Es ist ein scheinbar niemals enden wollender Streit unter Medienwissenschaftlern, Psychologen, Pädagogen, Kriminologen und den Fans von Computer- und Videospielen: Sobald ein als gewalttätig eingestuftes Computerspiel auf dem Markt erscheint oder bei einem jugendlichen Gewalttäter sog. Killer-Spiele auf der Festplatte seines Computers gefunden werden, entfacht eine neue Diskussionswelle um den Einfluss von Computer-/Videospielen auf gewalttätiges Verhalten (vornehmlich von Kindern und Jugendlichen).
Ende April ist der vierte Teil von Grand Theft Auto (kurz: GTA IV) erschienen. Das Spiel gilt als eines der wirtschaftlich erfolgreichsten Videospiele aller Zeiten. Der aktuelle Teil der Spielereihe erbrachte alleine in der ersten Verkaufswoche einen Umsatz von 500 Millionen Dollar. Von den vergangenen drei Spielen der GTA-Reihe konnten weltweit über 30 Millionen Einheiten in Umlauf gebracht werden (daneben dürfte noch eine beachtliche Zahl von Raubkopien der Spiele im Umlauf sein).
Das Spiel gilt als besonders gewalttätig und hat in Deutschland keine Jugendfreigabe erhalten. Im Laufe des Spiels durchläuft der Protagonist eine kriminelle Karriere vom illegalen Einwanderer, der sich mit Autodiebstählen über Wasser hält, zum Auftragsmörder der russischen Mafia; dabei muss der Spieler unzählige Autos klauen und hunderte von Morde begehen.
Das Besondere an der aktuell geführten Debatte ist, dass bereits im Vorfeld der Veröffentlichung des Spiels zahlreiche angesehene Zeitschriften und Zeitungen (zumeist im Feuilletonteil!) sich sehr positiv über das komplexe und als gesellschaftskritisch geltende Spiel ausgelassen haben (Spiegel Online: Spiel der Spiele, New York Times: Grand Theft Auto Takes On New York).
Die hohe Komplexität, sozialkritisches Augenzwinkern und der Spielwitz haben freilich bekannte Spielegegner nicht davon abgehalten, ihre übliche Kritik (ohne Kenntnis des Spiels) hervorzubringen – allen voran der moral entrepreneur Jack Thompson, der mit einem anklagenden Brief an die Mutter (!) des Vorstandsvorsitzenden des Spielevermarkters für Aufmerksamkeit sorgte.
Es erweckt dabei den Anschein, dass die von den Videospiele-Gegnern stakkatohaft hervorgebrachten und altbekannten Argumente jenseits aktueller Erkenntnisse der Medienwirkungsforschung hervorgebracht würden.
Dabei wurden erst jüngst Ergebnisse der bis dato größten Studie, durchgeführt an der Harvard University, veröffentlicht. Die Autoren beschreiben, dass kein Zusammenhang zwischen Gewalt in Videospielen und gewalttätigem Verhalten nachgewiesen werden konnten.
They found that video games do not affect all children equally and that the effect on behavior is not solely dependent on violence, gore, or sex. (Harvard Crimson)
Zu ähnlichen Ergebnisse kommt eine kleinere Untersuchung an der Leuphana Universität Lüneburg. Das Problem stelle sich vielmehr als ein Henne-Ei-Problem dar, bei dem die Kausalbeziehung vollkommen unklar sei.
Sind es die Spiele, die die Kinder gewalttätig machen, oder sind es die bereits aggressiven Kinder, die bevorzugt zu diesen Spielen greifen? Ob es sich also um Wirkung oder Selektion handelt, haben wir in unserer Längsschnittstudie untersucht. Eine wichtige Erkenntnis dieser Studie war, dass eine Zunahme von Aggressivität durch den Gebrauch von gewalthaltigen Spielen bei den untersuchten Kindern nicht festgestellt werden konnte. (Zeit Online)
Auch eine britische Studie zum Thema stellt den unmittelbaren kausalen Zusammenhang zwischen Gewalterfahrungen in Medien und tatsächlicher Gewalthandlungen als fraglich dar und liefert etliche schlüssige Argumente für diesen Befund.
Es bleibt abzuwarten, ob diese und viele weitere Studien zum Thema schließlich dazu führen werden, dass die Gegner von Videospielen Abstand von allzu plump anmutenden Medienwirkungstheorien nehmen. Das Ruf nach einem generellen Verbot von Computerspielen, die Gewalt thematisieren ist m.E. realitätsfern. Gregor Gysi hat sich dazu einmal folgendermaßen geäußert:
Sollen nackte Körper und Gewalt aus unserem Fernseher verbannt werden? Nackte Körper gehören glücklicherweise, Gewalt unglücklicherweise zu unserem Leben. Also lautet die eigentliche Frage: Soll das Leben aus unseren Fernsehern verbannt werden? (zitiert nach: Telepolis)
kleine Linkliste zum Thema:
- Prof. Dr. Christian Pfeiffer: Medienverwahrlosung als Ursache von Schulversagen und Jugenddelinquenz? (PDF)
- Zeit Online: Zum Einfluss der Computerspiele auf die Schulnoten und die Kriminalitätsentwicklung Jugendlicher „Spiele ohne Grenzen„
- Wikipedia.de: Darstellung von Gewalt in Medien
- Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Forschungsbericht zur Übersichtsstudie „Medien und Gewalt“
- Internetportal Mediengewalt
- Publikationsübersicht „Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e.V.“
- lustiger Filmtrailer zu „This film is not yet rated“
Die durchweg guten Rezensionen in den „Qualitätsmedien“ fand ich ebenfalls sehr bemerkenswert. Vielleicht liegt das aber auch schlicht daran, dass sie fast zwangsläufig von Autoren stammen, die selbst mit Videospielen sozialisiert wurden. Diese können zudem die parodistischen Elemente und damit teilweise eben auch die Gewalt richtig einordnen, eine Fähigkeit, die nahezu allen prominenten Spielekritikern komplett abgeht. Es gibt allerdings auch eine aktuelle „Gegenstudie“, deren Behauptung, quasi endgültige Beweise dafür vorlegen zu können, dass Videspiele die wesentliche Ursache von Gewaltkriminalität seien, allerdings höchst kritisch zu sehen sind. Siehe dazu meinen Eintrag (der sich teilweise mit diesem überschneidet):
http://www.yablo.de/article/367/korrelationen-beweise-ursachen-alles-derselbe-kram
Also meiner Meinung nach ist das neue GTA nicht brutaler oder blutiger als andere Spiele in dem Genre…
Und die ewige Diskussion ob diese Spiele Amoklöufer oder Kriminelle ausbilden kann ich auch nicht mehr hören, dass solche Menschen häufiger brutale Spiele spielen ist bewiesen, aber ist auf keinen Fall der Auslöser oder Ursprung für so eine Entwicklung und wenn überhaubt nur ein Verhalten, dass sich aus Fehlern die vorher gemacht wurden ergibt, z.B. Erziehung oder einschneidende Erlebnisse…. ein gewisses Maß an Selbstverantwortung sollte man jedem Menschen zusprechen können.
Da kann Herr Pfeiffer ja endlich wieder sein Gesicht in alle verfügbaren Kameras drücken… Gott sei Dank! 😉
Der kürzlich erschienener Ratgeber über die virtuellen Spielewelten „Computerspiele(r) verstehen“ der von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegeben wurde, muss aufgrund von Plagiatsvorwürfen vorerst zurückgezogen werden. Für Cristian Pfeiffer gibt es allerdings noch mehr an der Aufklärungsschrift für Eltern und Lehrer auszusetzten: Diese sei von mangelnder Qualität und unterschlage wichtige Erkenntnisse über die Auswirkung des Konsums von Videospielen auf Jugendliche. Den Vorwurf der Unabhängigkeit erhob Pfeiffer gegen das „Institut zur Förderung von Medienkompetenz“ (Autor Winfried Kaminski), da dieses von der finanziellen Unterstützung durch die Computerspieleindustrie profitiert habe. Der FH Köln bezog 2007 von EA und Nintendo 250.000 Euro für deren Medienpädagogische Arbeit.
Die BpB widmet auf ihrer Homepage Computerspielen einen eigenen, ausführlichen Themenbereich. http://www.bpb.de/themen/ST72BG,0,0,Computerspiele.html
Übrigens: Was spielt ihr lieber: GTA oder Viva Pinata 😉
http://en.wikipedia.org/wiki/Viva_Pi%C3%B1ata