das Bundeskriminalamt, und den Internetserviceprovidern (ISP also z.B. die Telekom, Hansenet o.ä.) durch den Chaos Computer Club (CCC).
Dem Vertragsentwurf über die Erschwerung des Zugangs zu kinderpornografischen Inhalten im Internet ist zu entnehmen, dass vorgesehen ist, Internetseiten, die kinderpornographisches Material bereitstellen beziehungsweise Zugang zu solchen Inhalten vermitteln, sperren zu lassen. Bei Aufruf einer derartig gesperrten Seite soll nach dem Vertragsentwurf eine so genannte STOPP-Seite angezeigt werden, die den Besucher auf die rechtswidrigen Inhalte hinweist.
Dem Bundeskriminalamt obliegt es dabei, eine stetig aktualisierte Liste mit den zu sperrenden Internetseiten an die Internetserviceprovider zu übermitteln.
Zum Vertragsgegenstand heißt es im Vertragsentwurf im Wortlaut:
§1 Vertragsgegenstand
(1) Das Bundeskriminalamt erstellt eine Liste der vollqualifizierten Domainnamen (VDN), bei denen es festgestellt hat, dass unter diesen VDN diese kinderpornografische Schriften im Sinne von § 184b des Strafgesetzbuches (StGB) vorgehalten werden oder deren Nutzung nahezu ausschließlich darin besteht, den Zugang zu derartigen Seiten zu vermitteln. Das Bundeskriminalamt stellt sicher, dass die Liste so erstellt wird, dass eine mögliche Beeinträchtigung der Rechte unbeteiligter Dritter auf das unvermeidbare Minimum begrenzt wird.
Auf der Internetseite des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend heißt es hierzu, die Maßnahme sei notwendig, da das Internet die Verbreitung kinderpornographischer Darstellungen erleichtere. Zudem nähmen solche Darstellungen in Zahl und Brutalität zu: die polizeiliche Kriminalstatistik weise von 2006 auf 2007 einen Zuwachs von 111 Prozent bei der Besitzverschaffung von Kinderpornographie Mithilfe des „Tatmittels Internet“ aus. Die Opfer würden zudem immer jünger und die finanziellen Gewinne der Anbieter wüchsen. Um die grenzüberschreitende Verbreitung kinderpornographischen Materials einzudämmen, solle durch die Internetsprre erreicht werden, die Nachfrage einzuschränken um so die Geschäftsgrundlage der sexuelle Ausbeutung von Kindern zu zerstören.
Während Regierungsvertreter (vornehmlich Familienministerin Frau von der Leyen) die Maßnahme der Internetsperre als notwendiges Mittel im Kampf gegen die Kinderpornographie verteidigen, wird die Maßnahme von anderen Akteuren als (Vor-)Zensur der Regierung kritisiert.
Die Kritiker äußern Bedenken, dass mit der Sperrung von kinderpornografischen Internetseiten ein Exempel statuiert wird, das später auf andere Inhalte ausgeweitet werden könnte. Die gesellschaftliche Akzeptanz eines so weitreichenden Eingriffs erscheint angesichts der moralischen Verwerflichkeit der Taten gewiss. Ist die Maßnahme einer Internetsperre einmal rechtlich implementiert droht möglicherweise, so die Kritiker, eine Sperrung weiterer Internetseiten mit ebenfalls nicht rechtmäßigen Inhalte (Verstoß gegen die Urheberrechte, Anleitungen zum Bombenbau, Web-Seiten von terroristischen Vereinigungen beziehungsweise von Unterstützern).
„Es wird deutlich, dass das Bundesinnenministerium mit dem Thema Kinderpornographie und der Flankierung durch Familienministerin von der Leyen offenbar einen Bereich herausgesucht wurde, mit dem am ehesten gesellschaftliche Akzeptanz für Sperrmaßnahmen erreicht werden kann. Wenn aber eine solche Infrastruktur erst einmal vorhanden ist, wird eine Ausweitung auf andere Themenbereiche – seien es sogenannte terroristische Propaganda oder Verstöße gegen Urheberrechtsbestimmungen – ein Leichtes sein“, sagte CCC-Sprecher Andy Müller-Maguhn. [Chaos Computer Club]
Auch die juristische Rechtmäßigkeit des Vertrages (zumindest im jetzigen Entwurfsstadium) scheint laut der Kommentare einiger Juristen (siehe auch: hier) alles andere als sicher.
Im Fokus der Kritik steht weiterhin, dass diese Maßnahme der Internetsperren am Hebel der Angebotsverknappung auf Konsumentenseite ansetzt, nicht jedoch die Strafverfolgung der Produzenten von Kinderpornographie ins Auge fasst. Eine konsequente Strafverfolgung der Anbieter und Produzenten kinderpornographischen Materials scheiterte jedoch vermutlich an der international unterschiedlich bewerteten Strafmäßigkeit des Handelns.
Eine Übermittlung der IP Adressen derjenigen, die auf die gesperrten Inhalte versuchen zuzugreifen, ist laut jetzigem Vertragsentwurf nicht geplant [Update 03.03.2009: Die Provider sind nach jetzigem Vertragsentwurf verpflichtet, dem BKA eine Liste der IP-Adressen zu übermitteln, über die die gesperrten Seiten versucht wurden aufzurufen]. Jedoch ist über die seit Januar in Kraft getretene Datenvorratsspeicherung ein Rückschluss auf die vermeintlich pädophilen Internetbenutzer leicht möglich (siehe auch Kommentar im TAZ-Blog).
Vordergründig erscheint zunächst die geplante Maßnahme im Kampf gegen Kinderpornographie ebenso ungeeignet wie das polizeiliche Vorgehen gegen Mitglieder der Offenen Drogenszene zwecks Schaffung einer drogenfreien Gesellschaft. Am Beispiel der durchgesetzten polizeilichen Handlungskonzepte zur Bekämpfung der öffentliche wahrnehmbaren Drogenkriminalität ist bekannt, dass solcherlei Maßnahmen viel mehr zur Zersplitterung der Verteilungsnetzwerke und zunehmenden Professionalisierung der Drogen-Distributoren beitragen. Eine schlechtere Kontrollierbarkeit ist die Folge. Durch polizeiliche Maßnahmen können zudem nur ein Bruchteil der sich auf dem Markt befindlichen Drogen sichergestellt werden.
Ähnliches dürfte auch für den Zugriff auf Kinderpornographie im Internet gelten. Eine Sperrung der betreffenden Internetseiten verhindert, dass Internetnutzer versehentlich oder durch „Neugier“ getrieben entsprechende Angebote einsehen können (das dürfte aber wohl selten der Fall sein). Wahrscheinlicher erscheint es, dass durch den steigenden Druck der Strafverfolgungsbehörden sich Konsumenten kinderpornographischen Materials zusehends professionalisieren und einen Austausch von Bildern und Filmen über geschützte Netzwerke, E-mail-Konten oder aber Peer-to-Peer-Netzwerke organisieren. Eine effektive Bekämpfung hätte die totale Kontrolle des elektronischen Datenverkehrs zur Folge.
Allerdings muss eingestanden werden, dass es sich bei Drogendelikten und der Kinderpornographie um grundverschiedene Delikte handelt. Bekanntermaßen ist der Konsum von Drogen – so gesundheitsschädlich er auch sein mag – nicht strafbar. Der Drogenkonsument schädigt in erster Linie sich selbst, in zweiter Linie verursacht er gesellschaftliche Kosten, die für das medizinische Behandlungssystem und im Kontext so genannter Beschaffungskriminalität und ihrer Bekämpfung anfallen.
Hingegen gibt es aber bei der Erstellung kinderpornographischen Materials nun immer auch ein Opfer, das in vielen Fällen eine körperliche und unter Umständen eine lebenslang anhaltende psychische Schädigung durch Tat und Täter davon trägt. Der Schutz der jungen und oftmals wehrlosen Opfer scheint ein striktes Vorgehen gegen die Täter zu rechtfertigen. Gerade angesichts der grenzüberschreitenden Verbreitung kinderpornographischen Materials, die durch das Internet ermöglicht wird, und den Umstand, dass der Besitz und die Verbreitung solches Materials nicht in allen Ländern eine rechtswidrige Tat darstellt, geraten herkömmliche polizeiliche Maßnahmen der Strafverfolgung an ihre Grenzen.
Die Kontrolle des freien Datenverkehrs im Internet und die immer umfassendere Speicherung von Daten durch den Staat aber auch private Unternehmen sind ein ernst zunehmendes Datenschutzproblem. Die Freiheit und informelle Selbstbestimmung von Bürgern wird vielerorts beschränkt. Sollte der Entwurf über die Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten im Internet in der jetzigen Form verabschiedet werden, wird eine neue, bisher noch nie dagewesene Kontrolle des Staates über die Zugänglichkeit von Informationen im Internet erreicht. Die Befürchtung der Kritiker, die Sperrung von Internetseiten könnte auch auf andere Gegenstandsbereiche ausgeweitet werden, ist sicherlich nicht abwegig.
Schlussendlich werden vermutlich Juristen über eine Abwägung der hier betroffenen Rechtsgüter zu entscheiden haben: Welche Alternativen stehen der Sperrung von Internetseiten zur Seite? Welche Wirksamkeit verspricht die Maßnahme? In welchem Verhältnis stehen die Einschränkung der freien Informationsvielfalt und der konkrete Opferschutz?
Links zum Thema
- Chaos Computer Club: Vertragsentwurfes (PDF)
- Chaosradio (Podcast): Das Familieninternet – Internetsperren gegen Kinderpornographie (und andere Dinge, die wir nicht sehen sollen)
- Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Daten & Fakten zu Kinderpornografie im Internet
Prof. Dr. Hoeren kritisiert, durch den geplanten Vertrag würden rechtsstaatliche Probleme in das Vertragsrecht verlagert. Da von den Internetsperren ein Eingriff in Grundrechte ausgehe (Kommunikationsfreiheit nach Artikel 5 GG), sei die nun geplante vertragsrechtliche Regelung ein ungeeignetes Rechtsinstrument. Hinzu käme, dass etwaige Haftungsfragen (die beispielsweise durch eine unrechtmäßige oder versehentliche Sperrung einer Domain entstehen könnten), weit über übliche Staatshaftungsfragen hinausgingen. Schließlich mutmaßt Prof. Dr. Hoeren, Frau von der Leyen ließe sich durch die geplanten Eingriffe von der Musikindustrie instrumentalisieren:
Ich habe den Eindruck, dass die Familienministerin nicht weiß, wessen Interessen sie tatsächlich Rechnung trägt. Für die Musikindustrie, die seit Jahren die Nutzer von Privatkopien kriminalisieren möchte, ist das, was jetzt im Jugendschutz geschieht, das Beste, was passieren kann.
Gerhard Pichottka schreibt
„Surfen mit Stoppschild“ überschreibt der Spiegel 12/2009, seinen Bericht zur Initiative der Familienministerin, Ursula von der Leyen, die Zugriffe zur Kinderpornografie im Internet zu erschweren. Schon gibt es ein allgemeines Aufbäumen der wackeren Vertreter gegen die vermeintliche Einschränkung der Demokratie und der Freiheit, frei im Netz alles in Anspruch nehmen zu können, was zur Erhöhung des Gewinns der Provider, und zur Förderung niedriger Instinkte der Nutzer dort angeboten wird.
Was in der Schweiz, Neuseeland, in Italien und Norwegen eingeführt wurde, entfacht in Deutschland eine Diskussion über die Grenzen der persönlichen Freiheit, die sicher auch in den genannten Ländern geführt wurde. Letztlich hat die realistische Einschätzung des immensen Schadens bei den missbrauchten Kindern, die ein Leben lang wirkt, zu einer durch Vernunft entstandenen Bestimmung geführt. Ohne Zweifel wird die in diesen Ländern getroffene Regelung keine Grundlagen der Demokratie gefährden, sondern den psychischen und physischen Schaden an vielen Kindern verhindern.
Aber in Deutschland ist das eben ganz anders. Der Spiegel geht in seinem Bericht nach Meinung von Experten davon aus, dass es hier pro Tag 300000 Aufrufe zur Kinderpornografie im Netz gibt, die im überwiegenden Teil nicht nur durch Neugier motiviert sind. Leider findet man keine Statistik über die Zahl der in Folge dieser Aufrufe geschändeten Kinder. Kurz nach Beerdigung der Opfer von Menningen, wie nach denen in Erfurt, hat man schon vergessen, dass es ein weiteres Angebot im Internet gibt, die Darstellung von lebensverachtender, nackter Gewalt. Auch hier wird gegen die Zensur solcher „Spiele“ mit einer „Öffnung der Pandorra-Büchse der Internet-Zensur“ argumentiert, eben ohne an die gerade beerdigten Opfer und das Schicksal ihrer Angehörigen zu denken.
Ohne über die Folgen ihrer Wahlentscheidung nachzudenken, wurde von den Wählern die große Koalition gewählt, die nun in Vorbereitung der erneuten Wahl beweist, wie unfähig sie zu solchen Entscheidungen, wie die in den genannten Ländern ist. Sicher wird man in ihnen die deutsche Diskussion lächelnd verfolgen. So wehrt sich unsere Justizministerin vehement mit den üblichen Floskeln „erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken“, die sie „nicht mittragen kann“, gegen eine Regelung, die wenn sie intelligent erarbeitet, Gesetz wird, die Pädophilie erheblich einschränken wird. Der Wähler sollte sich bei der nächsten Wahl genau überlegen, ob so eine große Koalition für ihn wirklichen Nutzen bringen kann.
Ich wünsche dem Team von Ursula von der Leyen in ihrem Haus das nötige Gespür für den Entwurf der gesetzlichen Regelungen und kann Wolfgang Schäuble nur beipflichten, wenn er meint, „wir deutschen sollten nicht den Eindruck erwecken, unsere Verfassung schütze Kinderpornografie“.
Christian schreibt
Vielen Dank für Ihren Kommentar Herr Pichottka. Ich teile ihre Einschätzung allerdings nicht und halte auch Ihre Argumentation für wenig überzeugend.
Vorweg: Niemand bezweifelt, dass Kinderpornographie abscheulich ist und die Opfer schreckliche evtl. lebenslange Folgen erleiden müssen.
In dieser Debatte geht es jedoch nicht um das OB sondern um das WIE der Durchsetzung eines Verbotes. Bei diesem Wie bestehen erhebliche Zweifel, ob das geplante Vorgehen rechtmäßig und vor allem geeignet ist, gegen die Verbreitung effektiv vorzugehen.
Der Umstand, dass die Internetsperren nicht durch ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren verabschiedet werden sollen – wie Frau Zypries es gefordert hat – lässt doch erheblichen Zweifel an einer „durch Vernunft entstandenen Bestimmung“ aufkommen. Je weiter die Diskussion über die Grenzen der persönlichen Freiheit fortschreitet, desto eher erhärtet sich der Verdacht, dass hier unter Umständen ganz andere wirtschaftliche Interessen verfolgt und geschützt werden sollen:
In den abschließenden Verhandlungen mit dem Familienministerium in großer Runde ist laut Ansicht von eco-Vertretern ferner klar geworden, dass es den bislang beteiligten Ressorts einschließlich des Wirtschafts- und Innenministeriums nicht nur um die von Experten als wirkungslos erachteten Sperrungen im Bereich Kinderpornographie gehe. Von einer entsprechenden Beschränkung sei nicht mehr die Rede gewesen. Somit stünde die Tür offen für Blockadeforderungen etwa auch von Rechteinhabern im Kampf gegen Copyright-Verstößen im Netz oder von den Betreibern staatlich genehmigter Glücksspieleanbieter gegen die illegale Online Konkurrenz. (siehe: heise online, 28.03.2009: http://www.heise.de/newsticker/Telekom-arbeitet-an-Einigung-ueber-Web-Sperren-gegen-Kinderpornos–/meldung/134740)
dikosss schreibt
1. Kinderpornografie muss bekämpft werden.
2. Es sollten gesellschaftliche Initiativen geschaffen werden, die die Wurzeln solche Verbrechen aufdecken und solchen Entwicklungen entgegentreten.
3. Wie kann solches Verbrechen im Internet bekämpft werden?
a) Durch Internet-Sperren?
Wohl kaum. Das wäre wie das Bekleben entsprechender Zeitschriften mit Stopp-Schildern, ohne die Zeitschriften zu entfernen.
b) Durch z.B. das Löschen entsprechender Server, so dass das Angebot im Internet nicht mehr existiert (und damit kann das „Stopp-Schild“ auch nicht mehr umgangen werden) sowie der internationalen Kooperation bei der Suche nach den Kriminellen und dann der Verhaftung solcher Menschen.